Kleine Kopiermeister mit einer Vorliebe für Heißes

Ohne sie geht beim PCR-Test gar nichts – die Polymerase. Das Enzym produzieren Mikroorganismen, die in kochend heißen Thermalquellen und Geysiren leben.

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Ein Geysir bricht aus mit hoher Fontäne, Menschen sehen dem Spektakel zu.

„Ich geh dann mal zur PCR.“ Vor zwei Jahren, vor der Corona-Pandemie, hätte mit diesem Satz wohl noch niemand etwas anfangen können – außer er oder sie ist Molekularbiologe; heute gehört er leider zu unserem Alltag. Besonders in den letzten Tagen und Wochen hören wir dauernd von der PCR. Denn Deutschland hat gerade Probleme mit der PCR, Kapazitätsprobleme.

Das Verfahren benötigt, anders als die Antigen-Schnelltests, für die Probenanalyse spezielles Zubehör, teure Zutaten und auch geschultes Personal – und all das gibt es nur in einem Diagnostik-Labor. Was genau in der PCR-Maschine, dem Thermocycler, abgeht, das haben Joachim Budde und Marcus Anhäuser hier auf RiffReporter bereits eindrücklich beschrieben und auch, wie Christian Drosten und Co. den Corona-PCR-Test in Rekordzeit entwickelten. Wir wollen uns hier nun aber der namensgebenden Zutat zuwenden, der Polymerase. Dieses Enzym fügt einzelne, frei herumschwimmende Nukleinsäure-Bausteine nach Vorbild des zu vervielfältigenden DNA-Abschnitts aneinander. Eine exakte Kopie des Originals entsteht.

Polymerasen sind lebenswichtige Enzyme für alle Lebewesen, denn sie benötigen sie unter anderem bei der Zellteilung. Pflanzen, Bakterien, Pilze, Menschen – niemand kommt ohne sie aus. Allerdings eignen sich nicht alle Polymerasen für die Polymerase-Kettenreaktion. Besonders mit Hitze sollten die Enzyme gut zurechtkommen, denn der Thermocycler heißt nicht umsonst so. Auf bis zu 100 Grad Celsius heizt er die Proben während der PCR hoch.

Lehrstunde im Nationalpark

Wo könnte man solche hitzetoleranten Enzyme finden? Natürlich dort, wo es heiß ist. Der amerikanische Mikrobiologe Thomas Brock hat allerdings keine PCR-Polymerasen im Sinn, als er sich im Sommer 1964 in sein Auto setzt und in den Urlaub fährt. Seit Stunden ist der Mikrobio-Prof bereits unterwegs – Zeit, sich mal die Füße zu vertreten. Am nächsten Verkehrsschild biegt er ab. „Yellowstone-Nationalpark“ – ein guter Ort für eine kleine Pause, denkt sich Brock. Der Park ist ein Naturwunder und besonders für seine Thermalquellen und Geysire bekannt. Er stellt das Auto ab, und kurz nachdem er die ersten, noch recht wackeligen Schritte gemacht hat, hört er aus der Ferne die Stimme eines Rangers. Was dieser den Touristen auf der Führung wohl erzählt? Der Biologe schließt sich spontan der Gruppe an und erfährt so, dass die beeindruckende Färbung der lokalen Thermalquellen in grün, gelb und orange von darin lebenden Mikroorganismen wie Cyanobakterien und Archaeen herrührt (letztere waren zu dieser Zeit allerdings noch nicht als solche erkannt). Diese produzieren verschiedene Farbpigmente: grünes Chlorophyll und orange-rote Carotenoide. Brock ist fasziniert.

