Von Zugehörigkeitsbedürfnis, Selbstkontrolle – und warum das Böse stärker ist als das Gute
Der US-Psychologe Roy Baumeister erforscht seit mehr als vier Jahrzehnten das menschliche Selbst.
Roy F. Baumeister ist ein ebenso fleißiger wie einflussreicher Sozialpsychologe: In seiner beruflichen Karriere hat er mehr als 700 wissenschaftliche Publikationen und 40 Bücher verfasst. Zwei Monate im Jahr lehrt der 70-Jährige auch an der Constructor University in Bremen zum Thema „Soziale Dynamiken des Selbst“. Im vergangenen Oktober ehrte ihn die Society for Experimental Social Psychology mit dem Distinguished Scientist Award für sein Lebenswerk. RiffReporter sprach mit Baumeister über Zugehörigkeitsbedürfnis, Selbstkontrolle und warum das Böse stärker ist als das Gute.
Herr Baumeister, Sie blicken auf mehr als vier Jahrzehnte sozialpsychologische Forschung zurück. Was war in Ihrer Karriere Ihre wichtigste Arbeit?
Roy F. Baumeister: Mein bekanntester Artikel hat den Titel „Need to Belong“ – Zugehörigkeitsbedürfnis. Er wurde in anderen Fachartikeln bis heute mehr als 30.000 Mal zitiert. Ich wollte ein Grundprinzip der Psychologie verstehen: Menschen wollen zu anderen Menschen Beziehungen aufbauen und diese bewahren. Die Idee ist nicht neu, sogar Freud hat spät in seiner Karriere gesagt, dass es Menschen ängstigt, die Zugehörigkeit zu anderen zu verlieren. Aber niemand hatte erkannt, wie wichtig und wie grundsätzlich das ist.
Zugehörigkeit ist mit mentaler und physischer Gesundheit verbunden
Was stellten Sie darüber fest?
Wir haben 200 Forschungsarbeiten dazu ausgewertet. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit unterliegt den Gedanken und Gefühlen. Sogar die mentale und physische Gesundheit ist sehr stark damit verbunden. Ich war erstaunt, dass sämtliche Todesursachen stärker ausgeprägt sind bei Menschen mit weniger Zugehörigkeit.
Wie äußert sich der Einfluss des Zugehörigkeitsgefühls im Alltag?
Wird Zugehörigkeit verstärkt, erzeugt das meist positive Emotionen. Umgekehrt erzeugt ist die Sorge um Zugehörigkeitsverlust mit negativen Emotionen wie Traurigkeit, Sorgen, Eifersucht, Ärger und Bedrohung verbunden. Wenn Sie jemanden lieben und die Person entwickelt eine Beziehung zu einer anderen Person, entsteht Eifersucht, weil die eigene Zugehörigkeit bedroht scheint. Umgekehrt erzeugt es positive Gefühle, wenn man heiratet und ein Kind in die Familie bringt – zunächst wenigstens (schmunzelt). Und eine Scheidung fühlt sich selbst dann schlecht an, wenn man weiß, dass die Ehe nicht gut ist und zu einem Ende kommen muss.
Zugehörigkeitsgefühl hält Eltern zusammen
Wie erklären sich diese Effekte des Zugehörigkeitsgefühls?
Die Evolution begünstigt Eigenschaften, die es fördern, länger zu leben und Kinder zu haben. Für beides ist es gut, die Zugehörigkeit zu fördern. Viele Forschungen zeigen, dass ein Zusammenleben gut ist für einen selbst und auch für Kinder. Unter Tieren ist das selten. Affenväter haben wenig Interesse an den eigenen Kindern. Aber menschliche Kinder sind lange fast hilflos und abhängig von den Eltern. In der Evolution war es ein großer Schritt, dass Mann und Frau für Jahre zusammenbleiben und für die Kinder sorgen. Die Psychologie musste es ändern, dass Mann und Frau zusammenbleiben wollen – durch das Bedürfnis nach Zugehörigkeit.
