Kein leichtes Spiel mit Asteroiden
Eine Bestandaufnahme zum internationalen Asteroidentag
Als Astronomen den Asteroiden "2017 PDC" im März 2017 entdecken, sieht er noch harmlos aus. Ein Prozent betrage die Wahrscheinlichkeit, dass er im Jahr 2027 auf der Erde einschlägt, berechnen die Wissenschaftler. Doch nach weiteren Beobachtungen und Bahnkorrekturen steht fest: "2017 PDC" wird 2027 ziemlich sicher nahe der japanischen Hauptstadt Tokio niedergehen. Die Auswirkungen eines solchen kosmischen Volltreffers durch einen fast 300 Meter großen Asteroiden wären verheerend. Lässt sich eine solche Katastrophe von Menschenhand verhindern? Und wie lässt sich die Bevölkerung bestmöglich schützen?
Asteroid "2017 PDC" existiert in Wirklichkeit gar nicht. Und es ist auch kein echtes Objekt bekannt, das im Lauf der nächsten hundert Jahre Kurs auf die Erde nehmen könnte. Dennoch ist ein Asteorideneinschlag eine reale Gefahr. Deshalb haben Weltraumforscher das Szenario des fiktiven Asteoriden "2017 PDC" im Mai 2017 auf der Konferenz "Planetary Defense" in Tokio durchgespielt.
Letztlich wird es eine Frage der Zeit sein, bis ein Gesteinsbrocken aus dem All wieder direkt Kurs auf unseren Planeten nimmt. Zwar sind Zusammenstöße mit ganz großen kosmischen Trümmern selten. Doch erodierte Krater auf der Erdoberfläche, die bei früheren Einschlägen entstanden sind, bleiben eine Mahnung für das, was passieren kann. Ob wirklich ein Megaeinschlag eines mehrere Kilometer großen Asteroiden oder Kometen einst Ursache für ein großes Massensterben wie das der Dinosaurier war, ist unter Experten jedoch nach wie vor umstritten.
Aber auch kleinere Himmelskörper können Schaden anrichten, wenn sie über besiedeltem Gebiet niedergehen. "Bis zum Meteoritenfall von Carancas in Peru 2007 waren wir der Auffassung, Objekte bis zu einem Durchmesser von 30 oder 50 Metern wären harmlos", sagt Detlef Koschny, Leiter der Abteilung für Near Earth Objects, also erdnahe Objekte, im Programm für "Space Situational Awareness" ("Wahrnehmung der Weltraumlage") der ESA. "Doch der nur etwa ein Meter große Himmelskörper durchquerte die Atmosphäre, ohne dabei zu zerbrechen, und schlug einen ziemlich großen Krater in den Boden. Und auch das Ereignis vor vier Jahren in Tscheljabinsk hat uns eines Besseren belehrt."
Als am 15. Februar 2013 über der russischen Region Tscheljabinsk ein rund 20 Meter großer Asteroid bei seinem Eintritt in die Erdatmosphäre in 40 bis 20 Kilometer Höhe detonierte und zerbrach, brachte die dabei entstandene Druckwelle in der Provinzhauptstadt vor allem Fenster zum Zerbersten; zahlreiche Menschen wurden durch herumfliegende Glassplitter verletzt. Schließlich gingen die Reste des Asteroiden in mehreren Teilen in der Umgebung über weitgehend unbewohntem Terrain nieder – ein warnendes Beispiel für eine Kollision mit einem Gesteinsbrocken aus dem All mit noch einmal glimpflichem Ausgang.
Ein etwa doppelt so großer Brocken aus dem All explodierte vermutlich am 30. Juni 1908 über der Tunguska-Region in Sibirien. In der dünn besiedelten Gegend wurden durch die Druckwelle großflächig Waldbestände vernichtet. Den Jahrestag dieses Ereignisses hatten Astronauten, Wissenschaftler und Künstler 2015 zum Anlass genommen, um auf die Thematik aufmerksam zu machen. Inzwischen haben die Vereinten Nationen den heutigen 30. Juni deshalb offiziell als „Asteroid Day“ benannt.
