Von Grün bis Grau – die Facetten der Biotechnologie
Die Biotechnologie gibt es ebenso wenig wie die Wissenschaft oder den Menschen. Zu vielfältig sind die Anwendungen, zu umfangreich die Methoden. Ein Überblick.
Biotechnologie ist bunt. Schon lange geht es nicht mehr nur um Kühe und Schweine wie noch vor einhundert Jahren. Heutzutage nutzen Forscher:innen Pflanzen, Bakterien, Hefen, ja selbst menschliche Zellkulturen für unterschiedlichste technische Anwendungen. Wie Künstler:innen tauchen sie ihre Pinsel in Farbkleckse auf der biotechnologischen Palette, erschaffen Neues, konstruieren und verbessern.
Drei Farben stechen besonders hervor, denn sie decken die bekanntesten Kategorien ab:
Ob therapeutische oder diagnostische Verfahren, Gentherapie, Impfstoffe oder Biopharmazeutika – bei der Roten oder Medizinischen Biotechnologie geht es um die Gesundheit der Menschen.
Die Grüne oder Pflanzenbiotechnologie widmet sich den Pflanzen, mit einem besonderen Blick auf Landwirtschaft und Pflanzenzucht. Stichwort: Gentechnisch veränderte Pflanzen wie etwa transgenes Getreide. Pflanzen können aber weit mehr, etwa Arzneistoffe in Bioreaktoren herstellen.
Auf industrielle Produktionsverfahren mithilfe von beispielsweise Mikroorganismen wie Bakterien und Hefen konzentriert sich die Weiße oder Industrielle Biotechnologie. Ohne sie gäb‘s deutlich weniger Bier und Käse, aber ebenso Antibiotika, Vitamine oder Substanzen wie Insulin.
Bunte Palette an Anwendungen
Weniger gebräuchlich sind die folgenden Farben:
Bei der Blauen oder Aquatischen Biotechnologie wird‘s salzig-nass, denn hier dreht sich alles um Lebewesen aus dem Meer. Dazu gehören Bakterien oder Algen, die neuartige Antibiotika, hitzestabile Enzyme oder tumorhemmende Substanzen herstellen.
Ein noch recht junges Betätigungsfeld ist die Gelbe oder Insekten-Biotechnologie. Mit mehr als einer Million verschiedener Arten ist diese Tierklasse wie ein Apothekerschrank: voll mit möglichen neuen Wirkstoffen. Bislang ist der Schrank aber nur wenige Millimeter geöffnet; Forscher:innen weltweit arbeiten daran, den Spalt zu vergrößern.
Deutlich farbloser kommt die Braune beziehungsweise Graue oder Umweltbiotechnologie daher, aber nur bei der Benennung. Die Liste der Anwendungen hingegen ist mannigfaltig: Abwasser reinigen, Trinkwasser aufbereiten, Müll recyclen oder verseuchte Böden sanieren – dabei helfen etwa Bakterien und Pilze.
Mitunter fließen Farbkleckse ineinander, die Grenzen zwischen all den Kategorien sind fließend. Bakterien finden sich sowohl hier, als auch dort. Sind Meeresalgen, die Biopharmazeutika produzieren, nun Blaue oder Rote Biotechnologie? Oder doch eher grün, denn schließlich sind Algen Pflanzen. Und wo auf der Palette verweilen überhaupt Tiere, die keine Insekten sind? Die Farben vermischen sich, werden zu violett, orange, rosa. Der biotechnologische Farbcode ist deshalb nur grobe Orientierung.
