Nobelpreis, aber anders: Erst lachen, dann nachdenklich werden
Mit dem Ig-Nobelpreis wird Forschung ausgezeichnet, die skurril anmutet, aber seriöse Hintergründe aufweist. Hier sind die Gewinner des Jahres 2024.
Wenn ein Freiwilliger in einem aufblasbaren Kuhkostüm auf die Bühne tritt, auf dem Rücken des schwarz-weißen Plastiktiers eine Plüschtierkatze sitzt und rund um das Kuscheltier herum fünf echte Nobelpreisträger:innen aufgepustete Papiertüten zum Platzen bringen, dann, ja dann spricht vieles dafür, dass man einer Verleihung der Ig-Nobelpreise beiwohnt. Willkommen zur Wissenschaft, „die Leute erst lachen und dann nachdenken lässt“.
Zum 34. Mal wurden im September in einem Hörsaal des ehrwürdigen Massachusetts Institute of Technology (MIT) die Ig-Nobelpreise verliehen. Mit den einst von Alfred Nobel gestifteten Auszeichnungen hat diese Ehrung nichts zu tun. Der Name des Preises ist ein Wortspiel, das bereits einen Hinweis gibt: „ignoble“ bedeutet im Englischen in etwa „unwürdig“ oder „schmachvoll“. Eine Schmähung stellt die Verleihung allerdings nicht dar. Vielmehr freuen sich die meisten Preisträger:innen, nicht zuletzt über Aufmerksamkeit für ihre – meist – seriöse Forschung.
Jury aus Fachleuten und „kleinerer oder größerer Eminenz“
Feste Kategorien gibt es für die jährlich zehn verliehenen Preise nicht, auch darf die zugrunde liegende Forschung schon älter sein. Einzige Bedingung: Die Leistung muss originell sein, erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen. Die Jury setzt sich bunt zusammen aus Nobel- und Ig-Nobelpreisträger:innen, Sportler:innen, „Individuen von größerer oder kleinerer Eminenz“ sowie einem am Tag der Entscheidung zufällig ausgewählten Passanten.
Sehr lange zurück lag in diesem Jahr die älteste Forschung, derer mit der eingangs erwähnten Aufblaskuh gedacht wurde: 1941 hatte der Agrarforscher Fordyce Ely untersucht, welchen Effekt Angst darauf hat, ob eine Kuh Milch absondert. Dazu setzte er der Kuh eine Katze auf den Rücken und erschreckte die Tiere, indem er Papiertüten knallen ließ. Es hatte keinen Effekt auf den Milchstrahl der Kuh.
Tote Fische schwimmen gegen den Strom
Etwas aktueller ist die Forschung von Jimmy Liao, der vor 20 Jahren eigentlich untersuchte, wie Regenbogenforellen gegen den Strom schwimmen. Dabei entdeckte er winzige Muskelbewegungen des Kopfes, mittels derer die Tiere kleine Verwirbelungen im Wasser ausnutzten. Geehrt wurde er aber für einen zweiten Teil des Experiments. Darin band er einen toten Fisch an einer Leine in die Strömung und stellte fest: Auch tote Forellen schwimmen gegen den Strom. Mathematisch konnte sein Kollege zeigen, dass dies unter bestimmten Strömungsbedingungen auch rechnerisch möglich ist. Das kuriose Experiment hat praktische Auswirkungen: Es hilft Ökolog:innen, in Wasserläufen möglichst kraftsparende Rastplätze für wandernde Fische anzulegen.
Der Friedens-Ig-Nobelpreis ging in diesem Jahr an den Psychologen B. F. Skinner. Er hatte Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine geniale Idee, wie man zielfindende Raketen bauen könnte: indem man den Orientierungssinn von Tauben nutzt. Skinner wollte Tauben in die Raketen setzen und zur Steuerung verwenden. Dazu untersuchte er, wie man Tauben dazu bringen könnte, sich eben dort zuhause zu fühlen. Die Erfolglosigkeit des Unterfangens war nicht nur friedensfördernd. Sie war auch eine der Geburtsstunden der modernen Verhaltensforschung, für die Skinner später berühmt wurde.
Einen Preis für Botanik erhielten Jacob White und Felipe Yamashita. Sie hatten nachgewiesen, dass ein südamerikanisches Fingerfruchtgewächs mit seiner Blattform die Blätter einer benachbarten künstlichen Pflanze nahezu exakt imitiert. Eine so starke Anpassung – und das ohne direkten Kontakt – war zuvor noch nicht beschrieben worden. Seitdem wird spekuliert, ob diese Pflanze über sogenannte Punktaugen verfügt, einfache Lichtsinnesorgane, die schon früh in der Evolution aufgetreten sind und bei einigen Insekten vorkommen.
Bestimmt die Hemisphäre die Drehrichtung von Haarwirbeln?
Marjolaine Willems wurde mit dem Anatomiepreis geehrt. Sie hatte untersucht, ob sich die Haare von Menschen auf der Nordhalbkugel andersherum verwirbeln als bei Menschen auf der Südhalbkugel. Wasser verhält sich aufgrund der von der Erdrotation verursachten Corioliskraft tatsächlich so, dass es auf Nord- und Südhalbkugel in unterschiedlicher Richtung Wirbel bildet, etwa wenn es in einen Abfluss fließt. Der Studie zufolge drehen sich Haarwirbel auf der Südhalbkugel besonders häufig gegen den Uhrzeigersinn. Weit stärker beeinflussen aber die Gene die Drehrichtung.
Atemberaubend ist die Entdeckung, für die Takanori Takebe den Anatomiepreis erhielt: Er hatte mit seinem Team nachgewiesen, dass manche Säugetiere durch ihren Anus atmen können. Das ist nicht nur skurril, sondern von großer medizinischer Relevanz: Patient:innen, bei denen im Krankenhaus die Lunge versagt, könnten so vorübergehend rektal mit Sauerstoff versorgt werden.
Kopf oder Zahl? So steigen die Gewinnchancen
Den Wahrscheinlichkeitspreis – und ein Fleißkärtchen – hat sich ein niederländisches Team verdient: Theoretisch, aber auch in mehr als 350.000 Versuchen, wies es nach, dass eine Münze, die für Kopf oder Zahl geschnippt wird, mit höherer Wahrscheinlichkeit auf derselben Seite landet, auf der sie gestartet ist.
Placebos auf eine neue Ebene gehoben haben drei Forscher, die demonstrierten, dass die Pseudomedikamente mit ihren eigentlich wirkungslosen Substanzen dann besonders hilfreich sind, wenn sie unangenehme Nebenwirkungen erzeugen. Das ergänzt ein früheres Experiment, das belegte, dass besonders teure Placebos auch besonders hilfreich sind.
Nüchterne und betrunkene Würmer sortieren
Den Chemiepreis gab es für ein Verfahren, das nüchterne und betrunkene Würmer auseinander sortiert. Dahinter steckt eine ernsthafte Anwendung: Nach dem gleichen Prinzip könnten chemische Verbindungen nach bestimmten Eigenschaften aufgetrennt werden.
Der letzte Preis des Jahres ging an Saul Justin Newman. Er dokumentierte, dass die meisten Menschen, die für ein besonders langes Leben berühmt sind, dort leben, wo es die schlechtesten oder keine Geburtsregister gibt, oder in Regionen mit einem hohen Anteil an Rentenbetrüger:innen.