Wurde zu spät vor seltenen Corona-Impfschäden gewarnt?

Isa Lehnert erlitt 2021 infolge der Corona-Impfung mit Vaxzevria eine Thrombose im Gehirn. Sie ist heute schwerbehindert und erhält eine staatliche Rente als anerkannt Impfgeschädigte. Hätte sie gewarnt werden müssen?

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Eine Person liegt in einem Krankenhausbett im Koma; sie könnte einen Impfschaden erlitten haben.

Isa Lehnert (Name geändert) war einst eine kerngesunde Medizinstudierende. Eine kluge junge Frau, die mit dem Numerus Clausus keine Mühe hatte. Eine, die gern tanzte und leidenschaftlich Querflöte spielte. Sie ließ sich aus „einem gesellschaftlichen Verantwortungsgefühl“ heraus, wie sie selbst sagt, früh in der Corona-Pandemie impfen. Am 11. März 2021 spritzte das Personal des Universitätsklinikums einer deutschen Großstadt ihr den Impfstoff Vaxzevria des schwedisch-britischen Pharmakonzerns AstraZeneca. Niemand ahnte, dass das ein jäher Wendepunkt in ihrem Leben werden würde: Knapp zwei Wochen später erleidet Lehnert eine schwere Sinusvenenthrombose im Gehirn. Ein Gefäß ist mit einem Blutgerinnsel verschlossen und platzt schließlich infolge des Blutstaus. Lehnert muss notoperiert werden. Sie liegt tagelang im Koma und überlebt knapp. Riffreporter berichtete über ihr tragisches Schicksal.

Ärzte und Familie bangen um ihr Überleben

Lehnert ist seither zu 70 Prozent behindert: Mit dem linken Auge sieht sie nur eingeschränkt. Auch die linke Hand und das linke Bein, die lange Zeit gelähmt waren, haben nicht mehr die Kraft und Gewandtheit von einst. Für Einkäufe und den Haushalt benötigt Lehnert durchgängig eine Haushaltshilfe. Denn Brotschneiden oder sich im Supermarkt zurechtfinden, einst Selbstverständlichkeiten, gelingen ihr allein nur mit größter Anstrengung und viel zu langsam. Die junge Frau ist offiziell als Corona-Impfgeschädigte anerkannt und bekommt eine staatliche Rente von 1.200 Euro monatlich. Doch die Medizinstudierende hatte das Ziel, Ärztin zu werden. Sie bündelte trotz Schwerbehinderung in den letzten Jahren ihre Kräfte und schaffte das zweite Staatsexamen. Nun müsste sie das praktische Jahr in einem Krankenhaus absolvieren, so sieht es die Studienordnung vor. Teilzeit hat man ihr als Schwerbehinderte zugestanden. Aber Lehnert überforderte der schnelle Arbeitstakt in der Klinik. „Ich habe Dinge vergessen. Dann habe ich Flashbacks und Albträume bekommen, wenn ich Patienten erlebte. Ich habe mich selbst wieder auf der Intensivstation gesehen. Ich war nach den vier Stunden völlig erschlagen.“

Im Sommer 2024 befindet sich Lehnert deshalb in einer Traumaklinik zur Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung infolge des Impfschadens. Der Staat bezahlt die Therapie. Sie sagt: „Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird, ob ich das Studium schaffen kann. Die Chancen, dass ich als Ärztin arbeiten kann, stehen nicht gut, da die praktischen Anforderungen für mich extrem schwer zu erfüllen sind.“ Die Impfung habe ihr Leben zerstört und ihr unglaublich viel Lebensfreude genommen. „Immer wieder habe ich Angst davor, als arme Frau zu enden.“

Vaxzevria fällt früh mit Thrombosen auf

Zum 7. Mai 2024 hat AstraZeneca die Zulassung für den Impfstoff Vaxzevria in Europa zurückgezogen. Die offizielle Erklärung: eine zu geringe Nachfrage. In Deutschland wird der Impfstoff schon seit Dezember 2021 nicht mehr verwendet. Verglichen mit anderen Produkten hat er mehr Nebenwirkungen und eine geringere Wirksamkeit. Weltweit ist er aber das meist verabreichte und billigste Vakzin. Mehr als drei Milliarden Mal wurde es bis 2024 gespritzt.

