Wenn Gerste CRISPeRt – Grüne Biotechnologie in der Landwirtschaft
Ein Gespräch mit Pflanzenbiotechnologe Robert Hoffie über Genom-Editierung in der Pflanzenforschung, längst überholtes Gentechnik-Recht und volle Supermarktregale.
„Genom-Editierung ist eine Ergänzung für den Werkzeugkasten der Pflanzenzüchtung, wird Kreuzung und Selektion aber nicht komplett ersetzen.“ Das sagt Robert Hoffie, Doktorand am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. Mithilfe der CRISPR/Cas-Technologie verändert er Gene der Gerste, um sie resistent gegen das Gelbmosaikvirus zu machen. Infizierte Gersten-Pflanzen werden fleckig gelb und wachsen deutlich schlechter als gesunde Pflanzen. Virus-resistente Gerste kann Ernteausfälle verhindern.
Über seine Arbeit twittert der Dreißigjährige als ForscherRobert, denn Wissenschaftskommunikation ist ihm wichtig. Außerdem engagiert er sich bei der Initiative Progressive Agrarwende. Hoffie sagt: „Mir ist bewusst, dass ich an einem Thema arbeite, was eine gewisse Brisanz hat und gesellschaftlich diskutiert wird. Ich denke einfach, dass die Perspektive der Wissenschaft in dieser Diskussion nicht fehlen sollte.“ Über diese Perspektive und vieles mehr sprach Sigrid März mit dem Biotechnologen.
Herr Hoffie, Sie arbeiten am IPK in der Arbeitsgruppe „Pflanzliche Reproduktionsbiologie“ an Projekten, bei denen Sie auch Genom-Editierung mithilfe der „Genschere“ CRISPR/Cas anwenden. Ziel ist es, Nutzpflanzen unempfindlicher gegen Stress zu machen, also toleranter gegenüber Trockenheit, Hitze, Nährstoffmangel oder Viren. Wie macht man eine Pflanze hitze- oder trockenheitstolerant?
Robert Hoffie: Das sind natürlich sehr komplexe Eigenschaften und es gibt nicht das eine Gen dafür. Pflanzen sind sesshafte Organismen, müssen also mit dem klarkommen, was ihnen an eben diesem Ort zur Verfügung steht. Wenn es uns zu heiß ist, gehen wir in den Schatten. Das kann eine Pflanze nicht. Dementsprechend haben Pflanzen viele Strategien entwickelt, um sich an wechselnde Umgebungsbedingungen anzupassen. Ein Beispiel: Wenn ich meine Pflanzen im Garten jeden Abend ein bisschen wässere, bilden sie nur oberflächlich Wurzeln. Wenn ich aber nur einmal pro Woche ordentlich gieße, bilden sie stärker verzweigte und längere Wurzeln, um tiefere, feuchte Bodenschichten zu erschließen.
Diese Anpassungsfähigkeit, auch Plastizität genannt, können wir durch punktuelle Anpassungsmöglichkeiten gezielt verbessern. Beispielsweise kann ein einzelnes Gen beeinflussen, in welchem Winkel die Wurzeln von der Pflanze aus wachsen. Darüber können wir schon steuern, ob die Wurzeln eher in die Breite oder in die Tiefe wachsen.
Kann ich solche Veränderungen nicht auch über konventionelles Kreuzen von Pflanzensorten erreichen? Warum muss ich dafür Gene verändern?
Hoffie: Natürlich geht das auch über die klassische Pflanzenzucht. Dafür kreuze ich Pflanzen mit bestimmten Eigenschaften, was zu einer großen Population neuer Pflanzen führt. Diese – sagen wir mal – Gerste schaue ich mir dann zum Beispiel im Feld unter sehr trockenen Bedingungen an. Es wird dort Individuen geben, die länger grün bleiben oder einen höheren Ertrag haben als andere. Mit denen kann ich weiterzüchten, daraus eine Linie und am Ende eine neue Sorte entwickeln. Der Vorteil: Dafür muss ich nicht wissen, auf welchem Gen die verbesserten Eigenschaften beruhen, ich kann also direkt starten. Das Verfahren arbeitet aber zufällig, das heißt, ich kann es kaum steuern.
Aber Sie könnten gezielt Eigenschaften einkreuzen, oder?
Hoffie: Ja, genau. Wir betreuen am IPK die bundeszentrale Ex-situ-Genbank für Kulturpflanzen, wir erhalten also die Vielfalt von alten Sorten, Landrassen und wilden Verwandten unserer Kulturpflanzen. Wenn wir nun von einer Pflanze wissen, dass sie einen bestimmten Vorteil gegenüber anderen Sorten hat, kreuzen wir zum Beispiel diese wilde Verwandte in unser Getreide ein. Bis daraus eine neue Sorte entsteht, rechnet man mit Rückkreuzungen über grob 15 Generationen. Bei Gerste dauert das also mitunter 15 Jahre, im Gewächshaus schaffen wir vielleicht auch zwei Generationen im Jahr. Das Hauptproblem dabei: Je exotischer das Material, mit dem ich kreuze, desto mehr unerwünschte Eigenschaften werden mit eingekreuzt. Die dann wieder loszuwerden, macht solche Kreuzungen so schwierig und langwierig.
Wir müssen unsere Ackerpflanzen an den Klimawandel anpassen, dabei helfen konventionelle und moderne Züchtungsmethoden gleichermaßen.
Wenn wir auf die vergangenen Sommer schauen, 2021 mal ausgenommen, hatte auch die Landwirtschaft mit Hitze und Trockenheit zu kämpfen. Kann das gezielte Verändern des Genoms also die Pflanzenzucht beschleunigen, um tolerantere Sorten verfügbar zu machen?
Hoffie: Die Pflanzen sind sicherlich nur ein Faktor. Ebenso wichtig sind ackerbauliche Maßnahmen, also Bodenbearbeitung, geschachtelte Aussaattermine oder Mischkulturen, um die Ressource Wasser optimal zu nutzen. Sicherlich müssen wir aber auch unsere Ackerpflanzen an den Klimawandel anpassen, dabei helfen konventionelle und moderne Züchtungsmethoden gleichermaßen. Es gibt hier kein Schwarz oder Weiß. Klassisches Kreuzen wird weiterhin wichtig sein, vor allem eben in Fällen, in denen Gene für Eigenschaften nicht bekannt sind. Wenn wir aber Gen-Orte kennen, die mit bestimmten Eigenschaften der Pflanze verknüpft sind, können wir mittels Genom-Editierung deutlich gezielter und schneller neue Sorten kreieren. Genom-Editierung ist eine Ergänzung für den Werkzeugkasten der Pflanzenzüchtung, wird Kreuzung und Selektion aber nicht komplett ersetzen.
Die große Herausforderung ist, dass die Pflanzen neben aller Toleranz gegenüber Hitze und Trockenheit weiterhin einen hohen Ertrag erbringen sollen. Gleichzeitig soll Landwirtschaft nachhaltiger werden. Wie passt das zusammen, oder anders gefragt: Kann es so weitergehen wie bisher?
Hoffie: So weitergehen kann es eigentlich an kaum einer Stelle. Selbst der Ertragszuwachs, den wir aktuell in unserer Landwirtschaft haben, hält nicht mit dem global steigenden Bedarf Schritt. Gerade in den Industrieländern gehen hohe Erträge einher mit vielen Inputs, sprich Stickstoffdünger und Pflanzenschutzmitteln, mit den bekannten negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Wenn wir aber die Inputs reduzieren, sinken die Erträge. Das ist ein riesiger Zielkonflikt. Ich denke, dass auch hier wieder der Pflanzenzüchtung, und vorgelagert der Pflanzenforschung, eine große Bedeutung zukommt. Wenn wir zum Beispiel Pflanzenschutzmittel reduzieren wollen, müssen die Pflanzen widerstandsfähiger werden.
Auch gegen Krankheiten?
Hoffie: Mittlerweile sind wir in der Forschung sehr gut darin, Krankheitsresistenz-Gene zu identifizieren. Wir sequenzieren vollständige Pflanzengenome, und zwar nicht nur von einer Sorte pro Art, sondern tausende Genome verschiedenster Sorten. Solche Pan-Genome erleichtern es, Eigenschaften mit bestimmten Genen zu assoziieren. Mit diesem Wissen können wir Pflanzen verändern, sowohl über die Kreuzung, aber eben etwas schneller auch über klassische Gentechnik und Genom-Editierung.
