„Nicht realistisch, aber nötig“

Damit die Menschheit auf dem Planeten Erde überleben kann, braucht sie Verbote – ein Interview mit dem Verleger Herbert Lenz

14 Minuten
Roter Kreis auf weißem Grund, mit einem schrägen Strich von links oben nach rechts unten durchkreuzt – Verkehrschild für "Einfahrt verboten" nach DIN EN ISO 7010

„Wir müssen umdenken“, fordert der Verleger eines Münchner Verlages, der in seinem Programm auch immer Umweltbücher angeboten hat. Langsame, graduelle Veränderungen genügen nicht, ist er nach einem langen Leben überzeugt. Die Thesen seines Buches und die fiktionalen Elemente darin sind kontrovers, aber bedenkenswert.

Die erste Forderung ist noch ziemlich harmlos: „Du sollst die Erde lieben wie dich selbst“, formuliert Herbert Lenz als „elftes Gebot“. Doch dann geht es zur Sache: Damit die Menschheit eine Zukunft hat, brauche es allerhand Verbote. Gehälter und Geldmenge sollen begrenzt, Autos von den Straßen genommen, Konsum und Werbung teilweise untersagt werden. Um den Bevölkerungszuwachs zu stoppen, ventiliert Lenz sogar radikale Eingriffe in die Lebensplanung. Durchsetzen soll das alles eine Weltregierung.

Herbert Lenz, der seinen Verlag Komplett-Media in Grünwald bei München 1982 vor allem für die Vermarktung von Reisevideos gegründet hatte, produziert längst auch populär-wissenschaftliche Bücher. Darunter waren zuletzt Bestseller des Astronauten Ulrich Walter und des Physikers Harald Lesch. Besonders dessen Zivilisationskritik „Die Menschheit schafft sich ab“ hat seinen Verleger sichtlich beeindruckt.

Lenz hat nun im eigenen Verlag die Suada „Zur Hölle mit uns Menschen“ veröffentlicht, in der er bewusst unpopuläre Forderungen stellt. „Wir haben nicht mehr die Zeit, innerhalb einer Generation eine Transformation zu erreichen“, also langsam eine Mehrheit der Menschen zu überzeugen, ist er sicher. Und dass Verbote letztlich das kleinere Übel gegenüber der drohenden Katastrophe sind.

Christopher Schrader: Herr Lenz, die deutsche Sprache kennt viele unfreundliche Wörter für Menschen, die anderen etwas vorschreiben wollen: Oberlehrer, Besserwisser, Rechthaber, Miesmacher, Pedant, Jakobiner – mögen Sie sich da einen Begriff aussuchen?

Herbert Lenz: Die Begriffe sind mir alle nahe, besonders der Besserwisser, den benutzt auch schon mal meine Frau. Aber das will ich eigentlich gar nicht sein. Es erscheint nur manchmal so, wenn jemand etwas auch tatsächlich besser weiß als die Menschen um ihn herum. Damit muss man leben.

Das nehmen Sie für sich in Anspruch, dass Sie es besser wissen?

Ich weiß in einigen Bereichen zumindest mehr, weil ich mich damit beschäftigt habe. Und ich geb’ den Vorwurf mal zurück an diejenigen, die mich oder andere als Besserwisser bezeichnen. Sie bemühen sich selbst vielleicht zu wenig, mehr zu wissen. Dieses sich Bemühen um Information und Erkenntnis, das ist aber notwendig für die Demokratie. Wenn das jemand nicht macht, dann steht es ihm nicht zu, einen anderen als Besserwisser zu bezeichnen.

Ich bin ein Anhänger der Disruption, also des Bruchs mit den bisherigen Verhältnissen. Natürlich sind damit veränderte Rahmenbedingungen verbunden, und das ist ein euphemistisches Wort, ich meine damit auch Verbote.