Asteroiden ins Visier genommen
Asteroiden und Kometen sind Überreste aus der Entstehungsphase des Planetensystems. Sie umkreisen die Sonnen meist weit abseits von der Erde. Manchmal werden sie jedoch von ihrer Bahn abgelenkt und kommen der Erde gefährlich nahe. Als erdnahe Objekte bezeichnen Forscher alle Objekte, die in einem Abstand von maximal 1,3 Astronomischen Einheiten (1AE = 150 Millionen Kilometer) um die Sonne kreisen. Als potenziell gefährlich werden vor allem solche Brocken eingestuft, die der Erde näher als 0,05 AE kommen – was rund 20 Mondbahnradien entspricht – und die größer als 140 Meter sind. Auch Amateure helfen bei der Suche
Von seinem Wohnzimmer in den Niederlanden aus verbindet sich Koschny über Skype mit seinen Kollegen, die auf Teneriffa das Ein-Meter-Teleskop der Optical Ground Station der ESA bedienen. An dem Projekt namens TOTAS (Teide Observatory Tenerife Asteroids Survey) sind neben der ESA auch Amateurastronomen an verschiedenen Standorten in Europa beteiligt. Seit 2013 stellt außerdem die Europäische Südsternwarte ESO einige Stunden Beobachtungszeit pro Monat am Very Large Telescope in der chilenischen Atacama-Wüste zur Verfügung. Dies ist vor allem für Nachbeobachtungen hilfreich, um neu entdeckte Objekte besser charakterisieren zu können, aber auch um insbesondere kleinere Objekte identifizieren.
Schon Anfang der 1990er Jahre führte die NASA im Auftrag des US-Kongresses eine Studie zu potenziell gefährlichen Asteroiden durch. Daraus resultierte schließlich das Spaceguard Survey Project. Und 1998 gab der US-Kongress die Direktive an die NASA aus, in internationaler Zusammenarbeit mit Raumfahrtagenturen anderer Nationen 90 Prozent aller erdnahen Objekte mit einem Durchmesser von mindestens einem Kilometer zu identifizieren. Im Jahr 2005 weitete man diese Maßgabe aus: 90 Prozent aller Objekte ab einer Größe von 140 Metern sollten nun aufgefunden werden.
Derzeit laufen mehrere Himmelsdurchmusterungen, die in das Near-Earth Object Observation Programm der NASA integriert sind, darunter der Catalina Sky Survey, geleitet von der University of Arizona, sowie das Projekt LINEAR. Letzteres setzt unter anderem Beobachtungstechniken ein, die ursprünglich zur Überwachung von Satelliten in der Erdumlaufbahn entwickelt wurden. Auch das im Jahr 2012 auf Hawaii in Betrieb genommene Teleskop Pan-STARRS beteiligt sich an der Suche, und vom All aus spürt der reaktivierte Infrarotsatellit NEOWise neue NEOs auf. Auf europäischer Seite entwickelt die ESA derzeit das Flyeye Telescope. Über mehrere Standorte verteilt, sollen vier speziell ausgestattete Ein-Meter-Teleskope neue Asteroiden entdecken. Das erste dieser Observatorien soll 2018 in Betrieb gehen. Als Standort ist derzeit Sizilien im Gespräch.
Finden Wissenschaftler oder Amateurastronomen über eines dieser Netzwerke ein verdächtiges Objekt, melden sie es an das Minor Planet Center (MPC) am Smithsonian Astrophysical Observatory in Cambridge, Massachusetts. Das MPC veranlasst dann Nachbeobachtungen, um mehr über potenziell gefährliche Objekte zu erfahren. Anhand dieser Daten wird der Orbit des Asteroiden oder Kometen in Rechenzentren in Italien und den USA auf hundert Jahre im Voraus berechnet und der Himmelskörper gegebenenfalls als gefährlich eingestuft.
Was tun bei Gefahr?
Doch was würde passieren, wenn die Berechnungen ergeben, dass die Erde in Gefahr ist? In ihrem Planspiel auf der Konferenz in Tokio schicken die Weltraumforscher eine kleine Flotte an Raumfahrzeugen auf den Weg zu Asteroid "2017 PDC". So genannte kinetische Impaktoren sollen auf dem Himmelskörper einschlagen und ihn durch Impulsübertrag von seiner Bahn ablenken. Außerdem sind zwei Beobachtungssonden unterwegs, die für den Notfall mit einem nuklearen Sprengsatz ausgerüstet sind.
