Corona-Impfstoffe der nächsten Generation: Mit Piks und Nasenspray die Pandemie beenden
Die bisherigen Impfungen gegen Covid-19 schützen schlecht vor Ansteckungen mit dem Coronavirus. Dank Impfstoffen, die man über die Nase verabreicht, könnte sich das ändern. Doch wie weit ist die Forschung? Sind schon aussichtsreiche Kandidaten in Sicht?
Für Eric Topol ist die Corona-Pandemie noch lange nicht vorbei. Wie einige seiner FachkollegInnen zeichnet der 67-jährige US-Mediziner und Begründer des Scripps Translational Science Institute im kalifornischen La Jolla jetzt, da doch eigentlich alle aufatmen, ein eher düsteres Bild der Lage: Man beobachte eine beschleunigte Evolution von Sars-CoV-2 mit einem Anstieg von Immun-Flucht-Varianten, schreibt Topol in seinem Blog „Ground Truths“. Diese Varianten seien ansteckender und substanziell weniger empfindlich für die Impfungen und Booster. Ansteckungen ließen sich schlechter verhindern. Außerdem gebe es Hinweise, dass bei einigen Menschen die Impfungen nicht mehr zuverlässig vor einer schweren Covid-19-Erkrankung mit Todesfolge schützten. Zudem seien ungeimpfte Genesene nach wie vor gefährdet. Und: In den nächsten Monaten könnten gefährlichere neue Varianten entstehen.
Laut Topols Recherchen waren in den USA während der Delta-Welle 23 Prozent der Todesfälle nach Covid-19 Geimpfte. Ihr Anteil habe sich jetzt während der Omikron-Welle nahezu verdoppelt und liege bei 42 Prozent. Die Ursache dafür sei ein schwindender Immunschutz, ein Mangel an Booster-Impfungen und die verringerte Schutzwirkung der Impfung vor Omikron.
Als Ausweg fordert Topol von der US-Regierung eine neue „Operation Warp Speed“. Diese Initiative startete die damalige US-Regierung Mitte Mai 2020, um Corona-Impfstoffe rasch zu entwickeln. Nun gelte es, neue Impfstoffe über die Ziellinie zu bringen.
Eric Topol setzt auf Nasenspray-Impfungen. „Ein Nasenspray hätte den Vorteil, dass man als Geimpfter mit hoher Wahrscheinlichkeit das Corona-Virus nicht mehr übertragen kann“, sagte der Virologe Florian Krammer schon vor über einem Jahr im Gespräch mit der Zeitschrift „Geo“. Weil der Impfstoff genau dorthin gelange, wo sich das Virus vermehre, nämlich im Nasen-Rachen-Raum, und dort eine lokale Immunantwort aufbaue. „Aber die Entwicklung ist recht kompliziert“, schätzte Krammer damals die Lage ein.
Zwar gibt es aktuell noch keinen zugelassenen Nasenspray-Impfstoff, doch etwa zehn Kandidaten befinden sich in frühen und sogar schon späten klinischen Testphasen. Das ist vielversprechend. Fachleute wie etwa Robert Seder, Immunologe am National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) sehen die aktuell verwendeten Impfstoffe an ihrer Leistungsgrenze angekommen. Wenn man tatsächlich die Zahl der Infektionen verringern wolle, müsse man die Route der Immunisierungen – über die Nase statt in den Arm – ändern, sagt Seder im Gespräch mit der „Washington Post“.
Die Nasen-Impfungen, die Ärzte und Forscherinnen zurzeit in klinischen Studien testen, lassen sich in vier Gruppen einteilen: Impfstoffe, die Adenoviren nutzen, um Teile des Coronavirus in die Zellen der Nasenschleimhaut einzuschleusen und solche, bei denen diese Aufgabe andere Viren erledigen (Vektorimpfstoffe); Lebendimpfstoffe, die abgeschwächte Sars-CoV2 in die Nase bringen und Totimpfstoffe, die eine Immunantwort mit Proteinbestandteilen des Virus auslösen wollen.
Impfstoffe, die Adenoviren verwenden
Sowohl der bereits zugelassene Corona-Impfstoff von AstraZeneca, das Vakzine von Johnson&Johnson als auch der russische „Sputnik V“ verwenden harmlose Erkältungsviren, Adenoviren, um die genetische Information für das Spike-Protein in den Körper hineinzutragen.