Sie belassen es ja nicht beim Besserwissen, sie fordern in Ihrem Buch viele neue Verbote. Gehälter, Autofahren, Fliegen, Fleischessen – all das wollen Sie reglementieren. Trauen Sie es sich denn nicht zu, die Menschen von Ihrer Sichtweise zu überzeugen?

Wir haben nicht mehr die Zeit, innerhalb einer Generation eine Transformation zu erreichen, also mit Information und Überzeugung die Menschen dafür zu gewinnen, ihr Verhalten Schritt für Schritt freiwillig umzukrempeln. Ich bin ein Anhänger der Disruption, also des Bruchs mit den bisherigen Verhältnissen. Natürlich sind damit veränderte Rahmenbedingungen verbunden, und das ist ein euphemistisches Wort, ich meine damit auch Verbote. Ich weiß schon, dass die Leute dann gleich „Ökodiktatur“ schreien.

Zwei große Lastwagen begegnen sich an der Kreuzung Stresemannstraße und Max-Brauer-Allee in Hamburg. Man sieht rechts das Schild des Dieselfahrverbots.
Dieselfahrverbot in der Stresemannstaße, Hamburg-Altona

Mit Verboten tut sich unsere Gesellschaft schwer – das sieht man am Streit über die Dieselautos und Fahrverbote. In Hamburg, wo ich lebe, gibt es das ja schon. In Stuttgart soll es Anfang nächstens Jahres die ganze Stadt erfassen. Können uns solche Vorschriften überhaupt voranbringen?

Fahrverbote sind immerhin ein erster Stolperschritt in eine bessere Zukunft. Sie würden zumindest mal den Menschen nützen, die zum Beispiel am Mittleren Ring in München den Dreck in der Luft einatmen. Aber es bleibt eine Zwickmühle.

Wie das?

Zunächst einmal mag es ja Menschen am Mittleren Ring geben, oder bei Ihnen an den beiden Straßen, die selbst Dieselfahrzeugfahrer sind. Dann wollen sie natürlich kein Fahrverbot, auch wenn sie selbst unter der verschmutzten Luft ihrer Stinker leiden. Und dann ist die Autoindustrie sowohl gegen Fahrverbote wie gegen den Zwang, die Autos auf ihre Kosten nachrüsten zu müssen. Sie sägt damit den dürren Ast der Verbrennungsmotoren selber weiter ab. Aber letztlich müssen wir uns daran gewöhnen, dass wir uns selbst etwas verbieten, weil wir jetzt schon die Zukunft der Kinder, unserer Kinder und Enkel, verfressen und verheizen.

Woran machen Sie das fest?

Wir als Menschheit brauchen 1,6 Erden, um unseren Konsum zu decken. Wir nutzen jedes Jahr mehr Ressourcen, als die Erde uns im gleichen Jahr bereitstellen kann. 2017 war das Angebot rechnerisch am 2. August aufgebraucht, danach lebten wir auf Pump. Dieser Welterschöpfungstag liegt immer früher im Jahr: Vor 20 Jahren war es Ende September, vor zehn war es Mitte August.

Freiheit gilt nicht grenzenlos, sie ist immer gekoppelt an Verantwortung. Ich muss wissen, wo die Freiheit des anderen beginnt. Und der andere, das ist nicht nur der andere Mensch, das ist auch die Natur um mich herum.

Und wie wollen Sie das ändern?

Wir müssen umdenken, weg vom Mythos des Menschen, der sich alles untertan macht, hin zur Erkenntnis, dass wir Teil eines Ganzen sind. Darum gefällt mir das Bild vom Raumschiff Erde. Wir begreifen uns als Astronauten, wir sitzen alle auf unserem Raumschiff, und zwar als Crew nicht als Passagiere. Wir haben keine Billigtour all-inclusive gebucht, sondern wir haben Verantwortung.

Viele Menschen betonen eher ihre Freiheit.