Eine andere große Erkenntnis von Ihnen ist die Aussage:Bad is stronger than good– das Böse ist stärker als das Gute. Wie kamen Sie zu dieser Aussage?
Ich fand in meinen Experimenten immer wieder etwas merkwürdig: Ich habe untersucht, wie es ist, wenn Menschen akzeptiert oder abgelehnt werden – oder als Kontrolle, wenn dies weder noch passiert. Wir fanden immer wieder, dass die Messungen zwischen Personen, die akzeptiert wurden, und denen aus der Kontrolle sehr ähnlich waren, aber bei abgelehnten Versuchspersonen waren sie deutlich anders. Auch in anderen Studien, die etwas nach dem Prinzip Erfolg und Scheitern verglichen, waren Erfolg und neutrale Kontrolle immer sehr ähnlich, Scheitern jedoch anders.
Schlechte Eindrücke wirken stärker nach
Was heißt das konkret?
Wenn man zum Beispiel jemanden neu kennenlernt und dabei etwas Schlechtes lernt, hat es mehr Einfluss auf den Gesamteindruck, als wenn man etwas Gutes gelernt hat. Oder wenn Sie einen schlechten Tag hatten, dann bleibt davon am nächsten Tag noch etwas übrig, Sie fühlen sich schlechter am Morgen. Hatten Sie aber einen guten Tag, hat der keinen Einfluss auf den kommenden Tag. Auch in einer Beziehung haben schlechte Seiten und Zeiten mehr Einfluss als die guten Sachen. Man denkt immer: „Ich habe all die guten Eigenschaften.“ Aber was den größeren Unterschied macht, ist, die schlechten Sachen nicht zu tun.
Eine weitere Beobachtung stammt aus der Wirtschaft: Die Angst, 50 Euro zu verlieren, wirkt stärker als die Chance, 50 Euro zu gewinnen. Das führt dazu, dass man bei Investitionen Risiken höher gewichtet. Ökonomen sagen zwar, für den Erfolg braucht es das Risiko – aber die Leute nehmen einen anderen Weg.
Sie haben auch zu Selbstkontrolle geforscht. Was hat es damit auf sich?
Die Willenskraft, die Energie, die dazugehört, Selbstkontrolle auszuüben, ist begrenzt. Hat man in Experimenten eine Weile Selbstkontrolle ausgeübt, ist man danach zunächst schlechter, wie bei einem Muskel, der müde wird. Aber wie bei einem Muskel kann man die Selbstkontrolle durch Training auch stärken. Andere Forscher haben bei Muslimen die Selbstkontrolle vor und nach dem Ramadan gemessen, währenddessen die Gläubigen am Tag nichts essen dürfen. Am Ende war ihre Selbstkontrolle auch bei nichtreligiösen Themen stärker.
Das Selbstwertgefühl wird überschätzt
Heutzutage wird auch viel über fehlendes Selbstwertgefühl als Ursache von Problemen gesprochen. Sie sagen, das wird überschätzt?
Das Selbstwertgefühl ist nicht so wichtig, wie man dachte. Die Leute sorgen sich mehr darüber, was andere über sie denken, als was sie selbst über sich denken. Das geht auch auf die Evolution zurück: Beim Überleben und Fortpflanzen kommt es darauf an, was andere von einem denken, nicht was man selbst denkt.
Trotzdem hat ein höheres Selbstwertgefühl doch Vorteile.
Das stimmt. Wer mit niedrigem Selbstgefühl an etwas scheitert, meint, das nicht zu können, und fühlt sich hoffnungslos. Wer mit höherem Selbstwertgefühl scheitert, sagt: „Ich kann das schon, ich muss es wieder und besser machen.“ Allerdings haben wir auch gezeigt: Wer ein hohes Selbstwertgefühl hat, der denkt sehr positiv über sich. Diejenigen, die wir als jene mit niedrigem Selbstwertgefühl bezeichnen, denken aber nicht, dass sie schlechte Menschen sind. Es ist eher die Abwesenheit des Positiven. Was wir niedriges Selbstwertgefühl nennen, ist meist in der Mitte.