Der indische Hersteller Bharat Biotech oder das chinesische Unternehmen CanSinoBio nutzen diese Adenoviren jetzt in ähnlicher Weise. Diese Hersteller spritzen die Impfviren jedoch nicht in einen Muskel, sondern geben sie in Form eines Sprays oder über Tröpfchen direkt in die Nase. Bharat Biotech testet seinen Nasen-Impfstoff BBV154 seit März 2022 im Rahmen von Booster-Impfungen schon in Phase 3, also mit mehreren Tausend TeilnehmerInnen. Vorversuche an Hamstern, Mäusen und Rhesus-Affen hatten gezeigt, dass die Immunabwehr in der Schleimhaut das Virus bei Ansteckungsversuchen dank der Impfung rasch beseitigen konnte.
Rund 100 der insgesamt 420 StudienteilnehmerInnen, die nach zwei klassischen Impfungen mit einem Totimpfstoff eine Nasenimpfung von CanSinoBio erhalten hatten, stellten mehr neutralisierende und vor allem Schleimhaut-Antikörper gegen das Coronavirus her, als diejenigen, die dreimal eine bereits zugelassene Vakzine bekamen hatten.
Impfstoffe, die andere Viren als Boten benutzen
Das Unternehmen Meissa Vaccines forscht schon seit langem an einem Impfstoff gegen das Respiratory Syncytial Virus. Das RSV kann besonders kleinen Kindern und Menschen mit geschwächtem Immunsystem gefährlich werden. Auf der Basis von RSV entwickelten US-Amerikaner jetzt ein abgeschwächtes Virus, das auf seiner Oberfläche nicht die typischen RSV-Proteine trägt, sondern das Spike-Protein von Sars-CoV-2. Dieser Lebendimpfstoff kann ebenfalls als Tröpfchen oder Spray über die Nase gegeben werden. Die Firma testet gerade in einer Phase 1 Studie verschiedene Dosierungen bei gesunden Erwachsenen.
Wie gut diese Methode funktioniert, werden die Ergebnisse zeigen, die die Verantwortlichen im Oktober veröffentlichen wollen. In Vorversuchen an Affen löste Meissa's Nasenimpfstoff jedenfalls eine starke Antikörper-Antwort auf den Schleimhäuten und im gesamten Körper aus. Bei Ansteckungsversuchen waren die geimpften Tiere gut geschützt, auch vor verschiedenen Virusvarianten.
Abgeschwächte Coronaviren als Lebendimpfstoffe
Die Entwicklung von Lebendimpfstoffen ist eine heikle Angelegenheit und nimmt oft Jahre bis Jahrzehnte in Anspruch. Der Erreger muss so abgeschwächt werden, dass er keine Erkrankung mehr auslösen und sich nicht in eine gefährlichere Variante zurückverwandeln kann. Lebendimpfungen gegen die Pocken, Mumps, Masern, Röteln und auch die Kinderlähmung sind erfolgreiche Beispiele aus der Vergangenheit und Gegenwart. Allerdings eignen sich diese Impfstoffe für stark immungeschwächte Personen nicht.
Auch wenn Sars-CoV-2 die Wissenschaft erst seit zweieinhalb Jahren beschäftigt und man erst beginnt, den Erreger wirklich zu verstehen, wagen sich jetzt einige Firmen an die Entwicklung eines Lebendimpfstoffes heran. Das Produkt CoviLiv des US-Unternehmens Codagenix enthält abgeschwächte Coronaviren. Sie können keine Erkrankung mehr auslösen, weil die Entwickler sie gentechnisch an vielen Stellen ihres Erbgutes veränderten.
In einer Phase-1-Studie mit gesunden Erwachsenen löste eine CoviLiv-Impfung über die Nase eine breite Immunität auch gegen Varianten des Coronavirus aus. Im Blut der Probanden fanden die Forschenden eine große Menge neutralisierender Antikörpern. Fast die Hälfte der StudienteilnehmerInnen bildeten in der Nasenschleimhaut IgA-Antikörper gegen das Virus. Diese blockierten die Virus-Vermehrung und damit auch die Ausbreitung sehr effektiv. Warum nur die Hälfte und nicht alle Testpersonen mit einer IgA-Antwort auf die Impfung reagierten, erklären die Forschenden nicht.
