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Interview mit Jonathan Franzen: "Mit das Wichtigste ist es jetzt, jungen Menschen ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie sich ein wilder Ort anfühlt."
Interview mit Jonathan Franzen: "Mit das Wichtigste ist es jetzt, jungen Menschen ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie sich ein wilder Ort anfühlt."
Der Schriftsteller über birdwatching, den Konflikt mit Klimaschützern und die Zukunft der Natur
Jonathan Franzen ist nicht nur eine der prominentesten literarischen Stimmen der USA. Seit vielen Jahren setzt der Schriftsteller sich streitbar für mehr Naturschutz und die Rechte der Vögel ein. Zuletzt erregte er Aufsehen mit der These, dass der Kampf gegen den Klimawandel bereits verloren sei und dass im Namen des Kampfes gegen die Erderwärmung nicht die letzten verbliebenen Refugien der Natur durch Windkraftanlagen zerstört werden dürften.
Thomas Krumenacker sprach per Skype ausführlich mit Franzen über die Faszination für Vögel, den Kampf darum, dass dem Artensterben mehr Beachtung geschenkt wird und Franzens Probleme mit einem Klimaschutz, der zu Lasten des Naturschutzes geht.
Thomas Krumenacker: Guten Morgen. Gestern Abend baten Sie darum, unser Interview um eine halbe Stunde zu verschieben, weil Sie am frühen Morgen erstmal Vögel beobachten wollten. Das hat natürlich Priorität. Waren Sie erfolgreich?
Jonathan Franzen: Es war ziemlich ruhig und das Wetter war nicht gerade toll. Es ist die Zeit des Vogelzugs und ich vermute, viele Vögel sind schon in der Nacht abgezogen.
Immerhin können Sie offenbar wieder vor die Tür gehen. Sie leben in Kalifornien. Wüten auch in Ihrer Region immer noch Waldbrände?
Gerade nicht mehr. Vor ein paar Wochen hatten wir sie aber sehr nahe bei uns, und wir waren für ein paar Tage wirklich besorgt um unser Haus. Aber wir hatten Glück mit dem Wetter und den Feuerwehrleuten – es gab furchtbar wenig Feuerwehrleute – aber sie haben Santa Cruz gut geschützt.
Es ist die Zeit des Herbstzugs für viele Vogelarten und auf ihren Zugrouten schießen Wilderer und Jäger Arten wie Schreiadler, Wespenbussarde, Kraniche und andere Arten, die in ihren Brutgebieten mit viel Aufwand geschützt werden, wahllos ab. Sie waren mit anderen Vogelschützern selbst schon in Ägypten und anderen Ländern der Mittelmeerregion. Wie können diese Umweltverbrechen gestoppt werden?
Ich habe persönlich mein Bestes getan, um das Bewusstsein dafür zu schärfen. Ich habe zweimal über die Situation im Mittelmeerraum geschrieben und war auch an der Produktion eines langen Films zu dem Problem beteiligt. Ich denke, wir haben gute Chancen, die Situation innerhalb der EU zu verbessern, wie etwa in Albanien schon geschehen.
Und außerhalb Europas?
Ich denke, eine Organisation wie CABS, das Komitee gegen den Vogelmord, leistet im Mittelmeerraum eine sehr sehr gute Arbeit, um das illegale Töten von Zugvögeln bekannt zu machen und zu bekämpfen. Sie sind ausreichend aggressiv und allein das Aufdecken dessen, was mit vielen dieser Arten geschieht, kann einen Unterschied machen. Ich glaube nicht, dass die Menschen von Natur aus naturfeindlich sind. Sie verstehen einfach nicht das Ausmaß des Problems. Sobald sie sich des Problems bewusst sind, können sie sich dafür interessieren. Allerdings gehört zur Wahrheit auch, dass die Lage in einigen Ländern des Nahen Ostens, Ägypten, Syrien oder dem Libanon, viel schwieriger ist, weil dort viele eine Einmischung des Westens zurückweisen. Viele dieser Länder haben politische und soziale Probleme. Syrien befindet sich natürlich seit vielen Jahren in einem schrecklichen Krieg. Es ist wirklich schwer, dort etwas zu tun, ich habe, offen gesagt, nicht viel Hoffnung, dass wir dort eine wesentliche Verbesserung erreichen können. Es tut mir leid, aber ich denke, dass diese Vogelzugroute wahrscheinlich so lange ein Problem sein wird, bis sich etwas wirklich Großes in der Welt ändert. Bis dahin weiß ich nicht, was wir dagegen tun können.
