Rettet den Marsmaulwurf
Eigentlich sollte ein tiefes Loch in den Marsboden gehämmert werden. Aber der Marsmaulwurf steckt fest – und guter Rat ist teuer.
„Musst du eigentlich überall deinen Finger reinstecken?“ – Diesen Satz kennt jedes Kind und wir alle haben ihn sicher noch im Ohr. Tatsächlich aber sind Kinder die besten Forscher und bringen schlicht ihr genetisches Erbe zum Einsatz: Homo sapiens trieb seine langen Finger schon immer durch Neugierde voran, Unbekanntes zu befühlen und gerade auch dorthin vorzudringen, wo Augen nichts erkennen können. Dort kann man doch am meisten lernen – auch wenn es manchmal weh tut. Auch der NASA-Marslander InSight hat das getan – und kämpft nun seit über zwei Monaten mit einem Problem: Der Bohrer, der eigentlich ein Hammer ist, steckt fest. Es geht nicht voran – herausziehen ist keine Option.
Während die Warnungen der Eltern sicher gelegentlich legitim sind, ist das Hineinbohren, das Hindurchstecken, das Befühlen unsichtbaren Terrains auch weiterhin ein probates Mittel der Forschung, wenn etwas unsichtbar verborgen liegt, das wir gerne verstehen würden. Geologen bohren schon sehr lange gerne Löcher – und einen größeren Teil unseres Wissens über den Aufbau der Erdkruste oder über den beständigen Strom von Hitze aus dem Erdinneren kennen wir aus eigens dafür gebohrten Löchern.
Erstaunlicherweise gehören Bohrgeräte in der Raumfahrt allerdings bislang nicht zum üblichen Instrumentarium: Die Apollo-Astronauten hatten noch Bohrer für maximal drei Meter tiefe Löcher dabei. Die Marsrover Spirit und Opportunity waren die ersten planetaren Gefährte, die Bohrgeräte erfolgreich einsetzten. Aber es waren wenig ambitionierte Kratzbürsten: Sie konnten lediglich wenige Millimeter am Sediment herumkratzen. Denn für eine mobile Sonde wäre es fatal, wegen eines wie ein Anker wirkenden Bohrers an einem unbedeutenden Stein hängen zu bleiben. Der bis heute aktive Rover Curiosity kann mit seinem Bohrer immerhin fünf Zentimeter ins Gestein vordringen und es dabei zu Pulver zermahlen, das dann in Laborexperimenten im Roverinneren näher analysiert werden kann. Der Kometenlander Philae sollte sich mit einem Hammer in die Tiefe vorarbeiten; er ist einer der Vorgänger des aktuellen Maulwurfs. Doch dieses Vorhaben gelang nicht, weil der Kometenlander Philae im Jahr 2014 unerwartet schief aufsetze.
Das Problem des Maulwurfs
Am 26. November 2018 landete die erste Sonde auf dem Mars, die all das wieder einmal probieren sollte: InSight ist ein stationärer Lander ganz ohne Räder. Wo er steht, bleibt er stehen. Es ist also nicht missionsgefährdend, steckenzubleiben. Allerdings besitzt InSight nur einen fingerförmigen Hammerbohrer, und zwar einen recht wertvollen: Das Heat Flow and Physical Properties Package (HP³), eines der nur zwei wesentlichen Instrumente an Bord der 875 Millionen Dollar teuren Mission. In einem 35 Zentimeter langen und gut Filzstift-dicken Schaft steckt ein Hämmermechanismus samt Motor und zweier Federn. All das sollte sich nun selbst in die Tiefe hämmern, idealerweise bis zu zu fünf Meter hinab. Die Forscher veranschlagten dafür im besten Fall 30 Marstage. Danach sollte ein Marsjahr lang der Wärmefluss aus der Marstiefe erforscht werden.
