Drei Viertel von euch schlafen morgens zu kurz
Die Ergebnisse des „Erbe&Umwelt“ Chronotyp-Tests bestätigen erschreckende Resultate aus wissenschaftlichen Erhebungen. Die meisten Menschen sollten werktags morgens länger schlafen.
Seit Juni 2019 können Leser*innen von Erbe&Umwelt ihren biologischen Rhythmus testen. Sie beantworten ein paar Fragen zu Schlaf- und Arbeitsgewohnheiten und erfahren nach der Auswertung ihren Chronotyp. Sie wissen dann also, ob sie eher eine Lerche oder eine Eule sind. Nach diesen Vögeln nennen die Expert*innen für die Erforschung der inneren Uhren es tatsächlich, wenn jemand überdurchschnittlich früh oder besonders spät aktiv ist. Von einem der bekanntesten dieser Chronobiologen, Till Roenneberg von der Ludwig Maximilians Universität München, stammt auch der Algorithmus, der dem Test zugrunde liegt.
Doch der Test verrät noch mehr: Er ermittelt das individuellen Schlafbedarf und den so genannten sozialen Jetlag. Die Teilnehmer erfahren also, wie gut ihre sozialen Rhythmen zu den biologischen passen. Anders ausgedrückt: Sie erfahren, ob sie aufgrund ihrer Arbeitszeiten auch an Werktagen in ihrem natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus leben können oder nicht. Ist der soziale Jetlag groß, wird einem Menschen durch seine sozialen Verpflichtungen wie Arbeit oder Schule ein verschobener Rhythmus aufgezwungen. Solchen Menschen geht es im Alltag immer wieder so, als reisten sie zwischen zwei verschiedenen Zeitzonen hin und her: zwischen der Zeitzone des natürlichen, an freien Tagen gelebten Rhythmus' und der Zeitzone der Arbeits- oder Schulzeiten. Dass das auf Dauer schlafraubend und ungesund ist, braucht man niemandem zu erklären und wurde bereits wissenschaftlich bestätigt.
Nun haben fast 200 von euch, liebe Leser*innen, den Test absolviert, Zeit für eine Zwischenbilanz. Wie tickt ihr genau? Leiden viele von euch am ausgeprägten sozialen Jetlag? Was können die meisten von euch tun, um diesen zu lindern und wieder erholsamer und mehr zu schlafen? Ich habe eure Resultate ausgewertet und fasse hier die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
Die Resultate passen ins Bild
Die erste und wichtigste Erkenntnis aus der Auswertung des Chronotyp-Tests lautet: Die Resultate passen hervorragend zu den Ergebnissen aus der Wissenschaft. Das Team um Till Roenneberg hat in den vergangenen Jahren einen ähnlichen Test mit 250.000 Mitteleuropäer*innen gemacht. Weiter unten ist eine Auswertung der ersten 150.000 dieser Daten abgebildet. Obwohl beim Erbe&Umwelt-Test bislang nur knapp 200 Datensätze vorliegen, zeichnen sie fast das gleiche Bild. Das unterstreicht deutlich, wie wichtig und grundsätzlich die Erkenntnisse der Chronobiologen sind. Es wird höchste Zeit für die Gesellschaft als ganze und für uns als Individuen, diese Befunde ernst zu nehmen und auf die Empfehlungen der Experten zu hören.
Am häufigsten sind leichte Lerchen und Durchschnittstypen
Insgesamt gibt es sieben Chronotypen, von der extremen Lerche, die von 20 Uhr abends bis 4 Uhr nachts schläft, wenn man sie lässt, über moderate und leichte Zwischenformen sowie den so genannten Durchschnitts-Chronotyp bis zur extremen Eule, die nicht vor 4 Uhr müde wird und problemlos bis 12 Uhr oder später schlafen kann. Natürlich sind die Extreme sehr selten. Am häufigsten sind leichte Lerchen und Durchschnittstypen. Das gilt für die wissenschaftliche Auswertung der großen Datenmenge genauso wie für die völlig unrepräsentative und sehr kleine Erhebung hier bei Erbe&Umwelt.
Der soziale Jetlag ist verbreitet
Fast alle Teilnehmer*innen des Erbe&Umwelt Chronotyp-Tests leiden am sozialen Jetlag. Bei einem guten Drittel beträgt die Differenz zwischen dem Rhythmus an Arbeits- und an freien Tagen weniger als eine Stunde, die knappe Hälfte hat einen sozialen Jetlag von ein bis zwei Stunden, und etwas mehr als ein Fünftel schläft an Arbeitstagen sogar mehr als zwei Stunden später als an freien Tagen. Bei Extremfällen ermittelte ich Werte von drei bis fünf Stunden. Klar, dass dann an Arbeitstagen ein enormes Schlafdefizit programmiert ist und an freien Tagen manchmal bis in den Nachmittag hinein geschlafen wird.
