Stachelschweine verzeihen – eine Weihnachtsbotschaft aus dem Tierreich

Schmerzen und Verletzungen zu verzeihen, das zu können ist für manche Tiere überlebensnotwendig. Bei Menschen fördert es die Gesundheit und lindert es das Leid, wenn sie lernen, Verletzungen loszulassen.

vom Recherche-Kollektiv Tierreporter:
4 Minuten
Ein Stachelschwein schnüffelt am Boden und läuft von links nach rechts über das Bild.

Wenn die Nacht so kalt ist, dass Wärme überlebenswichtig wird, dann kann die Nähe zweier Körper einander retten. Aber was, wenn diese Körper sich gar nicht nahe sein wollen? Was ist, wenn die Wesen, die in ihnen stecken, sich vorher Schmerz zugefügt haben?

Wohl nur wenige Lebewesen machen diese Erfahrung – Schopenhauers Stachelschwein-Dilemma folgend – häufiger als Stachelschweine in Alaska. Manche Tiere überstehen den Winter nur, wenn sie während besonders kalter Nächte zusammenrücken, um ihre Körperwärme miteinander zu teilen. Allerdings sind ihre Körper nicht für diese Nähe gemacht – die Stacheln piksen, stechen, kratzen. Die Tiere verletzen sich gegenseitig und fügen sich Schmerzen zu. Um dem zu entfliehen, laufen sie auseinander, brechen den Wall der Wärme auf und setzen sich dem Frost aus. Besser frieren, als noch einmal verletzt zu werden.

Je deutlicher der Schmerz, desto nachdrücklicher die Flucht.

Je größer die Verletzung, desto heftiger wird der – gar nicht immer bewusst erlebte – Stress. Wer die Erfahrung, verletzt worden zu sein, zu lange festhält, ergibt sich einer Kaskade möglicher Folgen: Das Risiko für Depressionen steigt, Angstzustände werden wahrscheinlicher, der Schlaf wird fragmentierter und schlechter, der Blutdruck steigt und das Immunsystem schwächelt; oft fällt es in Zukunft schwerer zu vertrauen, sind vergangene Konflikte nicht verziehen.

Wie kann das gelingen: verzeihen?

Der Wunsch, vergeben zu können, ist womöglich genauso alt wie die Menschheit. Unser Versuch, die Mechanismen des Verzeihens wissenschaftlich zu verstehen, ist hingegen recht jung. Seit etwa 35 Jahren untersuchen Psychologen, Hirnforscherinnen, Mediziner, aber auch Soziologinnen und zuweilen Politologen, die Gabe des Verzeihens in wissenschaftliche Formeln zu übersetzen. Fest etabliert hat sich der Forschungszweig bisher vor allem in den USA.