Animation des Hämmermechanismus des Maulwurfs von HP³ (Video: DLR)
Am 20. Februar 2019 setzte der Roboterarm eine kaum Schuhkarton-große Box auf den Marsgrund, rund zwei Meter vor dem Landegestell. Dieser Abstand ist notwendig, damit HP³ nicht beschattet wird, denn das würde die Temperaturmessungen verfälschen. Der Hammer selbst ist eigentlich ein Nagel, der sich durch eine Masse in seinem Innern und mit zwei dämpfenden Federn selbst nach unten hämmern kann. Dieser Maulwurf (mole) wurde nun entsperrt und setzte im Marsstaub auf. Und er hämmerte. Und hämmerte. Und hämmerte. Aber es brachte nur wenig.
Tausende Schläge gab es, aber der Maulwurf kam kaum tiefer als 30 Zentimeter, obwohl jeder Schlag ihn zumindest Millimeter vorangeführt haben sollte. In den folgenden Tagen gab es noch einen weiteren Versuch, tiefer zu kommen – doch vergebens. Seither verharrt der Maulwurf in dieser Position, für ein Herausziehen der Hämmersonde ist kein Mechanismus vorhanden (Quelle: DLR/Tagebuch des Instruments). Die Forscher sind einigermaßen ratlos. „Wir wissen nicht genau, wie das Steckenbleiben passiert ist. Wir haben aber unsere Hypothesen“, sagt Tilman Spohn vom Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Berlin, der verantwortliche Principal Investigator von HP³:
- Hypothese: Der Hammerschaft hat sich in seiner Haltestruktur verhakt und hängt daran fest. Wirklich gut ist die Erklärung aber nicht: Denn Simulationen der DLR-Forscher haben gezeigt, dass dann auch seine Sensoren Schaden genommen haben müssten. Aber die liefern weiter tadellos Messdaten ab.
- Hypothese: In 35 Zentimeter Tiefe liegt ein großer Stein, durch den der Maulwurf weder hindurch, noch daran vorbei kommt. Allerdings besteht die Ebene Elysium Planetia, in der InSight steht, aus feinem Sand und Kies. Natürlich könnte da dennoch ein größerer Stein verborgen sein, aber laut NASA-Geologen ist das nicht sonderlich wahrscheinlich.
- Hypothese (die wahrscheinlichste): Der Maulwurf konnte die dicke Kruste durchdringen, aus der die obersten Zentimeter der Oberfläche dank verkrusteter Salze bestehen, darunter ist das Material eventuell loser. Der Hammer kann den Maulwurf aber nur vorantreiben, wenn er Reibung an seiner Außenwand erzeugt. Wenn er weitgehend freihängt (oder das feine Material schlicht nicht fest genug auf die Wand drückt), springt der Maulwurf nach jedem Schlag wieder auf die Ausgangsposition zurück, in Endlosschleife.
Was nun?
Was macht das Kind, dessen Finger nach allzu viel Neugier nicht mehr freikommt? Es windet ihn, zerrt, bis die Haut schmerzt. Vielleicht kommt es irgendwann auf die Idee, das Umfeld zu verändern: Lässt sich das Loch selbst mit Kraft verändern?
Auf dem Mars geht es nun nicht darum, den Maulwurf herauszuziehen – er soll stattdessen viel tiefer ins Loch. Jedoch hat Tilman Spohn mit einigen genau geplanten Hammerschlägen versucht, herauszufinden, wie fest der Maulwurf tatsächlich mit dem Untergrund verbunden ist.
Die Klopfgeräusche, die das nicht weit entfernende Seismometer SEIS aufgefangen hat, sprechen dafür, dass der Maulwurf tatsächlich ein bisschen Kontakt zum lockeren Sediment in seiner Umgebung hat und dass vielleicht nicht viel fehlt, um den Hammer in Bewegung zu versetzen. Daher wird die NASA nun versuchen, mit InSights Roboterarm auf das Sediment nahe des Maulwurfs zu drücken. Wenn das nicht reicht, ließe sich auch die nun nicht mehr benötigte Haltestruktur entfernen, die derzeit noch über dem Hämmermaulwurf steht, die aber nicht mehr benötigt wird. Dann können die Forscher ausschließen, dass der Maulwurf (Hypothese 1) nicht doch einfach noch daran festhängt.