Sie sagten einmal, dass Sie einen guten Teil Ihrer Zeit damit verbringen, sich für die Vögel einzusetzen. Sehen Sie sich selbst als so etwas wie einen Botschafter für die gefiederte Welt?
Ja. Aber das ist keine Rolle, die ich mir ausgesucht habe. Sie kam zu mir, weil ich durch mein Schreiben eine gewisse Sichtbarkeit habe. Damit geht eine Verantwortung einher. Wenn ich das nicht sage, wer dann? Schriftsteller zu sein, bedeutet, sehr egozentrisch zu sein. Es dreht sich alles um mich und mein Schaffen, meine Romane. Da genieße ich es, auch einmal sehr stark anderen zu Diensten sein zu können. Das sind die Vögel der Welt, die nicht für sich selbst sprechen können und die mir dafür auch nicht danken können. Sie wissen nicht einmal, dass ich das tue und würden sie es wissen, bin ich mir nicht sicher, ob es sie interessieren würde. Aber es gibt mir das Gefühl, dass ich Etwas diene, das nicht ich selbst bin.
„Ein Ort völlig ohne Vögel ist ein toter Ort. Ich glaube deshalb nicht, dass es schwer zu begreifen ist, dass man die Natur nicht vollständig zerstören und dann glauben kann, dass man selbst überlebt. Vögel sind also Botschafter der Natur.“
Wenn es darum geht, Akzeptanz für mehr Vogel- oder Naturschutz zu erreichen, betonen viele Naturschützer stets, wie nützlich diese für uns Menschen sind. Bienen müssen geschützt werden, weil sie bestäuben, Vögel fressen Insekten. Solche „Ökosystemleistungen“ werden sogar in Euro oder Dollar umgerechnet. Was halten Sie von diesem utilitaristischen Ansatz?
Ich glaube nicht, dass diese Argumentation wirklich trägt. Etwas drastischer, habe ich das einmal so formuliert: Die Vögel wollen uns nicht helfen, sie wollen unsere Beeren fressen. Wir stehen in Konkurrenz zu ihnen. Fangen wir an, uns auf die wirtschaftlichen Argumente einzulassen, verlieren wir. Da wäre es doch sinnvoller, wie in der gegenwärtigen europäischen Agrarpolitik, die Vogelwelt in ganzen Regionen völlig auszulöschen, weil man so mehr auf dem Land produzieren kann. Jede Berücksichtigung der Interessen von Vögeln innerhalb dieser Struktur ist ein Verlust: Wieso sollten wir Hecken stehen lassen‚ wenn wir dort etwas anbauen können und unsere Produktion um ein paar Prozent steigern könnten? In dieser Logik gibt es kein wirtschaftliches Argument für den Vogelschutz.
Haben Sie eine bessere Idee?
Fragen wir die Leute: ‚Was fehlt dir, wenn du in einer Landschaft stehst und kein wildes Leben siehst? Keine Insekten, keine Vögel, keine kleinen Säugetiere – nur menschengemachte Dinge? Vögel sind sehr auffällige Wesen und ihre Anwesenheit sagt uns, dass es an einem Ort wenigstens noch in einem gewissen Maß Wildheit gibt. Ein Ort völlig ohne Vögel ist ein toter Ort. Ich glaube deshalb nicht, dass es schwer zu begreifen ist, dass man die Natur nicht vollständig zerstören und dann glauben kann, dass man selbst überlebt. Vögel sind also Botschafter der Natur. Und viele Menschen haben heute kaum noch Kontakt zur Natur, außer vielleicht durch die Vögel in ihrem Garten oder Hinterhof. Diese Vögel, leisten meiner Meinung nach eine gewaltige Arbeit. Sie erinnern uns daran, dass es da draußen eine natürliche Welt gibt.