Biotechnologie in der Corona-Pandemie
Was Biotechnologie leisten kann, haben wir in den Jahren 2020 und 2021 erlebt. Das Coronavirus SARS-CoV-2 hat unser Leben mächtig auf den Kopf gestellt. Auch hier in Deutschland waren sofort kleine und große Biotech-Firmen zur Stelle, um Methoden zum Virusnachweis an SARS-CoV-2 anzupassen, schwere Krankheitssymptome mit Medikamenten in den Griff zu bekommen und – nicht zuletzt: um Impfstoffe gegen Corona zu entwickeln. Gerade bei den Impfstoffen zeigte sich der große Vorteil biotechnologischer Verfahren: Wer einmal einen Werkzeugkasten mit unterschiedlichen Bausteinen vorbereitet und getestet hat, kann schnell reagieren. Die Mainzer Entwickler:innen von BioNTech zum Beispiel arbeiteten eigentlich an Krebs-Impfstoffen. Indem sie ihre Bauklötze neu zusammensetzten, hier ein wenig feilten, dort etwas ergänzten, konnten sie in Rekordzeit einen funktionierenden Impfstoff präsentieren. Bereits in diesem Jahr wurde das Forscher-Ehepaar Özlem Türeci und Uğur Şahin mit ihrer Technologie für einen Nobelpreis gehandelt. Dass er kommt, scheint gesetzt. Die Frage ist nur, wann.
Nicht alles Gold
Einige Ideen liefen auch ins Leere oder brachten zumindest nicht den erwarteten Erfolg. In den Nullerjahren erlebten sogenannte siRNAs ihren Hype. Small interfering RNAs an sich sind keine biotechnologische Erfindung. Kurze RNA-Moleküle schützen beispielsweise Pflanzen gegen eine Infektion mit RNA-Viren. In Menschen sorgen die RNA-Schnipsel dafür, dass bestimmte Gene abgelesen werden oder eben nicht. Das wollten Forscher:innen sich zunutze machen und siRNA-basierte Therapien gegen Krebs, Erbkrankheiten und sogar Ebola entwickeln. Der große Knall blieb aus, zahlreiche Programme scheiterten. Trotzdem haben es inzwischen vier Therapien auf den Markt geschafft, die RNA-Interferenz nutzen. Übrigens: Für die Entdeckung dieses Mechanismus‘ erhielten die beiden US-Forscher Andrew Fire und Craig Mello im Jahr 2006 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
Ob es biotechnologische Erfindungen ins Apothekenregal liegt mitunter am Geld. Die Entwicklungen sind teuer und lohnen sich für Pharmaunternehmen selten. Das sehen wir am Beispiel dringend benötigter, neuer Antibiotika gegen resistente Bakterien, deren Erforschung bereits seit Jahren vernachlässigt wird. Oder Medikamente gegen Viren. HIV-infizierte Menschen können dank guter Therapien zwar ein weitgehend normales Leben führen. Aber das Virus werden sie in den meisten Fällen nicht wieder los.
Mit der Corona-Pandemie kam das Interesse zurück, antivirale Therapien zu erforschen.
Biotechnologie in Zahlen
Ob mit oder ohne Corona-Pandemie – die Biotechnologie-Branche in Deutschland wächst seit mehr als zehn Jahren stetig. Damit ist sie nicht nur Arbeitgeberin, sondern auch Magnet für Förderungen und Investitionen aus dem In- und und Ausland. Längst hat sich der verhältnismäßig junge Wissenschaftszweig zur milliardenschweren Industrie gemausert.
Kontroverse Debatten
Aber natürlich gibt es auch kritische und kontroverse Aspekte der Biotechnologie. Besonders wenn es um gentechnisch veränderte Lebensmittel geht – ob Viren-resistente Schweine oder Mais mit integriertem Pflanzenschutz – sind viele Menschen skeptisch oder lehnen sie ab, während andere allein die Vorteile sehen. Diese Debatten führen Gegner:innen und Befürworter:innen bisweilen sehr emotional.
Gleichzeitig können Menschen biotechnologische Werkzeuge einsetzen, um biologische Waffen zu entwickeln. Ein bekanntes Beispiel ist das Bakterium Bacillus anthracis, der Erreger des Milzbrands. Geläufiger ist die Bezeichnung Anthrax. Wenngleich gegen den ursprünglichen Bakterien-Stamm, den sogenannten Wildtyp, effektive Therapien existieren, können einfache genetische Manipulationen Bacillus anthracis Antibiotika-resistent machen.
Biotechnolog:innen klauen sozusagen Erfindungen der Natur, verändern sie, passen sie an, um sie dann gezielt einsetzen zu können – in der gesamten Farbpalette.