60 Fußballfelder für das Sternenfeuer: Wenn Wissenschaft an ihre Grenzen geht

Das Feuer der Sonne auf der Erde zu entzünden, war jahrzehntelang ein belächelter Traum. Doch nun haben Physiker realistische Aussichten, ihn zu verwirklichen. Zwei Besuche bei großen Kernfusionsexperimenten zeigen aber auch, welche extremen Herausforderungen das Vorhaben an Forscher und Entwickler stellt.

13 Minuten
Montagearbeiten im Plasmagefäß des experimentellen Kernfusionsreaktors Wendelstein 7-X in Greifswald

Nach einer gemächlichen Bahnfahrt durch Pommern, vorbei an wuchtigen Backsteinkirchen, Rapsfeldern und Wiesen, über die Kraniche staksen, sticht das langgestreckte Dach am Stadtrand von Greifswald mit seinen ansteigenden Wellen ins Auge. Schon die Architektur des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik zeigt, dass hier etwas Exotisches entsteht, etwas, das Dynamik ausstrahlen soll. Hier wollen Physiker an die Grenzen ihrer Wissenschaft gehen und dabei, im Erfolgsfall, die Energieversorgung auf neue Beine stellen.

In der zwanzig Meter hohen Experimentierhalle blickt man von einer Galerie auf ein Chaos aus Rohren, Kabeln, Stangen und Flanschen. Die eigentliche Anlage mit der Form eines Fahrradschlauchs von knapp 13 Metern Durchmesser lässt sich nur erahnen. Die Frage, aus wie vielen Einzelteilen „Wendelstein 7-X“ besteht, beantwortet Robert Wolf mit einem Schulterzucken. „Das hat noch niemand gezählt“, sagt der Physikprofessor.

Wendelstein 7-X ist ein „Stellarator“. „Stella“ ist italienisch und heißt „Stern“. Tatsächlich wollen die 400 Mitarbeiter des Instituts einen Stern nachbauen. Zumindest die Art, wie Sterne Energie gewinnen. Das bedeutet, extreme Bedingungen zu meistern: Tief im Inneren des nächstgelegenen Sterns, der Sonne, herrschen 15 Millionen Grad und ein Druck, der 250 Millionen Mal höher ist als der Luftdruck auf der Erdoberfläche.

Ein Kilo Brennstoff reicht für ein Großkraftwerk

Dieses Inferno reißt die Elektronen aus den Wasserstoffatomen, sodass die nackten Atomkerne frei herum rasen, ein Aggregatzustand, den Physiker „Plasma“ nennen. Die Atomkerne überwinden ihre gegenseitige Abstoßung und verschmelzen paarweise zu einem größeren Atomkern: dem Helium. Die Kernreaktion setzt sehr viel mehr Energie frei, als es bei chemischen Reaktionen wie der Verbrennung von Kohle üblich ist. „Ein Kilogramm Fusionsbrennstoff reicht, um ein Großkraftwerk für einen Tag zu betreiben“, sagt Thomas Klinger, wissenschaftlicher Leiter von Wendelstein 7-X.

Zur hohen Effektivität der Kernfusion kommt ihre Sauberkeit: Weder Kohlendioxid noch langlebiger radioaktiver Abfall fallen an. Kein Wunder, dass Forscher seit den späten 1940 ern versuchen, diese Energiequelle anzuzapfen – lange mit mäßigem Erfolg. Doch in letzter Zeit gab es einige spektakuläre Fortschritte in der Fusionsforschung. Politiker setzen sich für die Kernfusion ein, wie etwa Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Sie stellt sie als eine Energieoption für die nahe Zukunft dar. Doch wie reif ist die Technologie wirklich? Kann die Kernfusion schon bald wesentlich zur klimaneutralen Energieversorgung beitragen? Oder ist sie noch immer ein langfristiges Forschungsprojekt?

Blick auf den experimentellen Fusionsreaktor Wendelstein 7-X in Greifswald.
Blick auf den experimentellen Fusionsreaktor Wendelstein 7-X in Greifswald.
Eine der Magnetfeldspulen der Fusionsanlage Wendelstein 7-X
Eine der Magnetfeldspulen der Fusionsanlage Wendelstein 7-X
Luftaufnahme der 60 Fußballfelder großen Baustelle des Fusionsreaktors Iter in Südfrankreich.
Luftaufnahme der 60 Fußballfelder großen Baustelle des Fusionsreaktors Iter in Südfrankreich.
Blick in die Montagehalle des experimentellen Fusionsreaktors „Iter“ in Südfrankreich.
Blick in die Montagehalle des experimentellen Fusionsreaktors „Iter“ in Südfrankreich.
Eines der Segmente des Vakuumgefäßes der Fusionsanlage Iter, die derzeit repariert werden.
Eines der Segmente des Vakuumgefäßes der Fusionsanlage Iter, die derzeit repariert werden.
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