Damals in den 1960ern war nicht klar, wie viel Hitze Organismen vertragen. Mitteleuropäische Menschen empfinden schon 40 Grad Celsius Umgebungstemperatur als fast unerträglich. Bei thermophilen, also hitzeliebenden Bakterien war man bislang davon ausgegangen, dass sie eine Temperatur unter 55 Grad Celsius bevorzugen würden. Denn wie jeder Biotechnologe weiß: Proteine und damit auch Enzyme denaturieren bei Hitze, ihre Struktur verändert sich (man denke an das Spiegelei in der Pfanne). Doch Brock hatte bei seinem Zufalls-Ausflug ja erfahren, dass die heißen Quellen nur so vor Leben sprudeln. Wenn dort Cyanobakterien existieren können, dann gibt es vielleicht auch andere hitzetolerante Bakterien. Und überhaupt, gibt es ein Temperaturlimit für Leben – fragte er sich – und wenn ja, wo liegt es?

Die Thermalquellen des Yellowstone-Nationalparks sind ein perfekter Ort, um all diese Fragen zu beantworten, denn sie sind warm, sehr warm sogar. Viele sind 60 bis 70 Grad heiß, manche sogar 90 Grad Celsius.

Zurück in wissenschaftlicher Mission

Zurück in seinem Labor an der Indiana University, rund 2.500 Kilometer östlich des Yellowstone-Nationalparks, beginnt Brock sich einen Forschungsplan zurechtzulegen. Im August 1966 ist es so weit. Zusammen mit seinem Studenten Hudson Freeze besucht er erneut den Nationalpark – diesmal mit voller wissenschaftlicher Absicht. Das Duo hat Probengefäße dabei und sich sogar eine kleine Hütte in der Nähe angemietet. Aus verschiedenen Thermalquellen des Lower Geyser Basins schöpfen sie Wasserproben ab, um sie im heimischen Labor auf bakterielles Leben hin zu untersuchen.

Genau diese Aufgabe kommt Student Freeze zu, der die Proben kultivieren, isolieren und charakterisieren soll. Eben dies erweist sich zunächst als nicht ganz so einfach, hatte Freeze es doch mit völlig unbekannten Arten zu tun. Nach mehreren Kultivierungsversuchen ist er kurz davor aufzugeben; immer nur sieht er merkwürdige „weiße Kristalle“ am Boden der Kulturröhrchen. Ein letzter Versuch soll Klarheit bringen.

Mehrere Tage inkubiert er die Röhrchen im heißen Wasserbad, nur um festzustellen, dass sich noch mehr weiße Kristalle gebildet hatten. Ohne große Hoffnung legt er die vermeintlichen Verunreinigungen unters Mikroskop und blickt völlig verdutzt auf „lange Fäden von Bakterien“. Freeze ist überwältigt von seiner Entdeckung, denn er ist der allererste Mensch, der diese kleinen Lebewesen mit eigenen Augen sieht. Er isoliert das Bakterium und bestimmt seine Wachstumsbedingungen. Gemeinsam mit Brock tauft er es auf den Namen: Thermus aquaticus – die griechischen beziehungsweise lateinischen Begriffe für „heiß“ und „Wasser“. 1969 erscheint die Erstbeschreibung des wärmeliebenden Wasserbewohners im Journal of Bacteriology.

Bakterien in Stäbchenform leuchten in hellgrün.
Dunkelfeld-Fluoreszenz-Bild einer stäbchenförmigen Thermus-aquaticus-Kultur.

Heiße Temperaturen bevorzugt

Wie Brock und Freeze herausgefunden hatten, bevorzugt Thermus aquaticus – oder kurz Taq – eine Umgebungstemperatur von 70 Grad Celsius, es hält aber auch bis zu 79 Grad Celsius aus. Ebenso kommt das etwa fünf bis zehn Mikrometer große Bakterium mit 40 Grad zurecht und es ist obligat aerob, das heißt, es braucht Sauerstoff zum Überleben. Wie es sich gehört, hinterlegt Brock eine Thermus-aquaticus-Kultur in der American Type Culture Collection, einer Organisation, die Mikroorganismen, Zelllinien und andere Materialien zu Forschungszwecken aufbewahrt und Forschern bei Bedarf zur Verfügung stellt. Hier nun endet Brocks Geschichte.