Ich finde, dass wir den Vögeln auch jenseits jeglicher Nützlichkeits-Erwägungen Rechte zubilligen müssen, die sie aus sich heraus besitzen. Auch Sie haben einmal gesagt 'Wir müssen den Schwerpunkt auf die Ethik verlagern'
Das ist nach wie vor völlig richtig. Die Frage sollte nicht lauten: Was tun die Vögel für uns, sondern ob wir das Recht haben, den Planeten völlig nach unseren Bedürfnissen auszurichten und ihn letztlich zu zerstören. Was gibt uns das Recht, der Erde das anzutun? Das sind ethische Fragen, die wir meiner Meinung nach laut und deutlich und immer wieder stellen sollten.
Sie persönlich kamen ziemlich spät zur Vogelbeobachtung, in Ihren 40-er Jahren. Was fesselt Sie an den Vögeln?
W.H. Auden hat in einem seiner Gedichte diesen großartigen Satz geschrieben: ‚Durch Poesie ändert sich nichts'. In gewisser Weise könnte man dasselbe für Vögel sagen. Durch sie verändert sich nichts, aber ohne sie wäre die Welt ein viel ärmerer Ort. Ergibt das einen Sinn?
Vögel bereichern unser Leben, einfach, weil sie da sind?
Sie bringen mir Freude. Aus vielen, vielen Gründen, angefangen bei ihrer Schönheit. Aber auch, weil sie eine eigene Dimension der Welt sind. Wenn man sich dessen einmal bewusst geworden ist, macht es die ganze Erfahrung des Lebens viel reicher. Ich höre hier mal besser auf.
Um die Natur ist es nicht gut bestellt. Der Weltbiodiversitätsrat sieht eine Million Arten in den nächsten beiden Jahrzehnten vor dem Aussterben, wenn wir nicht radikal umsteuern. In den USA leben heute drei Milliarden Vögel weniger als vor 30 Jahren, Deutschland hat in den letzten Jahren sieben Millionen Vogelbrutpaare verloren. Die Lage ist also dramatisch, aber das Thema schafft es kaum in die Schlagzeilen. Warum ist das so?
Die traurige Wahrheit ist, dass sich nur ein kleiner Prozentsatz der Menschen für Vögel oder die anderen Arten auf der Erde interessiert. Das liegt auch an den Umweltbewegungen egal, ob in Europa oder in den USA. Sie beschäftigen sich fast ausschließlich mit dem Klimawandel. Nur langsam finden einige andere Umweltthemen Beachtung, das Insektensterben in Deutschland zum Beispiel. Ich glaube, dass immer mehr Menschen beginnen zu begreifen, dass diese schon zwanghafte Fixierung auf ein einziges Umweltthema keine Ergebnisse gebracht hat.
Die Klimaschützer schaffen es wenigstens, mit ihrem Anliegen durchzudringen. Die Erderwärmung und ihre Folgen sind fast das einzige umweltpolitische Thema, das dauerhaft in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert wird. Warum schaffen wir es als Vogelschützer im nicht weniger wichtigen Kampf für den Erhalt der Artenvielfalt nicht, eine ähnliche Beachtung zu bekommen?
Da kommen wir wieder auf die Tatsache zurück, dass sich nicht genug Menschen für Vögel oder generell andere Arten interessieren. Für sich selbst interessiert sich aber jeder. Man kann das verstehen, wenn jemand 25 Jahre alt ist und ihm gesagt wird, dass das Klima noch viel wärmer, viel trockener, viel extremer werden wird, dass es noch viel mehr extreme Wetterereignisse und Brände geben wird – das ist für einen persönlich sehr beängstigend. Und Sorgen um sich selbst kannst man sich auch machen, ohne sich für die Natur zu interessieren. Genau das hat die Umweltbewegung in den letzten 30 Jahren praktiziert. Sie konzentriert sich ganz auf die Sicherheit und das Wohlergehen der Menschen, nicht auf den Schutz von anderen Arten oder Ökosystemen. Gleichzeitig können wir aber nicht weiter die Ozeane und die tropischen Wälder völlig zerstören und dann glauben, als Menschheit überleben zu können.
Die Umweltbewegung ist also selbst mitverantwortlich dafür, dass es so wenig Fortschritte beim Schutz der natürlichen Vielfalt gibt?
