Wo ist der Beweis? Mit evidenzbasierter Medizin zu besseren Gesundheitsentscheidungen
Wie Ergebnisse aus Studien, ärztliche Expertise und die Wertentscheidungen von Patient:innen zusammenpassen
Auf Social Media haben uns einige Anfragen erreicht, in denen Menschen genauer wissen wollten, worauf eigentlich unser Konzept beruht. Besonders weil wir etwas provokativ formuliert haben: „Die grundsätzlichen Fragen sind wirklich einfach zu verstehen, auch ohne ein Medizin-Studium.“ Heißt das also, wir wollen dich davon abbringen, Fachleute um Rat zu fragen? Keinesfalls! Aber es ist wichtig, sich auch selbst zu informieren, denn nur dann ist ein Gespräch auf Augenhöhe mit dem Arzt oder der Ärztin deines Vertrauens möglich.
Die drei Säulen für informierte Gesundheitsentscheidungen
Dieses Vorgehen haben wir uns nicht selbst ausgedacht, sondern es wird seit einem guten Vierteljahrhundert unter dem Namen „evidenzbasierte Medizin“ [1] praktiziert. Die Idee dahinter: Gute Gesundheitsentscheidungen entstehen dann, wenn die Erfahrungen von Ärztinnen und Ärzten mit den Ergebnissen klinischer Studien abgeglichen werden und Patientinnen und Patienten zusätzlich ihre Wünsche und Vorstellungen einbringen.
Oft findest du in diesem Zusammenhang eine Abbildung, in der diese drei Bereiche mit einem Kreis symbolisiert werden – und die gute Gesundheitsentscheidung steht genau in der Schnittmenge der drei Kreise.
Warum sind diese drei Bereiche wichtig?
Viele Ärztinnen und Ärzte haben sich bereits jahre- oder gar jahrzehntelang mit der Diagnose und Behandlung von Patientinnen und Patienten beschäftigt, sie haben also jede Menge Erfahrungswissen. Allerdings sind viele Fälle bekannt, in denen neue Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen sind: Die bisher angewendeten Verfahren sind gar nicht so nützlich, wie man immer dachte, und/oder schaden mehr, als bisher angenommen wurde. Das wird oft aber gar nicht im Behandlungsalltag an einzelnen Patientinnen oder Patienten sichtbar, sondern fällt erst auf, wenn die Ergebnisse für viele Menschen sorgfältig miteinander verglichen werden.
Deshalb ist es wichtig, dass die ärztliche Expertise durch Informationen aus klinischen Studien, also systematischen wissenschaftlichen Untersuchungen am Menschen ergänzt wird. „Wissenschaftlich“ bedeutet aber: Nicht jede Studie ist auch tatsächlich aussagekräftig und liefert die bestmögliche Antwort auf eine Gesundheitsfrage. Deshalb ist eine kritische Bewertung der Studien wichtig.
Aber die beste Expertise und die besten Studien helfen dir nicht, wenn sie nicht das berücksichtigen, was dir selbst in Sachen Gesundheit wichtig ist. Dafür ist es also nötig, dass bei der konkreten Entscheidung auch deine eigenen Vorstellungen eine Rolle spielen – und du darüber sprichst. Mehr zu diesem Thema kannst du zukünftig übrigens in unserem Bereich „Wissen verknüpfen“ erfahren.
Belege, Belege, Belege
Was bedeutet jetzt aber das Wort „Evidenz“ in der Bezeichnung „evidenzbasierte Medizin“? Im Deutschen ist das ein bisschen missverständlich, denn hier bedeutet „evident“ so viel wie „offensichtlich“. Aber: Bei Erkenntnissen zu medizinischen Fragestellungen können wir uns in der Regel nicht auf den Augenschein verlassen.
Im englischen Kontext des Begriffs „evidence-based medicine“ ist etwas ganz anderes gemeint: Dort bedeutet „evidence“ nämlich so viel wie „Beleg“ oder „Beweisstück“. Wenn du amerikanische Krimiserien in der Originalsprache ansiehst, kennst du das vermutlich: Die weggeworfene Zigarettenkippe, das Haar, der verlorene Knopf – alles Beweisstücke („evidence“), die dann in „evidence bags“ verstaut werden und zusammen ein Bild vom Tathergang und dem möglichen Mörder ergeben.