Die von Thermus aquaticus hat aber gerade erst begonnen. Mitte der 70er-Jahre macht sich ein Forscher-Team der Uni Cincinnati daran, die DNA-Polymerase aus dem Bakterium zu isolieren. Hitzestabile Enzyme waren und sind sehr gefragt, man verwendet sie zum Beispiel in der Waschmittelindustrie, aber vor allem auch in der Grundlagenforschung. Dort dominiert jedoch ein anderes Bakterium: Escherichia coli. Und das ist kein großer Hitze-Freund, bevorzugt es doch wohlige 37 Grad Celsius zum Beispiel im Darm von Menschen und anderen Säugern.

Auch Kary Mullis experimentiert in den 1980er-Jahren mit Polymerasen aus Escherichia coli. Er setzt sie ein für ein Verfahren, das er 1983 spontan auf dem Weg zu seinem Wochenendhäuschen erfunden hat: die Polymerase-Kettenreaktion (vom Englischen polymerase chain reaction, kurz PCR). Sein System zur Vervielfältigung von DNA-Abschnitten funktionierte. Man brauchte nicht mehr als ein Testgefäß, ein paar einfache Reagenzien und etwas zum Erhitzen.

Die PCR: Ein Kinderspiel

Das Prozedere war allerdings wahnsinnig aufwendig, denn nach jedem Vervielfältigungs-Zyklus musste neues Enzym hinzugegeben werden – die verwendete Polymerase aus Escherichia coli hielt der Hitze einfach nicht stand. Mullis suchte nach Alternativen und wurde in der American Type Culture Collection fündig. Ein Organismus, der sich bei 70 Grad Celsius am wohlsten fühlt, müsste doch auch Polymerasen beherbergen, die ähnlich hohe Temperaturen vertragen, vermutete er. Tatsächlich ist das Enzym, wie sich später herausstellte, sogar noch bei 96 Grad Celsius aktiv, allerdings nur wenige Minuten. Bei 70 Grad Celsius synthetisiert es circa 60 Nukleinsäure-Bausteine pro Sekunde. Mullis’ Arbeitgeber, die Cetus Corporation, besorgte ihm eine Thermus-aquaticus-Kultur und Mullis isolierte daraus das verheißungsvolle Enzym, die Taq-Polymerase. Und siehe da, die PCR war nunmehr ein Kinderspiel. Und Kary Mullis einige Jahre später Nobelpreisträger (mehr „Preiswürdige Biotechnologie“).

Noch Jahre später stritt man darüber, wer die Polymerase denn zuerst isoliert hat. Waren es in den 1970er-Jahren die Wissenschaftler der Uni Cincinnati oder hatten vielmehr erst in den 1980ern Cetus-Wissenschaftler eine PCR-taugliche Polymerase aufgereinigt? Inzwischen ist das Patent auf die PCR abgelaufen und der Streit beigelegt.

Auch in anderen hitzeliebenden Mikroorganismen hat man nach Polymerasen gefahndet und ist mit Pyrococcus furiosus und Thermococcus kodakaraensis unter anderem bei den sogenannten Archaeen fündig geworden. Das sind ebenfalls einzellige Organismen, die sonst jedoch nicht viel mit Bakterien gemeinsam haben. Thermococcusentdeckte ein japanisches Forscherteam übrigens in über 100 Grad Celsius heißen Dampfausströmungen (Solfatare) eines sich beruhigenden Vulkans auf der Insel Kodakara im Ostchinesischen Meer. Die Polymerase aus Thermus aquaticus bleibt jedoch vorerst die Nummer 1 bei der PCR-Analyse. Auch beim SARS-CoV-2-Nachweis.

Dieser Text basiert auf dem Artikel „Manche mögen’s heiß“, der am 09.09.2019 auf Laborjournal Online erschienen ist.

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