Alle Energie, die sie haben, investieren die allermeisten Aktivisten in die Verringerung von Treibhausgasen. Wenn aber nicht einmal die Leute aus dem eigenen Lager, die Grünen und die großen Umweltverbände, den anderen Problemen die nötige Aufmerksamkeit geben, ist es sehr sehr schwierig, politisch voranzukommen. Ich bin aber trotzdem vorsichtig zuversichtlich, dass die Bewahrung der Umwelt ein größeres Thema werden wird. Dazu müssen wir uns aber von dem Glauben verabschieden, den Klimawandel völlig verhindern zu können und uns stärker dazu hinwenden, uns an seine Folgen anzupassen.
„Mein Appell an alle, die Vögel in Deutschland schützen wollen: Sie müssen die ökologisch interessierten Menschen, die durchschnittlichen grün denkenden und vom Klimawandel besessen Menschen, auf Ihre Seite ziehen und ihnen sagen: ‚Wir sind uns einig, wir brauchen viel mehr grüne Energie, aber wir müssen das klug anstellen. Wir können nicht einfach die Natur, die wir zu schützen versuchen, für eine leichte Reduzierung des CO2-Ausstoßes total zerstören.“
Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten?
Wir haben diesen Kampf im Grunde verloren. So erschütternd das ist, könnte in der Anerkennung dieser Tatsache auch eine Chance liegen. Denn ein Teil der Anpassung an die Folgen des Klimawandels besteht darin, das zu retten, was wir noch retten können: Die Ozeane sind durch den Klimawandel bereits in großen Schwierigkeiten, vielleicht sollten wir da nicht auch noch die Fischbestände zerstören, Wale töten und all diese Dinge. Ich glaube, langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass wir, selbst wenn wir das Klimaproblem gelöst hätten, den Ökosystemen so viel Schaden zufügen, dass uns die Klimarettung auch nicht entscheidend weiterhilft. Denn selbst mit intaktem Klima gibt es immer noch wirklich schreckliche, schreckliche Schäden.
Im Augenblick werden im Namen des Klimaschutzes Erneuerbare Energien auch auf Kosten der verbliebenen Natur ausgebaut. Riesige Flächen sind mit sogenannten Energiepflanzen bestellt und schlecht geplante Windkraftanlagen töten massenhaft Vögel und Fledermäuse auf ihrem Zug…
Auch wir kämpfen hier gerade eine Schlacht gegen einen Windpark, der auf dem Eriesee gebaut werden soll. Der Standort liegt im Zentrum einer Vogelzugroute. Dutzende von Millionen Vögeln überqueren den Eriesee in der Nacht in jedem Frühjahr und jedem Herbst. Es gibt kaum einen schlechteren Ort im Osten der Vereinigten Staaten, um einen Windpark zu errichten. Leider sagen die Leute: "Wir brauchen die saubere Energie“. Hier braucht es eine bessere Verständigung innerhalb der Umweltbewegung: zwischen Menschen, denen es um die Natur geht und jenen, denen der Klimawandel am Herzen liegt. Das würde wirklich helfen.
„Ich wünsche mir, dass die großen Umweltbewegungen in Europa zur Vernunft kommen und ihre Feindschaft denen gegenüber aufgeben, die sagen: ‚Können wir das ein bißchen besser machen, können wir dabei klüger sein, können wir nicht so viele Vögel und andere Arten mit unseren Projekten für erneuerbare Energien töten?‘“
Der Konflikt zwischen Naturschutz und Windenergie spitzt sich auch in Deutschland weiter zu, je knapper die Flächen werden. Selbst die großen Naturschutzverbände räumen vielfach der sogenannten Ökoenergie Vorrang vor dem Artenschutz ein. Wie kann der Konflikt entschärft werden?
