PIK-Studie: Die Widerstandskraft unseres Planeten schwindet
Sechs von neun planetaren Grenzen sind überschritten, zeigt eine umfangreiche Aktualisierung und Quantifizierung des Konzepts der „planetaren Grenzen“.
Ein internationales Forschungsteam hat zum ersten Mal alle neun planetaren Belastungsgrenzen vermessen, die den sicheren Raum für die Menschheit festlegen. Sechs dieser Grenzen, namentlich globale Erwärmung, Biosphäre, Entwaldung, Schadstoffe/Plastik, Stickstoffkreisläufe und Süßwasser, sind bereits überschritten – und werden weiterhin unter Druck gesetzt. Die Studie ist die Aktualisierung des Konzepts der „Planetaren Grenzen“, das im Jahr 2009 eingeführt wurde. Sie enthält erstmals eine Überprüfung aller neun Prozesse und Systeme, die die Stabilität des Planeten beeinflussen.
Die planetare Grenze der Biosphäre ist die Grenze, die am weitesten überschritten wurde, zeigt die neue Studie „Earth beyond six of nine planetary boundaries“ in der Fachzeitschrift Science Advances. Klima und Biosphäre sind die beiden Stabilitätssäulen der Erde. „Wie beim Klima destabilisieren wir derzeit auch diese Säule“ der Biosphäre, betont Mitautor Wolfgang Lucht, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Wir würden „zu viel Biomasse entnehmen, zu viele Lebensräume zerstören, zu viele Flächen entwalden“.
Den Forschern nach geht es nun darum sowohl die globale Erwärmung zu begrenzen als auch eine funktionierende Biosphäre zu erhalten. Um die Funktionsfähigkeit der Biosphäre zu messen, führten die Autor:innen der Studie eine neue Kontrollvariable ein. Demnach wurde die Biosphäre-Grenze bereits im späten 19. Jahrhundert überschritten, als die Land- und Forstwirtschaft expandierte.
Für jede planetare Grenze haben die Forschenden nun erstmals konkrete Schwellwerte festgelegt.
Hinsichtlich des Erhalts unserer Biosphäre liegt die maximale Aussterberate bei 100 E/MSY. Das heißt: Von geschätzten 8 Millionen Pflanzen- und Tierarten sind etwa 1 Million vom Aussterben bedroht. 10 Prozent der genetischen Vielfalt von Pflanzen und Tieren sind in den letzten 150 Jahren möglicherweise verloren gegangen. Damit wird die genetische Komponente der Integritätsgrenze der Biosphäre bei weitem überschritten.
Für das Klimagelten 280 ppm CO2 in der Atmosphäre als vorindustrieller Wert. 350 ppm sind eine erste Grenze, die etwa der Erhöhung um 1 Grad Celsius entspricht. Ab hier steigen die Risiken an, wobei ab einer Grenze von 450 ppm, die einem Temperaturanstieg um 2 Grad entspricht, der Hochrisiko-Bereich beginnt. Eine Grenzüberschreitung bedeutet also nicht, dass unmittelbar Katastrophen zu erwarten sind. Doch das Risiko für drastische Veränderung wächst erheblich. Im August 2023 lag der Wert laut der hier maßgeblichen Messstation in Hawaii bei 420 ppm.
Die Hauptautorin Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen vergleicht die Erde mit dem menschlichen Körper und die plantaren Grenzen mit Blutdruck: „Ein Blutdruck von über 120/80 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht das Risiko. Deshalb arbeiten wir daran, den Blutdruck zu senken.“ Ähnlich sei es bei den planetaren Belastungsgrenzen.
Die Studie hat auch eine neue Belastungsgrenze eingeführt, nämlich die „Einbringung neuartiger Stoffe“ in die Umwelt. Sie umfasst Chemikalien wie Mikroplastik, Pestizide oder Atommüll. Die Grenze dafür ist bereits überschritten.
Auch haben die Forschenden erstmals die Grenze für die Aerosolbelastung der Atmosphäre quantifiziert. Regional wurde auch sie überschritten, so etwa in Südasien.
Die Grenze für Süßwasser betrifft sowohl „grünes“ Wasser in Böden und Pflanzen als auch „blaues“ Wasser in Flüssen und Seen. Diese Grenze ist ebenfalls überschritten.
„Wir wissen nicht, wie lange wir entscheidende Grenzen derart überschreiten können, bevor die Auswirkungen zu unumkehrbaren Veränderungen und Schäden führen“, sagt PIK-Forscher Johan Rockström und Mit-Autor der Studie.
Die Forschenden berechneten die Entwicklung der Erde für mehrere hundert Jahre in die Zukunft. Dazu setzten sie das Potsdamer Erdsystemmodell (POEM) mit seinem Biosphärenmodell LPJmL ein, um die Wechselwirkungen zwischen Klima und Biosphäre darzustellen. Ziel war es, nicht nur Prozesse zu berücksichtigen, die relativ schnell auf Veränderungen reagieren, sondern auch die langsameren Erdsystemprozesse.
Dass der sichere Handlungsraum für die Menschheit nun wissenschaftlich quantifiziert werden konnte, hält PIK-Direktor Johan Rockström für einen echten Durchbruch. Denn damit gebe es nun einen Leitfaden für notwendige Maßnahmen.
Florian Titze, Experte des WWF für internationale Politik, kommentierte dazu, dass die Lösungen bekannt seien: „Erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft, ein nachhaltiges Ernährungssystem und der bessere Schutz von Ökosystemen. Deutschland als erfolgreiche Industrienation muss sich endlich an die Spitze der ökologischen Transformation und einer zukunftsfähigen Wirtschaft setzen.“ Der WWF hatte Mitte der Woche in einem eigenen Bericht gezeigt, was Versicherer in ihrem Risikoübernahmegeschäft tun können, um Klima- und Umweltrisiken zu reduzieren.