Gefährliches Abhnehmmittel vom Instagram-Händler: Behörden warnten erst nach drei Monaten

Schlankheitsmittel aus dem Internet enthielten einen hochgefährlichen, verbotenen Wirkstoff. Doch erst drei Monate, nachdem eine Verbraucherin über Bauchschmerzen klagte, warnen Behörden öffentlich vor dem Produkt. Wie kam es zu dem Verzug?

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Eine rote Nadel auf der Skala einer Waage deutet einen Gewichtsverlust an.

Den Verdacht, dass mit den Abnehm-Pulvern etwas nicht stimmte, hegte eine Verbraucherin aus dem Main-Taunus-Kreis bereits Ende März dieses Jahres. Mehrere Kilogramm Gewichtsreduktion in nur einem Monat – mit „Coffee Slim Secret“ und „Detox Slim Secret“ sei das möglich, versprach ein Unternehmer. Die Produkte importierte er aus der Türkei und vertrieb sie per Direktnachricht auf Instagram. Nach dem Konsum aber klagte die Kundin über Bauchschmerzen, berichtet ein Sprecher des hessischen Landkreises.

Am Nachmittag des 29. März 2023 habe die Frau das dortige Verbraucherschutzamt informiert. Heute steht fest: Die vermeintlich rein pflanzlichen Schlankheitsmittel enthielten Sibutramin – einen Arzneimittelwirkstoff, der seit 2010 weltweit verboten ist. Die Verbraucherzentralen stufen ihn als „lebensbedrohlich“ ein, selbst unter ärztlicher Kontrolle sei es in der Vergangenheit zu mindestens 49 Todesfällen gekommen.

Erst drei Monate nach dem Hinweis der Verbraucherin aber erfuhren Kund:innen von den gefährlichen Produkten: am 30. Juni, als der baden-württembergische Ostalbkreis mit einer Warnung vor je einer Charge der beiden „Slim Secret“-Produkte an die Öffentlichkeit ging. Sibutramin verursache „gravierende Nebenwirkungen wie ein erhöhtes Herzinfarktrisiko für Herz-Kreislauf-Patienten, Blutdruckerhöhung, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit“, steht dort nebst einem Verweis auf Todesfälle im Zusammenhang mit dem Wirkstoff. Warum dauerte es angesichts solcher Risiken so lange, bis Behörden warnten?

Hessisches Landeslabor räumt Fehler ein

Zunächst geht alles schnell. Zwei Tage nach dem Hinweis der Verbraucherin liegen den Lebensmittelprüfern des Main-Taunus-Kreises bereits Proben der Produkte vor. Noch am 31. März schicken sie sie ans Hessische Landeslabor, das die verbotene Substanz in beiden Produkten schließlich nachweist. Doch die Untersuchung dauert. Erst am 17. Mai liegt das Ergebnis dem Kreis vor – eine Warnung ausgelöst hatte das Hessische Landeslabor nicht. Für den Main-Taunus-Kreis sei deshalb „keine sofortige Dringlichkeit erkennbar“ gewesen, erklärt der Sprecher. Das Hessische Landeslabor räumt auf Anfrage ein: „Dies Auslösung einer Schnellwarnung ist aufgrund eines menschlichen Fehlers versäumt worden.“ Die Abläufe würden geprüft, um eine derartige Panne in Zukunft auszuschließen.

Doch es verstreicht noch mehr Zeit. Am 22. Mai sichten die Fachleute des Main-Taunus-Kreises schließlich die Daten, am 2. Juni informieren sie den Ostalbkreis, in dem der Instagram-Händler seine Adresse hat. Die Labordaten übermitteln sie nicht digital, sondern per Post, weshalb sie nach Angaben der nunmehr zuständigen Behörde in Baden-Württemberg erst am 12. Juni dort eintreffen. Fast zweieinhalb Monate sind bis dahin bereits vergangen – zweieinhalb Monate, in denen die potenziell gefährlichen Produkte weiterverkauft werden konnten.