Mein Appell an alle, die Vögel in Deutschland schützen wollen: Sie müssen die ökologisch interessierten Menschen, die durchschnittlichen grün denkenden und vom Klimawandel besessen Menschen, auf Ihre Seite ziehen und ihnen sagen: ‚Wir sind uns einig, wir brauchen viel mehr grüne Energie, aber wir müssen das klug anstellen. Wir können nicht einfach die Natur, die wir zu schützen versuchen, für eine leichte Reduzierung des CO2-Ausstoßes total zerstören.’ Ich wünsche mir, dass die großen Umweltbewegungen in Europa zur Vernunft kommen und ihre Feindschaft denen gegenüber aufgeben, die sagen: ‚Können wir das ein bisschen besser machen, können wir dabei klüger sein, können wir nicht so viele Vögel und andere Arten mit unseren Projekten für erneuerbare Energien töten?‘
Der Trend zu einer energetisch nachhaltigen Gesellschaft mit erneuerbaren Energien, aber ohne Natur oder sogar auf Kosten der Natur, hält aber an. Was sagt uns das über unser Verhältnis zur Natur, wenn Steingarten und E-Auto vor dem Haus nicht mehr als Widerspruch wahrgenommen werden?
Ein Teil des Problems besteht darin, dass es gerade für junge Menschen schwierig ist, eine Bindung an die Natur zu entwickeln, da sie nicht einmal wissen, was wir da verlieren. Weil sie sich nicht an eine Zeit erinnern, in der es noch etwas anderes gab. Hier liegt eine gewaltige Herausforderung für Bildung und Erziehung. Mit das Wichtigste ist es jetzt, jungen Menschen ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie sich ein wilder Ort anfühlt. Denn was man nicht kennt, kann man nicht lieben - und was man nicht liebt, wird einem auch gleichgültig bleiben. Wir leben leider in dieser immer virtueller werdenden Welt, in der viele Dinge nicht wirklich sichtbar sind. So, wie wir in unseren Apps und Smartphones nicht sehen, was da alles im Hintergrund passiert. Wir leben in einem auf Konsum gründenden Kapitalismus, in dem es darum geht, es den Verbrauchern leicht zu machen und sie nicht mit anderen Dingen zu belästigen. Viele Dinge sind nicht mehr sichtbar, auch die Verluste nicht und unsere Aufgabe ist es, den Menschen zu helfen, zu sehen, was das System zu verbergen versucht.
„Ich kritisiere die Klimaschützer, weil ich glaube, dass sie in ihrem Bemühen, ein schreckliches Problem zu lösen, genau das vernachlässigen, was sie vorgeben, schützen zu wollen: die Natur.“
Schon 2015 haben Sie in ihrem vielbeachteten Aufsatz "Carbon Capture" im Magazin New Yorker davor gewarnt, den Klimawandel als einziges Umweltproblem anzusehen. Seitdem werden sie nicht müde, diese Warnung zu bekräftigen, für den Ausbau der Erneuerbaren Energien auch die letzten Reste verbliebener Natur zu opfern. Die Reaktionen, die Ihnen entgegenschlagen sind häufig scharf und Sie wurden oft als jemand dargestellt, der den Klimawandel verharmlost. Berührt Sie diese Kritik, verletzt sie Sie sogar?
(Seufzt). Ich möchte eigentlich nicht in einer solchen frontalen Konfrontation zu den Klimaaktivisten stehen. Sie versuchen ihr Bestes, um ein schreckliches Problem zu lösen. Aber ich kritisiere sie, weil ich glaube, dass sie dabei genau das vernachlässigen, was sie vorgeben, schützen zu wollen: die Natur. Ich bin in der luxuriösen Lage, offen für die Vögel eintreten zu können. Dafür hassen mich manche. Aber das verletzt mich nicht persönlich und es überrascht mich auch nicht wirklich. Denn die Beschäftigung mit dem Klimawandel ist eine richtige Institution geworden. Manche beschäftigen sich schon seit 30 oder 40 Jahren damit, ihre Karrieren hängen davon ab. Wenn dann jemand kommt und sagt: 'Hey, können wir auch über etwas anderes reden', fühlen sie sich bedroht und greifen denjenigen an, der das sagt. Auf der anderen Seite tut sich aber auch etwas. Ich denke, viele normale Bürger verstehen, dass ihnen nicht die Wahrheit gesagt wird, und es gibt tatsächlich ein großes Bedürfnis unter den normalen Lesern, den normalen Menschen, den normalen Bürgern nach einer realistischeren Einschätzung, wo wir mit dem Klima stehen.