Vaxzevria ist ein DNA-Impfstoff, eine vergleichsweise neue Produktart. Gene des Coronavirus werden mithilfe unschädlich gemachter anderer Viren in menschliche Zellen eingeschleust. Diese produzieren daraufhin selbst Bestandteile des Virus. Das ruft eine Immunantwort hervor, die später auch vor der Corona-Infektion schützt.

Es ist mittlerweile klar nachgewiesen, dass Corona-Impfstoffe, die ein Virus als Vehikel nutzen, wie Vaxzevria, in sehr seltenen Fällen schwere Sinusvenenthrombosen hervorrufen können. Das Syndrom hat aufgrund der immensen Zahl an Geimpften mittlerweile auch international einen Namen: VITT für „vakzin-induzierte immunthrombotische Thrombozytopenie“. Es tritt bei 1 bis 2 von 100.000 Personen auf, die mit Vaxzevria geimpft wurden.Der Grund für die lebensbedrohliche Komplikation ist, dass ein Eiweiß auf den Blutplättchen, der Plättchenfaktor 4, bei den Betroffenen an Bestandteile des Impfstoffs bindet. Das aktiviert Immunzellen, die dann Antikörper gegen die eigenen Blutplättchen bilden.

Hierzulande soll der Impfstoff Vaxzevria laut Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts bis Ende 2021 knapp 13 Millionen Mal verabreicht worden sein. In der EU waren es der Europäischen Arzneimittelbehörde zufolge insgesamt 68,8 Millionen Dosen. Das würde theoretisch bei maximal zwei VITT-Fällen auf Hunderttausend höchstens 1376 Betroffene in allen EU-Ländern ergeben. Die tatsächlichen Zahlen sind allenfalls mühsam herauszufinden: 205 Personen hätten hierzulande eine „Thrombose mit Thrombozytopenie“ nach Vaxzevria-Impfung erlitten, schreibt das Paul-Ehrlich-Institut in einem Bericht von 2022.

Klagen gegen AstraZeneca

Jene, die geschädigt wurden, wie Lehnert, können nicht wie vor der Pandemie weiterleben. „Ich fühle mich manchmal wie vergessen, jemand, den es nicht geben darf“, sagt Lehnert. All das veranlasst sie zu Fragen: Was wussten AstraZeneca und die staatlichen Behörden zum Zeitpunkt ihrer Impfung? Hätte sie Mitte März 2021 nicht schon vor Sinushirnvenenthrombosen gewarnt werden müssen?

Lehnert möchte die Unterlagen des Herstellers einsehen und Schadensersatz erhalten. AstraZeneca weigerte sich jedoch, ihr Akteneinsicht zu gewähren. Die junge Frau klagte deshalb in einer Auskunftsklage vor dem Oberlandesgericht Dresden. Am 29. Oktober 2024 hat sie einen ersten Erfolg errungen. Das Gericht entschied, dass das Pharmaunternehmen ihr umfassend Auskunft zu Wirkungen und Nebenwirkungen des Impfstoffs erteilen muss. Auch die Korrespondenz zwischen europäischen und nationalen Behörden soll AstraZeneca offenlegen.

Deutschlandweit sollen über 180 Zivilklagen im Zusammenhang mit Corona-Impfungen anhängig sein, die sich gegen alle vier Impfstoff-Hersteller richten, also gegen AstraZeneca, Biontech, Moderna und Johnson&Johnson In einem anderen Fall entschied ein bayerisches Oberlandesgericht ebenfalls ähnlich wie bei Lehnert, dass eine Klägerin umfassende Informationen zu Wirkungen und Nebenwirkungen des Impfstoffs von AstraZeneca erhalten muss. Sie hatte eine Darmvenenthrombose infolge der Impfung erlitten.

Impfung während im Hintergrund Warnungen eingehen

Wie naheliegend Lehnerts Frage und wie tragisch ihr Fall wirklich ist, zeigt auch eine zeitliche Rückblende. Ihr Impftermin liegt exakt in der Zeit, in der Meldungen aus verschiedenen Ländern auftauchen, dass bei der Impfung mit Vaxzevria sehr selten, mitunter tödliche Sinusvenenthrombosen insbesondere bei jüngeren Frauen auftreten:

Die Europäische Arzneimittelbehörde ließ den Impfstoff am 29. Januar 2021 per bedingter Zulassung zu. Es fehlten ihr noch Daten zur Wirksamkeit für Personen über 55 Jahre. Die deutsche Impfordnung vom 4. März 2021 – sieben Tage vor Lehnerts Impfung – besagt, dass Personen unter 65 vorrangig Vaxzevria bekommen sollen.