Schweizer Behörde: Viele Schlankheitsmittel aus dem Internet belastet

Vermeintliche Wundermittel zum Abnehmen liegen im Trend. Sie bereiten Behörden international große Sorgen. Im April warnte die Schweizer Heilmittelbehörde Swissmedic grundsätzlich vor „sogenannten pflanzlichen Tees, pflanzlichen Kapseln und natürlichen Flüssigkonzentraten“, die Internethändler als Schlankheitsmittel oder zur Potenzsteigerung anbieten. Bei einigen Verbrauchern seien zuletzt „starke Nebenwirkungen“ aufgetreten, und eine Analyse zeige, dass viele Produkte nicht deklarierte Wirkstoffe enthielten. Swissmedic nennt 30 Produktbeispiele – 12 davon mit dem verbotenen Appetitzügler Sibutramin. Die Verbraucherzentralen gehen davon aus, dass illegale Internet­-Produkte den Wirkstoff oft sogar noch in deutlich höherer Konzentration enthalten als einstmals zugelassene Medikamente: „Das gesundheitliche Risiko ist daher besonders hoch.“

Auch die Experten des Ostalbkreises erkennen die Gefahr: Als das Gutachten aus Hessen eingetroffen ist, informieren sie noch am selben Tag das Polizeipräsidium Aalen, mit dem sie am 14. Juni eine gemeinsame Kontrolle bei dem Instagram-Händler Furkan Kabakyer durchführen und Reste der betroffenen Produktchargen beschlagnahmen. Einen Rückruf samt Information der Kundschaft über seine Social-Media-Kanäle aber führt der Unternehmer zunächst nicht durch, heißt es bei der Behörde. Am 15. Juni ordnet sie den Rückruf an.

Vier Tage später jedoch findet sie im Instagram-Kanal „slimsecret_“ keinen Hinweis. Der Betreiber habe mitgeteilt, dass eine Warnung 24 Stunden lang eingestellt gewesen sei. Belegen, dass er seine Kunden wie vom Amt gefordert per Direktnachricht informiert hat, kann er der Kreisbehörde zufolge nicht.

Unternehmer weitet Warnung aus

Dass das Amt so lange abwartet, hängt wohl auch mit den Besonderheiten der auch für derartige Schlankheitsmittel einschlägigen Lebensmittelgesetze zusammen. Sie geben Unternehmen das Recht, im Falle eines Rückrufs selbst an ihre Kunden heranzutreten – tun sie dies, ist den Behörden eine öffentliche Warnung sogar untersagt. Wie viel Zeit die Unternehmen dafür haben, lassen die Vorschriften allerdings offen. Es ist einer der Gründe dafür, warum Warnungen vor gefährlichen Produkten immer wieder erst mit Verspätung bei den Menschen ankommen.

Im Ostalbkreis verlieren die Lebensmittelprüfer nach weiteren Tagen schließlich die Geduld mit Kabakyer: Am 30. Juni publizieren sie selbst eine Warnung auf der Internetseite der Verwaltung. Die Meldung erscheint auch im bundesweiten, staatlichen Warnportal lebensmittelwarnung.de – was zumindest einige Medien dazu bringt, sie zu verbreiteten. Eine größere Reichweite hätte der Ostalbkreis wohl sicher mit einer direkt an Redaktionen verschickten Presseerklärung bewirkt. Dies habe man jedoch als nicht zielführend eingestuft, erklärt eine Sprecherin: Weil die Produkte über soziale Medien vertrieben wurden, nahm man an, dass „die Kunden nicht auf diesem klassischen Wege erreicht werden können“.

Seit Mitte Juli deutet die „slimsecret_“-Seite auf Instagram darauf hin, dass das Problem noch größer sein könnte. Inzwischen stehen dort sogar zwei Warnungen: Sie beziehen sich ganz allgemein auf die Produkte „Slim Secret Coffee“ und „Slim Secret Detox“, nicht nur auf einzelne Chargen – und führen noch ein drittes Produkt auf. Auch der „Slim Secret Tea“ enthält demnach Sibutramin. Furkan Kabakyer, der Betreiber, lässt eine Anfrage über seine Instagram-Seite unbeantwortet.

Transparenzhinweis: Der Autor war bis Anfang 2021 Geschäftsführer der Verbraucherorganisation foodwatch.

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