Zurück zu den Vögeln. In Ihrer Nähe leben wieder Kalifornische Kondore. Dass es sie wieder in freier Wildbahn gibt, ist eine Erfolgsgeschichte des Artenschutzes in den USA. Helfen solche guten Nachrichten beim Vogelschutz?
Die Brände haben nicht weit von da, wo ich lebe, einige Brut- und Rastgebiete zerstört und auch mehrere Kondore selbst kamen ums Leben. Aber im Großen und Ganzen sind wir mit der Wiederansiedlung dieser Art viel weiter als vor 30 Jahren, und den Menschen bedeutet das wirklich etwas. Die unterschiedlichsten Leute freuen sich sehr darüber, dass die Kondore wieder da sind. Ganz normale Leute, die sonst überhaupt nichts mit Vögeln zu tun haben, geraten aus dem Häuschen, wenn sie zufällig in den Bergen sind und einen Kondor sehen..
Vielleicht können wir das in Deutschland auch bald erleben. Im kommenden Jahr sollen in den bayerischen Alpen wieder Bartgeier angesiedelt werden.
Ja, tut das. Was auch immer nötig ist, sobald das Interesse der Menschen an dieser einen Art geweckt ist, kann man anfangen, sie auch für andere, weniger sichtbare Arten zu interessieren. Das könnte der richtige Weg sein. Wir haben nicht sehr viele Möglichkeiten, um zu versuchen, die breite Öffentlichkeit für diese Themen zu interessieren.
Sie kennen Deutschland ja gut, unter anderem haben Sie ein Jahr lang in Berlin gelebt. Wie sehen sie die Stadt aus der Perspektive eines „birders“, eines begeisterten Vogelbeobachters?
Als ich in Berlin gelebt habe, war ich noch kein birder. Aber ich bin danach häufig zurückgekommen. Berlin ist ein phantastischer Ort für Vögel, das wissen Sie ja besser als ich. Nicht nur die Gegend drumherum in Brandenburg und an der Oder, ich meine die Stadt selbst. Es gibt eine enorme Vielfalt an Arten und die Stadt ist so etwas wie ein Zufluchtsort für all die Arten, die vor der intensiven Landwirtschaft mit ihren öden Rapsfeldern oder dem Mais drumherum fliehen. Ich würde sagen, Berlin ist vielleicht weltweit die beste Stadt für Vögel.
Viele Vogelbeobachterinnen und Vogelbeobachter führen Listen über die Arten, die sie sehen. Sind sie auch ein „lister“ und gibt es eine Vogelart, die Sie unbedingt sehen möchten?
Oh ja, Ich führe viel zu viele Listen. Ich bin da ein bisschen eine zwanghafte Person und ich mag es, eine lange Liste zu haben. Die Liste selbst ist aber letztlich bedeutungslos. Aber es gibt viele Vormittage, an denen ich wahrscheinlich nicht zur Vogelbeobachtung gehen würde, aber dann höre ich, dass jemand eine interessante Art beobachtet hat, die noch nicht auf meiner Liste ist. Das ist dann ein guter Anlass, rauszugehen. Wenn ich dann einmal da draußen bin, ist die Liste nicht mehr wirklich wichtig. Ich bin einfach froh, in der Natur zu sein. Ich kann Ihnen also ziemlich genau sagen, wie viele Arten auf meinen verschiedenen Listen stehen: County, Kalifornien, Nordamerika, Welt, sogar eine Deutschland-Liste habe ich, glaube ich.
Die würde mich jetzt schon interessieren …
Schauen wir mal nach in meiner Listen-Software - Moment – (sucht). Oh, in Deutschland hab ich weniger Vogelarten gesehen als ich dachte. 153 Arten.
Nicht schlecht, ungefähr die Hälfte aller hier brütenden Arten. Und welcher Vogel muss noch drauf, den Sie verpasst haben?
Den Berghänfling habe ich bisher verpasst. Ich hab in England nach ihm gesucht und mich dabei schrecklich verlaufen. Und auch in Deutschland hatte ich bisher Pech mit ihm. Es ist nur ein kleiner Vogel, aber ich würde ihn sehr gerne sehen. Ein Grund mehr, wieder mal nach Deutschland zu kommen.