„Wenn der Maulwurf da stecken bleibt, können wir die Messungen des Wärmeflusses vergessen.“
Der Maulwurf soll erstmals Temperaturen der obersten fünf Meter der Marskruste messen. Das klingt unerheblich, ist es aber nicht: Denn während die Oberfläche selbst im Sommer von der Sonne gewärmt wird und im Marswinter abkühlt, erfährt das Sediment nur einige Meter darunter einen konstanten Wärmestrom. Wie groß der ist, soll InSight herausfinden. Dieser Wärmestrom kommt tief aus dem Marsinneren und rührt von radioaktivem Zerfall her. Wie sehr der Mars sich selbst beheizt, ist ein wichtiger Gratmesser dafür, wie sich der Planet einmal entwickelte – und was tief in ihm bis heute vor sich geht. Wie aktiv seine zahlreichen Vulkane noch sind, ist etwa ein ungelöstes Rätsel.
Wie es nun mit dem Maulwurf weitergeht, ist ungewiss: Sollte HP³ bis zum Ende der Mission im Jahr 2020 bei 30 Zentimetern steckenbleiben, könnte es immerhin Temperaturwerte aus dieser Tiefe liefern. Eine von der ESA für 2007 geplante, aber gestrichene Mission namens Netlander hatte genau dieses Ziel, Temperaturen in relativ flachen Löchern zu messen. Doch Tilman Spohn gibt auch zu: „Wenn der Maulwurf da stecken bleibt, können wir die Messungen des Wärmeflusses vergessen.“
Tilman Spohn sagt weiter: „Wir wussten, dass es ein hohes Risiko gibt, und das hat sich auch bewahrheitet.“ Doch zukünftige Sonden sollen wiederum Bohrer tragen und auf dem Mars sogar in noch größere Tiefen vordringen. Dafür haben die Forscher aus dem Kampf des Marsmaulwurfs mit dem Marssediment bereits einiges gelernt: Sie würden der HP³-Sonde nun Widerhaken an ihrer Spitze mitgeben, damit sie nicht zurückschnellen kann. Diese waren ursprünglich sogar Teil des HP³-Maulwurfs gewesen, wurden aber aus Sicherheitsgründen entfernt. Zusätzlich würden die Planetologen bei zukünftigen Marsmaulwürfen mit einer etwas längeren und schwereren Hämmersonde arbeiten, damit sie die lockeren Bereiche der Bodenschicht durchdringen kann.
Die nächsten Schritte auf dem Mars? Die Forscher wollen nun sichergehen, dass Hypothese 1 nicht vielleicht doch stimmt – und die Haltevorrichtung des Mole wegziehen. Danach lässt sich der Untergrund vielleicht auch mit dem Roboterarm von oben zusammendrücken – und dem Maulwurf zu mehr Reibung verhelfen.
Nachtrag, 2. Juli 2019
Nach langen Versuchen im Labor des Jet Propulsion Laboratory der NASA haben die Forscher entschieden, wie vorher geschildert die Haltevorrichtung von HP3 mit dem Roboterarm wegzuziehen: Dieses Vorgehen barg einiges Risiko, denn wäre der stabförmige Hammer dabei selbst aus dem Marsstaub herausgezogen worden, wäre das gesamte Instrument verloren geworden. Ein zweites Einhämmern ist nicht vorgesehen.
Das Wegziehen der Haltevorrichtung hat am 30. Juni 2019 nun geklappt, wie das Bild zeigt. Die nächsten Schritte: Die nun frei gewordene GrubeI soll mit Insights Schaufel verfüllt worden, bevor die Schaufel den Untergrund nahe des Lochs belasten soll. Die Forscher hoffen, dass dieser Druck ausreicht, dass der Hammer dann weiter in die Tiefe vordringen kann und vielleicht sogar die anvisierten fünf Meter tief kommt (Quelle: DLR Blog).