Verglühende Satelliten könnten Ozonschicht gefährden
Tausende Satelliten des US-Konzerns SpaceX bieten seit einigen Monaten schnelle Internet-Verbindungen für ausgewählte Regionen. Jetzt warnen Forschende: Wenn die Zahl im Orbit weiter rasant wächst, könnten verglühende Satelliten die Ozonschicht gefährden und sogar das Klima beeinflussen.
Die Hilfe für das Ahrtal kam auch aus dem All: Als im Juli nach starken Regenfällen und einer Sturzflut neben Straßen und Brücken auch viele Funkmasten zerstört waren, ließ das Bundesland Rheinland-Pfalz kurzerhand 35 Antennen für das neue Satelliten-Netzwerks Starlink aufbauen. Anwohner und Helfende vor Ort konnten sich über sie einwählen und Kontakt zur Außenwelt aufnehmen. Das war möglich, weil der Satellitendienst des US-Unternehmens SpaceX zufällig wenige Monate zuvor den Testbetrieb für Teile Westdeutschlands gestartet hatte. Auch für diesen Dienst ist eine immense Infrastruktur notwendig, die allerdings im All kreist: Bis 2024 möchte SpaceX sein Netzwerk auf 4.400 Satelliten ausbauen, über 42.000 hat es bei der FCC, der US-Regulierungsbehörde für Funkfrequenzen, beantragt. Damit möchte SpaceX einen Teil der Weltbevölkerung in abgelegenen Regionen mit Internet versorgen. Weltweit planen mehrere Firmen ähnliche Satellitenschwärme. Bis zum Ende des Jahrzehnts könnten insgesamt über 100.000 Satelliten im All kreisen, und damit rund 30 mal mehr als heute.
In ihrer großen Zahl könnten die Satelliten allerdings schon bald die Atmosphäre gefährden. Davor warnte kürzlich der Astronom Aaron Boley von der University of British Columbia in Kanada in der Zeitschrift Nature Scientific Reports. Denn die Satellitenschwärme werden auf sehr tiefe Umlaufbahnen gestartet, wo jeder einzelne nach wenigen Jahren Arbeit wieder zum Verglühen gebracht wird. Das soll dabei helfen, die Gefahr für Zusammenstöße im All und neuen Weltraumschrott zu vermindern. Doch kann es auch neue Probleme schaffen: Der Astronom Boley berechnete, dass schon bald jeden Tag zwei Tonnen aus Metall und Elektronik in der Atmosphäre verglühen dürften, und das alleine durch das ausgebaute Starlink-Netzwerk.
Immer mehr Aluminium aus Satelliten
Aaron Boley ist vor allem wegen des Aluminiums besorgt, der wichtigste Bestandteil der meisten Satelliten. Das Metall würde durch die Reibungswärme verdampfen und zunächst die Mesosphäre anreichern, also jene hohe Atmosphärenschicht, die sich direkt oberhalb der Stratosphäre befindet. Und darin liegt wiederum die Ozonschicht, die die Erdoberfläche vor der UV-Strahlung schützt. Die Sorge besteht darin, dass sich die Satellitenmetalle mit der Zeit nach unten ausbreiten und schließlich eine Oberfläche für Ozon-abbauende chemische Reaktionen bieten.
Ob aus den verglühenden Satelliten wirklich eine Gefahr für die Ozonschicht erwächst, ist allerdings noch nicht bewiesen. Der Meteoritenexperte Gerhard Drolshagen von der Universität Oldenburg verweist darauf, dass jeden Tag über 50 Tonnen kleine und größere natürliche Gesteinsbrocken in der Atmosphäre verglühen und damit 25 mal mehr als die schon bald im gleichen Zeitraum verglühenden Satelliten. Dazu lösen sich die Satelliten in einer Höhe zwischen 90 und 50 Kilometern in ihre Bestandteile auf, während sich die Ozonschicht 30 Kilometer über dem Boden befindet. Drolshagen hält die Gefahr für die Ozonschicht dennoch für beachtenswert, da natürliche Meteoriten fast kein Aluminium enthalten. Der Aluminiumgehalt in der oberen Atmosphäre wird also recht sicher ansteigen.
