Gefangen in der Klimahölle
Rezension des Buchs „Klimabilder“ von Birgit Schneider
In leuchtend roten Weltkarten zeigen Klimaforscher, wie sich die Erde erwärmt. Die Medienforscherin Birgit Schneider hinterfragt die Grafiken mit den Mitteln der wissenschaftlichen Ästhetik und zeigt Wege auf, aus den Bilderwelten auszubrechen. Eine Rezension.
Es gibt wenige Möglichkeiten, den Klimawandel direkt zu sehen. Eine bietet der Film „Chasing Ice“, der vor einigen Jahren ins Kino kam. Der Fotograf James Balog hat dafür 25 Kameras auf Gletscher gerichtet und sie jede Stunde ein Foto machen lassen. Eine anstrengende und nervenaufreibende Arbeit, weil er die robusten Kameras an unwirtlichen Orten sicher befestigen musste. Legt man aber schließlich die Bilder zu einem Zeitrafferfilm zusammen, sieht man, wie sich die mächtigen Eiszungen von Jahr zu Jahr zurückziehen und zugleich dünner werden – als hätte jemand die Luft herausgelassen. In einigen Fällen verschwand der Gletscher sogar aus dem Bildausschnitt und Balog musste bei seinen Inspektionen die Kamera neu ausrichten. Die Arktis erwärmt sich stärker als der Rest des Planeten und zeigt den Trend daher besonders deutlich.
Doch in der Regel entzieht sich der Klimawandel unserer Wahrnehmung. Wir sehen und spüren das aktuelle Wetter, aber nicht das langjährige Mittel für eine bestimmte Jahreszeit. Um die klimatischen Veränderungen sichtbar zu machen, haben Klimaforscher einen ganzen Satz an Schaubildern entwickelt, die unsere Diskussion über den menschengemachten Klimawandel prägen. Nicht Eisbären auf einer kleinen Eisscholle, sondern Weltkarten mit der möglichen Temperaturverteilung bis zum Jahr 2100. Birgit Schneider vom Institut für Kunst und Medien der Universität Potsdam analysiert diese Schaubilder in ihrem anregenden Buch „Klimabilder“ mit den Methoden der ästhetischen Wissenschaften behutsam und überzeugend. Sie bestehe „auf dem Wert langsamer, geisteswissenschaftlich-qualitativer Methoden“, schreibt sie im Vorwort.
Schneider sät keine Zweifel am Inhalt der Grafiken, sondern fragt vielmehr, wie Bilder dazu beitragen könnten, die Wende zu einem effektiven Klimaschutz zu meistern. Dazu betrachtet sie die Diagramme aus der Distanz der Wissenschaftlerin. Ihr Ziel ist durchaus revolutionär: Es geht ihr darum, die Grundlage für einen anderen Umgang mit der Klimakrise zu legen. Denn sie hält es für ausgemacht, dass die dringend benötigten Lösungen nicht „innerhalb des Machbarkeitsparadigmas der instrumentellen Vernunft – zu dem technische Lösungen, aber auch technokratische Lösungen im Sinne eines großskaligen Geo-Engineerings gehören – angemessen gedacht werden können“. Mit ihrer Bildkritik will sie das Entwickeln neuer Bilder erleichtern.
Die Warnfarbe Rot
Auf knapp 400 Seiten nimmt die Autorin ihre Leser auf eine Reise mit. Sie führt von den Anfängen um 1800, als aus langen Tabellen mit Temperatur- und Niederschlagsdaten die ersten Wetterkarten wurden, über die ersten Versuche Alexander von Humboldts, Klimazonen in Weltkarten einzutragen, zu Al Gore, den Klimawandelleugnern und den Computersimulationen des 21. Jahrhunderts.
An vielen Beispielen entwickelt sie eine ihrer Botschaften: Den dürren Kurven des vergangenen oder zukünftigen Temperaturverlaufs sieht man nicht an, wie viel Arbeit in ihnen steckt. Erst durch die Erläuterungen wird deutlich, wie die Daten erhoben und statistisch bearbeitet wurden, und erst daraus lässt sich ableiten, wie zuverlässig die Aussagen sind. Diese zusätzlichen Erläuterungen darf man nicht vernachlässigen, denn die Kurven entwickeln schon für sich genommen eine starke Wirkung. Sie suggerieren Augenzeugenschaft, schreibt Schneider. Der Anspruch der Klimaforschung lautet ihr zufolge: „Die Phänomene drücken sich in den Kurven selbst aus.“ Schneider appelliert also, mit der Evidenz erzeugenden Kraft der Grafiken sorgsam umzugehen.
Das vielleicht Auffälligste an den Klimabildern ist jedoch die Auswahl der Farben: Das zukünftige Klima leuchtet mehr oder weniger rot. (Das Titelbild zeigt eine solche Karte aus dem jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC: das „Business as usual“-Szenario Ende dieses Jahrhunderts.) Sogar die heutigen Temperaturen werden mit Rot von den früheren – in Blau gehaltenen – Temperaturen abgegrenzt (siehe Bildergalerie oben). Rot steht im Alltag für Wärme und Blau für Kälte, das kennt man vom Wasserhahn, daher kann man gegen die Farbwahl nichts sagen. Oder doch? Rot steht schließlich auch für Gefahr. Wie verträgt sich diese Warnfarbe mit der sonst üblichen Zurückhaltung der Wissenschaft? Birgit Schneider findet, diese Bilder passen weniger zum nüchternen Begriff „Klimawandel“ als vielmehr zum Begriff der „Klimakatastrophe“, der in den 1980er-Jahren üblich war. „Die Daten beginnen Geschichten zu erzählen“, schreibt sie. „Die Betrachter projizieren ihre eigenen Ängste und kollektiven Phantasmen in die Zukunftserzählungen der Klimatologie.“
Darf ein Bild, das in erster Linie die Ergebnisse von Computersimulationen visualisieren soll, mit der Botschaft verknüpft werden, dass diese bedrohliche Zukunft um jeden Preis vermieden werden sollte? Schneider hält die Schaubilder für politisch: Die Grenzen der reinen Wissenschaft werden überschritten, da es nicht um die Zukunft der Natur geht, sondern um die des Menschen. Sie hält das für vertretbar und sorgt sich eher um das Gefühl der Ohnmacht, das sie auslösen können, weil offen bleibt, wer handeln müsste. Denn der Blick auf die Welt der Zukunft zeigt nicht, wer für sie verantwortlich ist. Statt vom Anthropozän zu sprechen, dem vom Menschen geprägten Erdzeitalter, wäre aus Schneiders Sicht ein Begriff wie „Kapitalozän“ sinnvoller, denn damit würden die Ursachen klarer benannt. Doch an diesem Punkt stoppt Schneider ihre Analyse: Die Frage, ob schockierende Bilder zum Umdenken und Handeln motivieren, sei noch nicht hinreichend erforscht.
Abkehr von der Apokalypse
Die Autorin empfiehlt jedoch aus einem anderen Grund, schon jetzt zu überlegen, ob nicht noch andere Darstellungen der Zukunft möglich sind. Die rote, „brennende“ Erde im Vergleich zur blau gefärbten Weltkarte mit niedrigeren Temperaturen erinnert sie an Altarbilder des Jüngsten Gerichts: Jesus steht in der Mitte und schickt die Lebenden und die Toten entweder in den blauen Himmel oder wirft sie in die rote Hölle. Die Grafiken der Klimaforschung verweisen somit auf eine lange Geschichte und feststehende Muster der Weltdeutung (siehe Bildergalerie oben).
In einer anderen Interpretation mit ähnlich religiöser Anspielung kann man die rote Erde der Blauen Murmel im Weltall entgegensetzen. Dann symbolisiert Blau das Paradies, aus dem wir uns selbst durch den Temperaturanstieg vertrieben haben und in das wir nicht zurückkehren können. Doch sogar die katholische Kirche rückt von apokalyptischen Deutungen ab, beobachtet Schneider. Papst Franziskus versucht mit seiner Enzyklika „Laudato Si‘“ vielmehr Hoffnung zu säen: „Der Schöpfer verlässt uns nicht, niemals macht er in seinem Plan der Liebe einen Rückzieher, noch reut es ihn, uns erschaffen zu haben“, schreibt er dort in der Einleitung. „Die Menschheit besitzt noch die Fähigkeit zusammenzuarbeiten, um unser gemeinsames Haus aufzubauen.“
Schneider stört sich daran, dass unser Repertoire an möglichen Zukünften derart eingeschränkt ist. Es erschöpft sich in drei Erzählungen. Da gibt es zum einen das Leben im Einklang mit der Natur, das von vielen als wünschenswert, aber unrealistisch eingeschätzt wird, und zum anderen das Leben in einer vier Grad wärmeren Welt, das sich zwar niemand vorstellen mag, das aber nur allzu wahrscheinlich ist. Ein drittes Szenario ist der Ausweg durch eine technische Lösung: ob als Hightech-Version mit emissionsfreier Energie oder als Entschärfung aller Klimafolgen – in dieser Zukunft leben wir sogar besser als bisher. Ob das ein realistisches Szenario ist, sei dahingestellt.
Der Cartoonist Robert Crumb hat diese drei Szenarien Ende schon 1981 in drei Paneelen illustriert (siehe oben), und Schneider kommentiert: „Die drei Visionen aus Robert Crumbs Comic rahmen bis heute unsere Zukunftsvorstellungen.“ Sie fordert neue Bilder, Metaphern und Narrative, auf deren Grundlage das Schicksal der Erde diskutiert und verändert werden kann. Ihre Warnung, die gut zur Motivation der Koralle KlimaSocial passt: „Indem man Lösungen ausschließlich auf dem Feld oder doch unter dem Primat der Naturwissenschaft sucht, lassen sich jene Deutungsrahmen nicht durchbrechen, die es um der Möglichkeit neuer Sichtweisen willen unbedingt zu verlassen gilt.“
Wie kommt man aus dieser eingeschränkten Bilderwelt heraus? Hier hält sich Schneider zurück und erwähnt am Schluss ihrer Analyse bloß einige vielversprechende Ansätze, darunter die „Weltklimakonferenz“ der Theatergruppe Rimini Protokoll: Die Zuschauer des Abends werden gebeten, die Verhandlungsposition eines Landes einzunehmen. Sie informieren sich, verhandeln mit anderen Teilnehmern und entscheiden schließlich über die Möglichkeiten des Klimaschutzes in „ihrem“ Land. Das ist eine Möglichkeit, die Überblicksperspektive zu verlassen und in die Weltkarten der Klimazukünfte hineinzuzoomen. Schneider wünscht sich noch weitere davon, um auch die Menschen zu sehen, die den Klimawandel verursachen und ihn bremsen können. Sonst bestehe die Gefahr, dass Lösungen trotz des Bottom-up-Ansatzes des Weltklimavertrags international festgelegt werden, warnt sie. Nur durch ein Heranzoomen an die Akteure könne man verstehen, „wie eine Klimapolitik vor Ort durch kulturell-spezifische Sichtweisen behindert oder gefördert werden kann“.