Und so ähnlich verhält es sich dann auch mit der Evidenz für den Nutzen medizinischer Behandlungen: Informationen aus klinischen Studien fügen sich Stück für Stück zum Gesamtwissen zusammen. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Oft fehlen perfekte Belege, die keine Fragen mehr offen lassen, und nicht immer haben wir alle Puzzle-Stückchen bereits gefunden. Deshalb ist es ein essenzieller Bestandteil der evidenzbasierten Medizin, auch die Unsicherheit der Erkenntnisse zu thematisieren.
Gesichertes Wissen
Wer in Sachen Gesundheit eigene informierte Entscheidungen treffen will, muss sich deshalb auch damit beschäftigen, wie gut eigentlich die Belege (die „Evidenz“) für ein bestimmtes Mittel oder eine bestimmte Behandlungsmethode sind [2]. Der erste Schritt dazu: Verstehen, was bestimmte Informationen eigentlich verlässlich macht – oder auch nicht. Denn dann kannst du schnell das aussortieren, womit du dich nicht weiter beschäftigen braucht – weil es dir bei deiner Entscheidung nämlich nicht weiterhelfen kann. Und dich lieber auf das konzentrieren, was dir wertvolle Anregungen liefert. Genau darum wird es in unserem Bereich „Gesichertes Wissen“ gehen.
Das schaffen wir!
Vielleicht hast du noch Zweifel, ob du tatsächlich ohne medizinisches Vorwissen die Informationen sichten und bewerten kannst – das klingt doch alles ziemlich kompliziert. Aber keine Sorge: In Plan G nutzen wir ein bewährtes Konzept, das von einer internationalen Arbeitsgruppe unter dem Namen „Informed Health Choices“, auf Deutsch also „informierte Gesundheitsentscheidungen“, entwickelt wurde [3]. Das Team hat eine ganze Reihe von Schlüsselprinzipien erarbeitet, die du für ein grundlegendes Verständnis von Informationen zu Gesundheitsfragen und für informierte Entscheidungen brauchst. Und um die wird es in Plan G gehen. Und selbst wenn du dann an einer Stelle nicht mehr allein weiterkommst: Deine neuen Kenntnisse helfen dir, bei Bedarf Fachleute gezielt weiter zu befragen.
Funktioniert es?
Tolle Theorie – aber funktioniert das auch in der Praxis? Zuversichtlich stimmt ein Experiment [4], das das Team von „Informed Health Choices“ in Uganda durchgeführt hat: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben auf der Basis der Schlüsselprinzipien Unterrichtsmaterial für 10– bis 12-jährige Schulkinder entwickelt. Damit sollten die Kinder lernen, unglaubwürdige und glaubwürdige Grundlagen für Behauptungen in Sachen Gesundheit zu erkennen. Zum Beispiel: Stimmt es, dass Kuhdung bei Verbrennungen die Heilung beschleunigt? Ein Test am Ende des Schuljahrs bestätigte: Nach den Unterrichtseinheiten konnten die Kinder Glaubwürdiges und Unglaubwürdiges besser unterscheiden, und zwar in größerem Ausmaß als Kinder, die keinen solchen Unterricht bekommen hatten.
Zum Weiterlesen
[1] Einen wissenschaftlichen Artikel, der das Konzept der Evidenzbasierten Medizin beschreibt, findest du hier in der deutschen Übersetzung. Willst du es lieber noch leichter verständlich? Dann empfehlen wir dir einen Beitrag aus dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.
[2] Unserer Meinung nach noch zu wenig bekannt ist das Buch „Wo ist der Beweis?“, das sich mit der Verlässlichkeit von Evidenz aus klinischen Studien beschäftigt. Es erklärt nicht nur die wichtigsten Prinzipien, sondern liefert auch zahlreiche medizinische Beispiele aus der nahen und fernen Vergangenheit, wo unzuverlässige Informationen in die Irre geführt haben. Der Clou: Das Buch kannst du kostenlos online lesen oder als PDF herunterladen.
[3] Die Konzepte der Arbeitsgruppe kannst du unter Informed Health Choices finden. Die insgesamt 44 Schlüsselprinzipien gehören zu drei Kategorien:
- Unglaubwürdige Behauptungen zu Behandlungen erkennen
- Was macht seriöse Vergleiche von Behandlungen aus?
- Informierte Entscheidungen treffen
Über die ersten beiden Kategorien erfährst du etwas bei Plan G im Bereich “Gesichertes Wissen”. Um die Details der dritten Kategorie geht es dann im Bereich “Wissen verknüpfen”.
[4] Die Ergebnisse der Untersuchung wurden 2017 in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht. Der englische Originaltext ist hier nach Registrierung kostenfrei zugänglich. BBC World hat in einem Audiobeitrag ausführlich über die Erfahrungen berichtet.