Zurzeit läuft eine Studie mit CoviLiv als Booster für Personen, die zuvor zweimal andere bereits zugelassene Impfstoffe erhalten hatten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützt eine Phase-2/3-Studie mit CoviLiv, die Mitte 2022 in Indien starten soll.
Forschende von der Freien Universität und der Charité Berlin berichteten am 15. Mai 2022 in einer Preprint-Veröffentlichung über erfolgreiche erste Ergebnisse mit einem Lebendimpfstoff aus abgeschwächten Coronaviren. Der Impfstoffkandidat sCPD9 verwendet ein Coronavirus, das an 200 von 30.000 Stellen im Erbgut verändert ist. Er befindet sich allerdings noch in der präklinischen Testphase an Tieren. Bei Hamstern kann die Immunisierung mit dem Coronavirus zumindest eine deutlich bessere Immunantwort auslösen, als die bereits zugelassenen Vakzine.
Virusproteine direkt in die Nase
Cuba's Center for Genetic Engineering and Biotechnology (CIGB) testet in Phase 1/2 gerade den Nasenspray-Impfstoff Mambisa, der Virusproteine enthält. Bisher impften kubanische Ärztinnen und Ärzte diesen Impfstoff klassisch per Injektion.
Ein Startup-Unternehmen der Yale University verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Bei der so genannten „Prime and Spike“-Strategie gibt es zuerst einen Piks mit einem RNA-Impfstoff gegen das Coronavirus. Zwei Wochen später soll ein Nasenspray, das das Spike-Protein des Virus in Kochsalzlösung enthält, die Impfung durch die Immunisierung über die Schleimhäute vervollständigen. Im Tiermodell klappt das schon gut, klinische Studien am Menschen sind geplant.
Hindernisse auf dem Weg zu einer Nasenspray-Impfung
Ja, wir bräuchten eine „Operation Warp Speed“ für Schleimhaut-Impfstoffe der nächsten Generation, aber das Geld fehle, um dies zu tun, kritisiert Karin Bok, Direktorin der Pandemic Preparedness and Emergency Response am NIAID. Gelder aufzutreiben in einer Situation, in der es bereits nützliche Impfstoffe gibt, ist schwierig.
Eine andere Herausforderung ist, durch Impfungen über die Nase tatsächlich einen guten Impfschutz zu erzeugen, auch wenn das zunächst logisch und einfach klingt. Das Biotech-Unternehmen „Altimmune“ etwa hat die Entwicklung ihres Nasenspray-Impfstoffes gestoppt. Erste Studien erbrachten enttäuschende Ergebnisse.
Bei der Zusammensetzung der Vakzine müssen die Unternehmen eine gute Mischung finden. Der Impfstoff muss die Schleimbarriere und andere erste Abwehrmechanismen überwinden, damit ihn der Körper nicht gleich wieder ausspült. Andererseits darf die Immunantwort in der Nase auch nicht zu stark aktiviert werden, denn das könnte wegen der Nähe zum Gehirn gefährlich werden.
Vor Jahren kam es bei frühen Versuchen mit Nasen-Impfstoffen gegen die Influenza-Grippe zu unerwünschten Nebenwirkungen: Der Grippe-Impfstoff Nasalflu des Schweizer Herstellers Berna Biotech hatte bei mindestens 130 der rund 100.000 geimpften Personen eine vorübergehende Gesichtslähmung ausgelöst. Solche Nebenwirkungen sind zwar auch von anderen Impfstoffen bekannt, treten aber viel seltener auf.
Nutzen und Vorteile der Nasenspray-Impfung
Impfungen über die Nase haben eine Reihe von Vorteilen gegenüber dem klassischen Piks. Sie können einen Schleimhautschutz auslösen, der stärker als die bisher zugelassenen Corona-Impfstoffe vor Ansteckungen schützt und die Virusausbreitung hemmt. Wenn die großen klinischen Tests erfolgreich verlaufen, könnten die Behörden die neuen Impfstoffe zulassen. Gelegentliche Booster mit Nasensprays würden die Infektionslage dann weltweit weiter entspannen. Bis es soweit ist, wird es aber noch dauern. Im Herbst kommen erst einmal mRNA-Impfstoffe auf den Markt, die an die Omikron-Variante angepasst sind. Statt Tröpfchen in die Nase gibt es vorläufig weiter den Piks in den Arm.
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden über die Riff freie Medien gGmbH aus Mitteln der Klaus Tschira Stiftung gefördert.