Drei Viertel sollten den Wecker später klingeln lassen
Genau wie in der Durchschnittsbevölkerung schlafen die allermeisten Erbe&Umwelt-Leser*innen wenn sie arbeiten müssen weniger und später als es ihrer Biologie gut täte. Völlig normal ist auch, dass sie dann fast alle versuchen, ihr Defizit am Wochenende oder an anderen freien Tagen auszugleichen, indem sie morgens länger schlafen. Kein Wunder, dass ich drei Vierteln als Tipp mit auf den Weg gab, sie sollten an Arbeitstagen morgens länger schlafen. Das galt übrigens sogar für einige extreme oder moderate Lerchen. Obwohl diese Menschen eigentlich sehr früh ticken, arbeiten sie noch etwas früher als es für sie passen würde. Sie haben scheinbar Berufe gewählt, bei denen man besonders früh aufstehen muss. Auch diese Wahl war womöglich schon vom Chronotyp beeinflusst.
Einfach mal den Wecker später klingeln lassen! Das mag banal klingen, aber es wäre so effektiv. Jede Minute zählt mehrfach, denn wir arbeiten fast alle fünf, manche auch vier oder sechs Tage pro Woche (auch das ein Test-Resultat). Völlig abzuraten ist angesichts dessen von der Schlummertaste oder so genannten Schlafphasenweckern. Beides stört den Schlaf der Menschen nur unnötig früh. Der Wecker sollte immer erst dann klingeln, wenn man auch wirklich und endgültig aufstehen muss. Noch besser wäre es zumeist natürlich, die Arbeit oder Schule begänne schlichtweg etwas später. (Dazu gleich ein paar Lesetipps.)
Falsche Rhythmik am Wochenende ist selten
Nur bei knapp drei Prozent der Erbe&Umwelt-Leser*innen kommt es vor, dass sie an Arbeitstagen mehr schlafen als an freien Tagen. Diesen schrieb ich als Empfehlung, sie sollten an freien Tagen früher zu Bett gehen. Gut zwanzig Prozent benötigten hingegen gar keine Empfehlung. Ein Teil dieser Gruppe arbeitet entweder sieben Tage pro Woche oder gar nicht. Er schläft deshalb permanent im gleichen Rhythmus. Und der andere Teil hat offenbar das Glück, biologisch passende Arbeitszeiten zu besitzen. Diese Menschen müssen auch an Werktagen keinen Wecker stellen und schlafen unentwegt im gleichbleibenden Rhythmus. Logisch, dass es fast nur ausgeprägte Lerchen sind. Und schade, dass es so wenige sind.
Schlafpensum ist durchschnittlich
Eine gute Botschaft brachte die Auswertung der ersten Resultate aber auch. Zwar schlafen fast alle Teilnehmer*innen an Arbeitstagen zu wenig, vielen gelingt es aber, das Defizit an den freien Tagen zumindest teilweise auszugleichen. Wie viel Zeit die Erbe&Umwelt-Leser*innen insgesamt schlafen sollten, um hundertprozentig fit zu sein, kann man auf diesem Weg natürlich nicht ermitteln. Es ist ohnehin umstritten, wie man das bei Menschen im Alltag herausfinden kann. Fest steht jedoch, das Pensum, das die Teilnehmer*innen erfüllten, ist ziemlich gewöhnlich. Nur je ein gutes Zehntel schläft weniger als 49 oder mehr als 81 Stunden pro Woche (im Schnitt sieben oder neun Stunden pro Tag), Der Rest schläft je zur Hälfte im Schnitt sieben bis acht oder acht bis neun Stunden täglich.
Erbe&Umwelt-Leser*innen sind lerchenhafter als der Durchschnitt
Der Vergleich der Daten mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zeigt, dass die Erbe&Umwelt-Leserinnen minimal lerchenhafter sind als die Durchschnittsbevölkerung. Vor allem die moderaten Lerchen sind häufiger vertreten. Das wundert indes wenig. Im Gegenteil erstaunt, dass trotz der kleinen Datenmenge und der schwerlich repräsentativen Auswahl der Teilnehmer*innen eine so große Übereinstimmung besteht. Es ist jedenfalls bekannt, dass vor allem Jugendliche etwas mehr in Richtung Eule tendieren. Vermutlich ist diese Altersgruppe aber unterrepräsentiert, was die Abweichung gut erklären könnte.
Der Erbe&Umwelt Chronotyp-Test
Wer den persönlichen Chronotyp und den sozialen Jetlag ermitteln möchte, kann diesem Link folgen: