#c0da - die Geschichte des Codes aus der Perspektive der Frauen

Die Künstlerin Katrin Mayer erzählt von Codes, Computer-Pionierinnen und ihrer Variante des Cyberfeminismus

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Portrait einer Frau mit Brille neben einem Tisch, auf dem aufgeklappte Büromappen mit Fächern liegen.

Die digitale Welt ist weitgehend männlich geprägt. Politisch aktive Gruppen wie netzforma wollen das Netzwerk diverser zu machen. Die Künstlerin Katrin Mayer und ihr Netzwerk gehen einen Schritt weiter. Sie kultivieren ein künstlerisches Denken außerhalb des Binären. Ihre Internetplattform #c0da verbindet Kulturgeschichte mit Diskurs.

Wer ist warum und wie codiert? Die Künstlerin Katrin Mayer erzählt subversive Geschichten zu den „Nullen und Einsen“, den digitalen Rechnern, die heute unser Leben bestimmen. Wer Recherchen auf Google ausführt, füttert einen Algorithmus, der die Daten sammelt, verarbeitet. Mayers künstlerische Forschung geht jedoch über solche Beispiele hinaus. Sie nutzt das Bild des Codierens, um gesellschaftliche Codierungen aufzudecken. Ihre Ausstellung im Badischen Kunstverein schlägt einen Bogen von der Pionierin des Computing, Ada Lovelace, zur Kulturgeschichte des Büros.

Wir sind lange davon ausgegangen, dass Computer und Programmierung etwas sehr Männliches sind, was aber historisch gar nicht zutrifft. Die Bezeichnung a computer war eine Berufsbezeichnung für eine Frau, die Berechnungen durchführt.

Katrin Mayer, Künstlerin

Recherchen vor Ort gehören zum Instrumentarium ihrer vielfältigen Erzähltechnik. In Karlsruhe fiel dieser Teil ihrer Arbeit besonders gründlich aus, denn Katrin Mayer studierte um 2000 eine Weile an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (HfG). „Damals dominierte dort die digitale Theorie. Es fühlte sich an, als ob es traditionelle Medien in der Kunst bald nicht mehr geben würde“, sagt Katrin Mayer. So sei der Spirit gewesen, als der Medientheoretiker Peter Weibel Ende der 1990er Jahre an das Zentrum für Kunst und Medien kam. „Das hat sich aber nicht eingelöst“, stellt sie rückblickend fest.

Im Zentrum der Ausstellung steht das Projekt #c0da, eine Website, die feministische Formen des Erzählens und des Codierens zusammenbringt. Zu www.c0da.org haben einflussreiche Theoretikerinnen des Cyberfeminismus wie Sadie Plant und Eva Meyer Texte beigesteuert. Das in den 1990er Jahren aufkommende Internet, der Cyberspace versprach frei zugängliche Informations- und Kommunikationsräume, die kulturell noch nicht vorgeprägt waren. Feministische Theoretikerinnen und Künstlerinnen ließen sich von der Vorstellung eines vermeintlich unbesetzten Denk- und Aktionsraums inspirieren.

Screenshot der Webseite c0da, aud der der name c0da zu erahnen ist.
Die Internet-Plattform #c0da versammelt Beiträge aus Kunst und Wissenschaft, die sich aus feministischer Perspektive mit dem Internet und dem binären Code auseinandersetzen.

Katrin Mayer versteht sich nicht in erster Linie als Cyberfeministin, sondern als Künstlerin. Ihr Ansatz wurzelt in der Konzeptkunst, der Analyse und Reflexion von Räumen, und im feministischen Diskurs. Die Untersuchung des digitalen Raums drängte sich ihr erst auf, als sie ihr geplantes Projekt im Rahmen ihres Stipendiums für künstlerische Forschung 2020 aufgrund der Pandemie nicht weiterverfolgen konnte. Mit #c0da schuf sie ein Projekt, in dem Positionen des Cyberfeminismus auf aktuelle, junge Perspektiven.

Töchter des Cyberfeminismus

Die interdisziplinär arbeitende Künstlerin Luzie Meyer entwirft in ihrem Hörspiel Stitch Theory ein Gegenmodell zu – wie sie schreibt – „patriarchal“ geprägten Räumen und Ordnungen. Sie arbeitet mit ästhetischen Brüchen, semantischen Verstrickungen und Verfremdungseffekten. Durch Musikalität, Absurdität und die Verflechtung verschiedener Genres entwirft sie Gegenmodelle zu üblichen Strukturen des Denkens und der Weltwahrnehmung. Die Künstlerin und Autorin Sophia Eisenhut hingegen setzt die sich mit der Performativität und Materialität des Schreibens im Kontext einer feministischen Sprachkritik auseinander. Für EX PONTO BITCHES filmt sie ihren Screen beim Verfassen eines philosophischen Essays und führt so die teilweise kuriosen Vorschläge der Korrekturfunktion vor.

#c0da sollte nicht nur ein Projekt im Cyberspace sein, sondern in institutionellen Ausstellungshäusern gastieren. Im Badische Kunstverein stellte die Künstlerin erstmals nicht nur die Beiträge der Plattform vor, sondern entwickelte ein Display und verknüpfte #c0da Recherchen zur Kulturgeschichte des Büros. Sie schuf ein minimalistisches Environment aus Trennwänden, Bürotischen und Screens. Die Trennwände stehen für die Linien, die bei der Gestaltung der Webseite #coda eine zentrale Rolle spielen. Freiformschreibtische verweisen auf Büroeinrichtungen, die durch den Siegeszug des Homeoffice und die fortschreitende Entwicklung digitaler Geräte überflüssig geworden sind. Mit ihrer Einbuchtung an der Stuhlseite unterstützte diese Tischform den Bewegungsradius der Angestellten. Sie schrieben die Körper regelrecht in ihre Form ein, bemerkt Mayer.

Blick in einen großen Saal, in dem Freiformschreibtische und Trennwände ais Pappe stehen. stehen
In ihrer Ausstellung #c0da comptoir spiegelt Katrin Mayer die Struktur ihrer Webseite #c0da im realen Raum.

Die Büromöbel dienen in der Ausstellung als Ablage-Fläche für Beamer und Kopfhörer. Wer möchte, kann die audiovisuellen Arbeiten von #c0da in der Ausstellung anschauen. Unter diesen Beiträgen ist auch der visuelle Essay convulsa or The Need for Each Other’s Relay von Katrin Mayer. Darin taucht sie ab in die Welt der Zeichen und der Sprache. In gedanklichen Loops erzählt sie die Entstehung der digitalen Welt neu.

Denn in den frühen elektrischen Telefonzentralen steckten Frauen die Verbindungen und waren die Bedienung der Schreibmaschine zuständig. Sie gehörten zu den ersten Programmierinnen. „Wir sind lange davon ausgegangen, dass Computer und Programmierung etwas sehr Männliches sind, was aber historisch gar nicht zutrifft. Die Bezeichnung a computer war eine Berufsbezeichnung für eine Frau, die Berechnungen durchführt“, sagt Katrin Mayer.

Programmieren war Frauensache

In den 1940er Jahren bedienten Frauen den ersten Universalrechner der USA. Sie berechneten die Flugbahnen unterschiedlicher Munitionstypen. Für diesen 1946 in Philadelphia in Betrieb genommenen Electronic Numerical Integrator and Computer wurden gezielt Frauen mit College- oder Uni-Abschluss in Mathematik oder Physik gesucht und eingesetzt. Und auch im britischen Bletchley Park knackten neben Alan Turing vor allem Frauen die kodierten Geheimbotschaften der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs.

Die Künstlerin arbeitet international und entwickelt ortsspezifisch konzipierte Arbeiten. In einer Ausstellung 2014 in New York codierte sie weiße Blusen, in dem sie Details pink einfärbte: Einen Teil des Kragens, eines Schleifenbandes, einer Rüsche. Damit knüpfte sie an den Standort der Galerie an der Lower Eastside an, der einst Distrikt der Textilherstellung auf Manhattan war. Indem sie die weiße Bluse, ein Symbol der Büroarbeit, mit der Farbe des Feminismus versah, unterbrach sie die Gleichförmigkeit des Kleidungsstücks – eine kleine Intervention mit großer Wirkung. Ihre subversiven, geistreichen Gesten addieren sich zu einem Kosmos der Abweichungen. Indem sie Ordnung und Struktur materiell durchbricht, durch vom Mainstream abweichende Erzählungen auflöst oder an Pionierinnen wie Ada Lovelace erinnert, entsteht ein neuer, ein ästhetischer Raum.

fanny - Slang für Vulva

Oftmals schließt sie die Welt der Zeichen, des Codes und des Diskurses mit kulturgeschichtlichen Sidekicks kurz. Für die Ausstellung in Karlsruhe ließ sich Katrin Mayer vom Gründungsmythos der Stadt für eine witzige wie geistreiche Recherche inspirieren. Der Legende nach verirrte sich Markgraf Karl Wilhelm von Durlach auf der Jagd im Wald, schlief auf einer Lichtung ein und träumte von einem Fächer – der Struktur seiner zukünftigen Residenzstadt mit dem Schloss im Zentrum. Von dort aus führten Straßen strahlenförmig in das umliegende Land.

Katrin Mayer greift den mit Lineal und Zirkel konstruierten Stadtgrundriss in Form eines Fächers auf und spekuliert über die sexuelle Konnotation des fan. Fanny sei im Englischen ein Slangbegriff, der für Vulva stehe. Trieb Karl Wilhelm womöglich auch ein Begehren an? Über diese Assoziationskette gelangt sie auf eine weitere Bedeutung des Fächers: 1891 fand in Karlsruhe eine große Ausstellung zum Fächer als weibliches Accessoire statt. Den Damen diente der Fächer jedoch nicht nur zur Abkühlung, sondern auch als Code. Geöffnet oder geschlossen, rechte oder linke Hand, ein diskretes Zeichen und die Herren wussten, woran sie waren.

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