Wenn ich also sehe, dass eine Gerstensorte resistent gegen ein bestimmtes Virus ist, vergleiche ich deren Genom mit dem Pan-Genom, also mit den Gen-Informationen aller anderen Gersten-Sorten, und finde so einen möglichen Gen-Ort für ein Resistenzgen. Und das können Sie dann gezielt auch in anderen Sorten verändern. Bei gentechnischen Methoden wird dazu „Fremd-DNA“ in die Pflanze eingebracht, bei der Genom-Editierung das eigene Erbgut der Pflanze verändert. Im Jahr 2018 entschied der Europäische Gerichtshof, dass Genom-editierte Pflanzen den GVO, also genveränderten Organismen, zuzuordnen seien. Damit unterliegen sie den strengen Regulierungen des Gentechnik-Rechts, vor allem, was den Anbau im Freiland angeht. Was bedeutet das für Pflanzenforschung und -züchtung?
Hoffie: Das Gentechnik-Recht stammt im Wesentlichen aus den 1990er-Jahren. Der Gesetzgeber entschied sich bewusst dazu, die damals bereits etablierten Mutagenese-Techniken aus dem Gentechnik-Gesetz herauszunehmen. Pflanzenzüchter schaffen dabei mittels Chemikalien oder radioaktiver Bestrahlung Mutationen und verändern somit das Genom. Das geschieht logischerweise völlig zufällig, sie wissen nicht, welche Gene betroffen sind. Pflanzen mit vorteilhaften Eigenschaften, die bei dieser Mutagenese entstehen, nutzen sie dann zur weiteren Züchtung. Genom-Editierungs-Techniken wie CRISPR/Cas sind deutlich präziser, denn Mutationen werden gezielt an einem Gen-Ort eingebracht. Es gibt keine rationale Erklärung, das eine dem Gentechnik-Recht zu unterstellen, während die ungerichteten Mutagenese-Verfahren davon ausgenommen sind. Die Regulierung als GVO bedeutet allerdings, dass Freilandversuche – auch aus rein wissenschaftlichem Interesse – nur sehr schwer möglich sind. In Deutschland gibt es derzeit gar keine, in der gesamten EU nur sehr wenige. Auch eine praktische Anwendung in der Pflanzenzüchtung ist so nicht möglich, vor allem weil die Zulassungsprozesse nach Gentechnik-Recht viel zu lange dauern und wissenschaftlich nicht begründbare Auflagen erfüllen müssen. Wir Wissenschaftler:innen erwarten, dass europäisches Recht Schritt halten muss mit technologischen Entwicklungen und entsprechende Gesetze angepasst werden müssen.
Bislang hält sich die Bundesregierung bedeckt. Wenn es um Gentechnik oder Genom-Editierung geht, wird abgewunken. Im aktuellen Koalitionsvertrag findet sich der Wunsch nach biotechnologischer Entwicklung zwar in Bezug auf medizinische Forschung, nicht aber in der Landwirtschaft. Warum tun sich die Parteien so schwer mit diesen Themen?
Hoffie: Für viele Menschen sind das abstrakte Themen. Viele biotechnologische Anwendungen, sei es mittels gentechnischer oder Genom-editierender Methoden, sollen die Pflanzen beim Anbau verbessern, also zum Beispiel durch Krankheitsresistenzen. Davon hat der Verbraucher selbst aber erst einmal keinen Vorteil. Die Supermarktregale sind auch jetzt voll. Wir haben eine Landwirtschaft, die hohe Erträge liefert und für extrem günstige Lebensmittel sorgt. Der Grund dafür ist, dass Europa eine absolute Gunstregion ist. Wir haben verhältnismäßig gute Böden, wir haben nach wie vor eine deutlich gleichmäßigere Niederschlagsverteilung, als das in vielen Regionen der Welt der Fall ist, und wir haben sehr gut ausgebildete Landwirt:innen.
Was wir selbst nicht produzieren, kaufen wir ebenso günstig am Weltmarkt ein. Der Rohstoffpreis-Anteil an Produkten ist so gering, selbst wenn sich der Weizenpreis verdoppelt, bekommen Verbraucher:innen das an der Supermarktkasse kaum zu spüren. In Ländern, in denen die Menschen mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, ist die Situation eine ganz andere. Da entscheidet der Preis unter Umständen darüber, ob Menschen hungern oder nicht.
Die gesellschaftliche Ablehnung von Gentechnik und vergleichbaren Methoden in der Landwirtschaft ist so groß, dass sich die Parteien kaum herantrauen, aus Angst, die Wähler:innen zu vergraulen.
Wir haben in Deutschland und Europa also quasi den Luxus, uns Skepsis gegenüber gentechnischen oder Genom-editierenden Methoden in der Landwirtschaft leisten zu können?