Zum damaligen Zeitpunkt zählte das Robert Koch-Institut bereits 71.900 Todesfälle mit Covid-19. Viele Menschen erwarteten sehnlich die ersten Impfstoffe, die zunächst knapp waren.

Doch am Tag, an dem Lehnert geimpft wird, stoppen Dänemark und Norwegen den Einsatz des Produktes – der Grund: Sinusvenenthrombosen. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) ermittelt. Das Paul-Ehrlich-Institut zählt bis zum 12. März, einen Tag nach Lehnerts Impfung, 14 Sinusvenenthrombosen in Deutschland bei 1,47 Millionen verimpften Dosen. Am 16. März 2021, fünf Tage nach Lehnerts Impfung, und noch vor ihrem eigenen Hirnvenenverschluss, setzt Deutschland nach anderen Ländern die Impfungen mit AstraZeneca vorerst aus.

Es soll eine neue Empfehlung der EMA abgewartet werden. Ab 18. März 2021 muss bei der Impfung mit Vaxzevria über das Risiko einer Thrombose aufgeklärt werden. Der Nutzen des Vakzins war aus Sicht der EU-Behörde aber weiterhin größer als das Risiko.

Risiko konnte erst nach der Zulassung herauskommen

Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts Stefan Vieths stellt klar: „Klinische Prüfungen, wie sie für die Zulassung erforderlich sind, können tatsächlich keine sehr seltenen Nebenwirkungen detektieren, da dies eine sechsstellige Anzahl von Probandinnen und Probanden erfordern würde.“ Es liegt folglich in der Natur der Sache, dass sehr seltene Nebenwirkungen erst beobachtet werden können, wenn die Impfkampagne beginnt. Was aber wusste AstraZeneca am Tag von Lehnerts Impfung bereits, und hat das Unternehmen angemessen reagiert?

Aus der Fachliteratur geht hervor, dass die ersten Fälle von schwerwiegenden Thrombosen mit Beginn der Impfkampagnen aus Dänemark, Frankreich und Norwegen im Februar gemeldet wurden. Vieths bestätigt: „Im Fall von Vaxzevria von AstraZeneca hat das Paul-Ehrlich-Institut bereits kurz nach Beginn der Impfungen im Februar 2021, zusammen mit Norwegen, den zuständigen Fachausschuss bei der Europäischen Arzneimittelbehörde, PRAC, über ein Signal auf Sinusvenenthrombosen, insbesondere bei jüngeren Frauen, informiert.

Sollten AstraZeneca oder auch die Behörden nicht rasch genug mit einer Aufklärungspflicht der Impfwilligen reagiert haben, möchte Lehnert Schadensersatz in Höhe von 300.000 Euro geltend machen. Denn als Ärztin in Vollzeit wird sie in Anbetracht ihrer 70-prozentigen Behinderung nie arbeiten können. Sie muss mit einer Einkommenseinbuße auf Lebenszeit fertig werden. “Das Gehirn ist doch das einzige Organ, das man nicht transplantieren kann„, sagt sie. “Das Risiko einer Thrombose dort hätte ich nicht in Kauf genommen."

Das Landgericht Leipzig hatte Lehnerts Klage auf Schadensersatz 2024 zunächst als unbegründet abgewiesen, weshalb Lehnert dann Akteneinsicht forderte. Der Vorsitzende Richter Markus Schlüter teilte mit, dass anhand der Informationen nun geprüft werde, ob die Schadensersatzklage doch begründet sei.

Ob staatlich anerkannte Coronaimpfgeschädigte Ersatzansprüche geltend machen können, ist gleichwohl eine Frage von anderem juristischem Kaliber: Dem Arzneimittelgesetz zufolge gibt es zwar eine so genannte verschuldensunabhängige Haftung. Impfstoffhersteller haften demnach auch dann in gewissem Umfang, wenn sie keine Fehler begangen haben. Für die zügige Bereitstellung von Corona-Impfstoffen hat die ehemalige Bundesregierung aber per Verordnung gerade diese Haftung begrenzt. Sie kommt nur noch in Frage, wenn der Hersteller grob fahrlässig gehandelt und vorsätzlich Schäden in Kauf genommen hat.

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