Während die Experten immer mehr Informationen über den Asteroiden sammeln, simulieren sie verschiedene Ablenkungsmanöver. Dabei sehen sie sich vor allem auch mit Grundsatzfragen konfrontiert: Soll man "2017 PDC" so ablenken, dass er die Erde 2027 komplett verfehlt? Technisch wäre das mit den fünf kinetischen Impaktoren möglich. Allerdings könnte er dann zu einem späteren Zeitpunkt erneut zur Gefahr für die Erde werden. Mit nur einem Impaktor ließe sich seine Bahn so ändern, dass der Asteroid anstatt nahe Tokio weitab im Pazifik landet. Man würde einen Tsunami in Kauf nehmen; dieser wäre aber wohl das kleinere Übel. Besonders umstritten ist die nukleare Option. Nicht zuletzt aus ethischen Gründen hatten sich die Forscher diese Möglichkeit als Mittel der allerletzten Wahl vorbehalten. Unklar ist auch, ob nicht die Trümmer einer Sprengung des Himmelskörpers ebenfalls zu einem späteren Zeitpunkt einmal die Erde treffen könnten.
Auch wenn derzeit kein Asteroid in direktem Anflug auf die Erde ist, entwickeln Raumfahrtbehörden verschiedene Missionskonzepte, um für den Ernstfall zu proben. Denn momentan müsste man noch improvisieren. „Wenn wir jetzt gezwungen wären, eine Asteroidenabwehrmission zu bauen, weil tatsächlich in fünf oder zehn Jahren ein Asteroid auf die Erde zurast, hätten wir zwar das theoretische Knowhow und die technischen Möglichkeiten“, erklärt Alan Harris vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und Leiter des Projekts NEOShield. „Aber es wäre trotzdem unser erster Versuch, und die Mission daher mit vielen Unsicherheiten verbunden.“
So wollen NASA und ESA mit der Mission AIDA gemeinsam ein Ablenkmanöver an einem ungefährlichen Asteroiden ausprobieren. Zwei Sonden, AIM und DART sollen den Doppelasteroiden Didymos anfliegen. Der Dart-Satellit soll als kinetischer Impaktor auf dem kleineren Objekt einschlagen und so seine Umlaufbahn um das Mutterobjekt ändern. Die Sonde AIM soll das Ereignis und die Bahnänderung von der Nähe aus beobachten.
Ursprünglich sollte AIM 2020 starten und DART ein Jahr später folgen. Allerdings kann die ESA diesen Zeitraum aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht einhalten. Die europäische Weltraumbehörde arbeitet aber weiterhin an dem Projekt und ist derzeit auf der Suche nach Geldgebern.
Ein Projekt der NASA, die "Asteroid Redirection Mission" (ARM) sollte ein größeres Stück eines Asteroiden in den Mondorbit bringen. Astronauten sollten es dann dort untersuchen. Obwohl dieses Projekt unter der Obama-Regierung als wichtiger Meilenstein gerade auch für die bemannte Raumfahrt auf dem Weg zum Mars galt, plant die NASA im Rahmen der kürzlich beschlossenen Budgetkürzungen nun, das Projekt einzustellen. Bereits in diesem Zusammenhang entwickelte Technologien sollen für andere Projekte hinübergerettet werden. Harris selbst entwickelt im internationalen Forschungsverbund mit seinen Kollegen verschiedene Konzepte, mit denen sich NEOs durch einen Impulsübertrag oder durch die Schwerkraft eines Satelliten von ihrer Bahn abbringen lassen. Allerdings geht auch die Förderperiode für dieses Projekt im Herbst zu Ende.
Gewiss gibt es für die Menschheit offensichtlichere Risiken wie irdische Naturkatastrophen, Hungersnöte oder drohende Kriege. Doch Harris mahnt: „Das Problem der Asteroidenabwehr lässt sich nicht im Rahmen einer üblichen Förderperiode von drei Jahren lösen: Es bleibt für immer bestehen.“