Hoffie: Genau, und das macht das Ganze zu undankbaren Themen, mit denen sich politisch kaum Wähler:innen gewinnen lassen. Ganz im Gegenteil. Die gesellschaftliche Ablehnung von Gentechnik und vergleichbaren Methoden in der Landwirtschaft ist so groß, dass sich die Parteien kaum herantrauen, aus Angst, die Wähler:innen zu vergraulen. Das führt dann zu einem Landwirtschaftsteil im Koalitionsvertrag, der oberflächlich und im Vergleich zu anderen Themen überhaupt nicht konkret ist.
Woher rührt denn diese Ablehnung von Gentechnik?
Hoffie: Ein großer Kritikpunkt ist, dass gentechnisch Pflanzen hergestellt wurden, die tolerant gegenüber Herbiziden sind, allen voran Glyphosat. In Anbaugebieten mit solchen Pflanzen, vor allem in Nord- und Südamerika, wechseln Landwirt:innen dann oft nur zwischen wenigen Kulturen mit diesen Eigenschaften, wodurch die Ausbringmenge dieser Wirkstoffe steigt. Ein solches System kommt mit sehr wenig Bodenbearbeitung aus, was auch Vorteile hat. So eine Anwendung ist aber nur für große Firmen rentabel und dann auch nur für Pflanzen, die sie international auf großen Flächen anbauen und global vermarkten können, also Mais, Soja, Baumwolle. Das ist aber nicht unbedingt das, was wir als Erstes unter nachhaltigerer Landwirtschaft verstehen würden. Umweltbewegte Menschen kann man mit Herbizid-Toleranzen nicht begeistern, die ersten Anwendungen von Gentechnik waren deshalb nicht unbedingt das, was die Menschen sich erhofft hatten. Und diese Anwendungen werden ja auch dem Potential der Technologie überhaupt nicht gerecht. Da ist am Anfang viel schiefgelaufen.
Es ist ja nicht so, dass wir eine Pflanze im Labor verändern und im nächsten Frühling steht sie großflächig auf dem Acker.
Immer wieder führen Kritiker:innen Risiken gentechnisch veränderter oder Genom-editierter Pflanzen an, wenn diese dann doch irgendwann auch auf europäischen Feldern wachsen. Ist die Angst begründet?
Hoffie: Natürlich kann ein Gen, das wir verändern, noch eine andere Funktion haben, sodass die Pflanze andere Eigenschaften hat als zunächst gedacht. Aber das sehen wir früh im Entwicklungsprozess. Es ist ja nicht so, dass wir eine Pflanze im Labor verändern und im nächsten Frühling steht sie großflächig auf dem Acker. Züchtungen haben immer Zwischenschritte, in Gewächshäusern, in Zuchtgärten. Aber, und das möchte ich an dieser Stelle betonen, das trifft auf alle anderen Zuchtmethoden ebenso zu. Jede neue Sorte, die aus klassischen Kreuzungen entstanden ist, kann unvorhergesehene Eigenschaften haben. Auch diese Sorten werden im Zuchtprozess beobachtet und getestet, bevor sie großflächig ins Freiland gelangen.
Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Kulturpflanzen auf die Pflege des Menschen angewiesen sind. Es gibt kein Beispiel für invasive Kulturpflanzen, während wir bei Zierpflanzen durchaus das Problem haben, dass die sich ausgehend von Gärten mehr oder weniger unkontrolliert in der Landschaft ausbreiten. Durch einzelne genetische Veränderungen wird eine Nutz- oder Kulturpflanze aber nicht invasiv oder bedroht die heimische Pflanzenwelt. Das scheitert ja schon daran, dass beispielsweise unser Getreide seine Samen nicht abwirft. Die bleiben auch reif an der Pflanze. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass die Körner gezielt geerntet werden können, um daraus Mehl zu machen. Für die Pflanze ist das aber ein großer Nachteil, denn sie kann sich nicht selbst verbreiten. Kulturpflanzen sind auf den Menschen angewiesen, der für sie die Aussaat und Ernte übernehmen und sie dazwischen von Feinden und anderen Pflanzen schützen muss. Wildpflanzen können das alles alleine.
Aktuell arbeitet die EU-Kommission daran, das Gentechnik-Recht zu überarbeiten. Als Teil des sogenannten Green Deals, mit dem Europa dem Klimawandel entgegentreten möchte, sollen demnächst die Bestimmungen zu CRISPR/Cas gelockert werden. Mitte 2023 soll ein erster Vorschlag auf dem Tisch liegen.