Die Masse der verglühenden Satelliten wurde auch von anderer Seite bestätigt: Eine Studie vom Institut für Geophysik und extraterrestrische Physik an der TU Braunschweig kam im Februar 2021 auf Basis der geplanten Megakonstellationen sogar auf höhere Werte als Aaron Boley: In fünf Jahren dürften pro Jahr zwischen 807 bis 2467 Tonnen Aluminium aus Satelliten und Raketenstufen in die Atmosphäre eintreten. Das entspricht 2,2 bis 6,7 Tonnen pro Tag. Meteoriten bringen dagegen täglich gerade einmal 350 Kilogramm Aluminium in die Atmosphäre ein.
Unklare Wirkung auf die Ozonschicht
Welche Folgen das Aluminium sehr vieler verglühender Satelliten hat, wurde bislang von Atmosphärenchemikern kaum untersucht. Besser sieht die Datenlage hingegen für das Space Shuttle und andere Raketen mit Feststoff-Triebwerken aus, die ebenfalls Aluminium ausstoßen. Studien hatten gezeigt, dass Gase aus solchen Triebwerken auf ihrem Weg ins All kurzzeitig Ozonmoleküle zersetzten. Während sich diese lokal begrenzten Ozonlöcher über den Startplätzen der Raketen schon bald verwirbeln, dürfte das verglühte Material der Satelliten sich aber eher verteilen und damit großräumiger wirken.
Diese globale Verteilung des Aluminiums könnte zusätzlich sogar das Klima beeinflussen: Das Versprühen von Aluminium in der oberen Atmosphäre gilt seit Jahrzehnten als Möglichkeit, um die Erde vor allzu viel Sonnenstrahlung abzuschirmen und damit den Klimawandel aufzuhalten. Ob diese Idee des Geoengineering aber überhaupt funktioniert – oder ob das Aluminium vielleicht genau das Gegenteil bewirkt und die Erde noch wärmer macht –, ist nie ausreichend untersucht worden. „Bevor wir jetzt allzu aufgeregt werden, weil das vielleicht eine Antwort auf die globale Erwärmung ist, sollten wir im Auge behalten, dass es momentan ein völlig unkontrolliertes Experiment ist“, sagt Aaron Boley. „Es könnte genauso gut sehr negative Folgen haben.“
Umstrittene Rolle der Astronomen
Den Befürwortern der neuen Satellitennetzwerke, die für ländliche Regionen weltweit große Chancen durch schnelles Internet erwarten, ist die Kritik der Astronomen ein Dorn im Auge. Denn die Astronomen waren die ersten, die auf negative Folgen der Megakonstellationen aufmerksam machten, weil ihre Teleskope immer häufiger durch die vielen neuen Lichtpunkte am Himmel gestört werden. Auf der anderen Seite sind die nachteiligen Folgen für die Atmosphäre bislang gar nicht bewiesen – und werden nun wiederum zuerst von Astronomen vorgebracht. „Vielleicht sind wir auch nur der Kanarienvogel im Kohlebergwerk“, sagt dagegen die Astronomin Meredith Rawls von der University of Washington in Seattle über ihre Rolle in der Debatte. Die Vögel wurden bis ins frühe 20. Jahrhundert in Kohleminen mitgenommen, weil sie sehr sensibel auf giftige Grubengase reagierten und mit ihrer Reaktion die Bergleute rechtzeitig warnten.
Aaron Boley sagt, er wolle die Megakonstellationen nicht per se stoppen. Es wäre aber an der Zeit, die Umweltfolgen der vielen neuen Satelliten genauer zu untersuchen und bis dahin das Tempo zu drosseln. Das fordert auch das US-Unternehmen Viasat, das selbst Internetverbindungen über Satelliten anbietet und den allzu rasanten Ausbau der Starlink-Konstellation gerichtlich stoppen lassen wollte. Die US-Genehmigungsbehörde FCC solle zukünftig nicht nur die Umweltfolgen einzelner Satelliten prüfen, sondern auch die Folgen für immer vollere Umlaufbahnen und die Atmosphäre als Ganze. Ein US-Bundesgericht wies die Forderungen im Juli 2021 allerdings als nicht ausreichend begründet zurück.
Eine frühere Fassung dieses Textes ist in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen.