Diskussion um die Zeitumstellung: Experten sagen, ganzjährige Sommerzeit wäre der „Cloxit“

Eine Mehrheit möchte die Zeitumstellung abschaffen. Die EU hat das 2018 schon beschlossen, kann sich aber nicht einigen. Aus Sicht der Wissenschaft spricht alles für die dauerhafte Normalzeit, wie britische Forschende jetzt – im Oktober 2024 – einmal mehr bestätigten. Ausführliches Update eines erstmals 2018 erschienenen Artikels.

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Eine Europakarte, die in mehrere Zeitzonen eingeteilt ist. Die Zeitzonen sind unterschiedlich angefärbt.

Hinweis auf Aktualisierung dieses Beitrags

Dieser Artikel wurde im Oktober 2024 aktualisiert. Die wissenschaftlichen Aussagen zum Thema mussten dabei nicht geändert werden, denn die Faktenlage ist unverändert eindeutig: Noch immer gibt es keine Belege dafür, dass eine ganzjährige Sommerzeit für die Gesamtbevölkerung gesundheitliche Vorteile hätte. Im Gegenzug wachsen die Hinweise auf mögliche Nachteile. Politisch ist dennoch bis heute (2024) nichts passiert. Der Vorschlag einer Abschaffung der Zeitumstellung wurde von der EU-Kommission zwar nicht zurückgenommen, aber er konnte nicht umgesetzt werden, weil die einzelnen EU-Staaten sich nicht darauf einigen konnten, welche Zeitzonenregelung danach gelten solle.

Im Kern geht es um die Frage, ob im Anschluss eine ganzjährige Sommer- oder eine ganzjährige Normalzeit gelten soll. Was die Wissenschaft dazu sagt, lesen Sie in diesem Artikel, den ich erstmals im Jahr 2018 veröffentlichte. Als Autor begleite ich das Thema kontinuierlich weiter. In neueren Beiträgen berichte ich zum Beispiel über eine europaweite Initiative für die Neueinteilung der Zeitzonen oder die Sorge von Forschenden, dass mangelnde Aufklärung über Chronobiologie nach wie vor die Umfrageergebnisse zum Thema beeinflussen.

Es gibt immer wieder Diskussionen über die Abschaffung der zweimal jährlich stattfindenden Zeitumstellung, und alarmierenderweise wollen einige diese durch eine ganzjährige Sommerzeit ersetzen.

Megan Crawford, University of Strathcylde

Was Forschende auch im Jahr 2024 sagen

Gerade erst, am 23. Oktober 2024, forderten führende Mitglieder der „British Sleep Society“ in einem Beitrag für das „Journal of Sleep Research“ die Regierung Großbritanniens auf, die Zeitumstellung dort abzuschaffen, da sie sich negativ auf den Schlaf und die Gesundheit auswirke. Hauptautor*innen des Statements sind Megan Crawford von der University of Strathcylde, Eva Winnebeck von der University of Surrey und Malcolm von Schantz von der Northumbria University.

„Es gibt immer wieder Diskussionen über die Abschaffung der zweimal jährlich stattfindenden Zeitumstellung, und alarmierenderweise wollen einige diese durch eine ganzjährige Sommerzeit ersetzen“, sagt Crawford. „Wir halten dies aus der Sicht der Schlafforschung und der Chronobiologie für einen gesundheitsschädlichen Irrweg.“

Morgens sei die Zeit, in der unsere inneren Uhren das meiste Tageslicht bräuchten, um synchron mit den gängigen Arbeits- und Schulzeiten zu bleiben. Und die Psychologin und Schlafexpertin ergänzt: „Wenn man die Wahl zwischen natürlichem Licht am Morgen und natürlichem Licht am Nachmittag hat, sprechen die wissenschaftlichen Erkenntnisse für das Licht am Morgen.“

Die Chronobiologin Anna Wirz-Justice, ehemalige Professorin an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, sagte schon 2022 zu Riffreporter: „Die wissenschaftliche Literatur spricht gegen die Umstellung zweimal jährlich. Aber sie spricht noch mehr gegen eine dauerhafte Sommerzeit“.

In der Ukraine werden am 27. Oktober 2024 übrigens zum vorerst letzten Mal die Uhren umgestellt. Dort bleibt man anschließend dauerhaft bei der Normalzeit. Die Expert*innen wird diese Nachricht freuen. Und für die Ukraine hat es ausnahmsweise einen Vorteil, kein Mitglied der EU zu sein.

Die Fakten, wie sie seit 2018 unverändert auf dem Tisch liegen

Nach ihrer Umfrage aus dem Jahr 2018, in der 84 Prozent von 4,6 Millionen EU-Bürger*innen sich gegen die sogenannte Zeitumstellung aussprachen, schlug die EU-Kommission vor, ab dem Jahr 2019 keine Uhren mehr zu verstellen. Die Länder sollten danach ihre Zeitzone frei wählen dürfen. In Deutschland gilt eigentlich die Mitteleuropäische Zeit, MEZ, auch Normalzeit oder, in Anlehnung an die „Sommerzeit“, „Winterzeit“ genannt. Der damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn twitterte dennoch: „Das ganze Jahr Sommerzeit? 4 von 5 Menschen in Europa sind dafür. Ich auch.“ Kanzlerin Angela Merkel soll sich ähnlich geäußert haben. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier – in dessen Ressort die Wahl der Zeitzone damals fiel – hatte sich für eine ganzjährige Sommerzeit ausgesprochen.

Doch ist den Politiker*innen wirklich klar, worauf sie sich dabei einlassen? Ein solcher Entschluss bedeutet, dass unsere Uhren ganzjährig die Osteuropäische Zeit, OEZ, anzeigen, die eigentlich für die Ukraine oder Bulgarien gedacht ist. Da wir uns gleichzeitig aber nicht in diesen Ländern befinden, drohen vielfältige Nachteile. „Es wird riesige Probleme geben“, warnte der renommierte Münchner Chronobiologe Till Roenneberg. Er hat über die vielen Fehler, die wir Umgang mit unserer biologischen Zeitmessung machen, ein empfehlenswertes Buch geschrieben.

Tweet von Jens Spahn: Das ganze Jahr Sommerzeit? 4 von 5 Menschen in Europa sind dafür. ich auch!
Twitter 1: Gesundheitsminister Jens Spahn wusste schon kurz nach Bekanntwerden der Resultate der EU-Konsultation zur Zeitumstellung, welche Lösung ihm in Zukunft die liebste wäre. Experten bezweifeln, dass er nach ein paar Jahren in dauerhafter Sommerzeit noch immer so dächte.
Die Kommission der EU twittert, dass sie die Zeitumstellung abschaffen möchte: „We are proposing to end seasonal clock changes.“
Twitter 2: Am 14. September 2018 gibt die EU-Kommission bekannt, einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der sogenannten Zeitumstellung einzureichen. Anschließend soll jedes Mitgliedsland seine Zeitzone frei wählen dürfen.
Grafik zeigt den Lauf der Sonne. Die Sonne steht am höchsten Punkt.
Morgendliches Tageslicht stellt die inneren Uhren vor, abendliches Licht stellt sie zurück. Dadurch justiert sich das System unabhängig von der Tageslänge - also auch unabhängig von der Jahreszeit oder dem Breitengrad - immer nach der Zeit, zu der die Sonne am höchsten Punkt steht. Diese Zeit ist der biologische Mittag, weshalb auch die Normalzeit so eingeteilt wird, dass es dann ungefähr 12 Uhr mittags ist. In der sogenannten Sommerzeit gerät das System zwangsläufig in die Schieflage, wobei die Probleme für die Menschen umso größer sind, je weiter westlich sie in ihrer Zeitzone leben. Die Menschen in Frankreich und Spanien, die rein physikalisch ohnehin in die Zeitzone Großbritanniens gehörten, leiden deshalb besonders unter der Sommerzeit.
Ein Wecker, bei dem die Zeiger von zwei auf drei Uhr vorgestellt werden.
Seit dem Jahr 1980 stellen wir in Deutschland zweimal im Jahr die Uhren um. Aus der Mitteleuropäischen Zeitzone, MEZ, wechseln wir von Ende März bis Ende Oktober in die Osteuropäische Zeitzone, OEZ, die der Normalzeit in Kiew, Sofia, Tel Aviv oder Kairo entspricht. Dadurch beginnen wir sieben Monate lang eine Stunde früher mit Schule oder Arbeit. Die EU-Kommission strebt inzwischen die Abschaffung der Uhren-Umstellung an.
Eine Europakarte, die in mehrere Zeitzonen eingeteilt ist. Die Zeitzonen sind unterschiedlich angefärbt.
Idealisierte Zeitzonen über Europa. Hier steht die Sonne zwischen 11:30 h und 12:30 h am höchsten Punkt ihrer Laufbahn. Die einzelnen Zonen sind unterschiedlich eingefärbt. Frankreich und Spanien gehören eigentlich in die Westeuropäische Zeitzone, WEZ, die auch in Großbritannien gilt. Deutschland ist bis auf das Saarland in der Mitteleuropäischen Zeitzone, MEZ, gut aufgehoben. Perfekt passt die MEZ an der Grenze zwischen Deutschland und Polen. So steht die Sonne in der Stadt Görlitz exakt um 12 Uhr mittags am höchsten. Der äußerste Osten Polens gehört eigentlich in die Osteuropäische Zeitzone, OEZ.