Na klar, wir nehmen zunächst einmal die Freiheit wahr, die gefällt uns ja, und wir definieren sie so, dass wir tun können, was wir wollen, und dass wir bekommen, was uns gerade begehrenswert erscheint: Wohlstand, Essen, Konsum, Reisen, Urlaub. Aber diese Freiheit gilt nicht grenzenlos, sie ist immer gekoppelt an Verantwortung. Ich muss wissen, wo die Freiheit des anderen beginnt. Und der andere, das ist nicht nur der andere Mensch, das ist auch die Natur um mich herum.

Und zu dieser Erkenntnis wollen Sie die Menschen praktisch zwingen?

Schauen Sie, mein Buch ist eine Streitschrift. Über alles, was darin steht, können wir reden, aber wir müssen auch endlich über alles reden. Es heißt „Zur Hölle mit uns Menschen“, und diesen Titel muss man in Gedanken fortschreiben, „wenn wir nicht sofort etwas radikal verändern“. Mit dieser Forderung bin ich ja nicht der einzige: Stephen Emmott schreibt in seinem Buch „Zehn Milliarden“ von einem „beispiellosen Notfall planetaren Ausmaßes“. Er denkt genau wie ich: Wenn wir globale Katastrophen verhindern wollen, müssen wir dringend etwas Radikales tun, und zwar wirklich: tun.

Haben Sie irgendeine Hoffnung, darüber einen Konsens herzustellen, oder auch nur eine Mehrheit zu finden?

Das wird nicht einfach, klar. Aber ich halte mich dabei zum Beispiel an ein Zitat der Chefin der Börse in Saudi-Arabien. Sie hat über die Gleichberechtigung der Frauen in ihrem Land gesagt, und das gilt allgemein: Das ist nicht realistisch, aber nötig.

Das heißt aber, die Menschen werden hineingeworfen in ein neues System, und wir warten darauf, dass sie sich langsam dran gewöhnen, so wie in einer arrangierten Ehe.

Oft wird es ja eine Rückbesinnung auf Bewährtes sein. Ein ganz banales Beispiel: Coffee to go. Diese vielen Pappbecher hat es vor zehn Jahren gar nicht gegeben. Da haben wir Coffee to sit gemacht, wir sind ins Café gegangen, haben den Kaffee aus einer Porzellantasse getrunken, und dann sind wir aufgestanden und weitergegangen. Aber dann hat sich der Gedanke verfestigt, man müsse das auch unterwegs konsumieren können. Und so verbrauchen wir jeden Tag Millionen von diesen Bechern, und die müssen dann nach einmaligem Gebrauch eingesammelt und entsorgt werden.

Da sieht man eine kognitive Dissonanz: Wir erkennen, dass wir diese PS-Zahlen gar nicht brauchen, und kaufen doch solche Autos. Deswegen ist meine Forderung, wir müssen den Menschen helfen – wir müssen ihnen das verbieten.

Darum gibt es oft schon Rabatt, wenn man seinen eigenen, wieder verwendbaren Becher mitbringt.

Wenn Sie den Menschen sagen, Ihr müsst bitte weniger Becher benutzen, werden Sie feststellen, dass dieser Appell nicht viel bringt. Ganz anderes Szenario, nämlich meins, ein Verbot: Diese Pappbecher dürfen nicht mehr hergestellt und ausgegeben werden.

Sie wollen auch bei der Lebensmittelproduktion eingreifen.

Ja, ich fordere zum Beispiel, dass von den 60 Millionen Schweinen in Deutschland 30 Millionen rausmüssen. Wir essen ja gar nicht so viel Fleisch, wir exportieren die Hälfte auch noch – so als ob Deutschland das ideale Land wäre, um Schweine zu halten. Wir haben das Futter gar nicht, das holen wir in Form von Soja aus Brasilien, mit der Folge, dass dort der Regenwald für riesige Sojaplantagen abgeholzt wird.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Womit aus Ihrem Katalog von Forderungen würden Sie anfangen?

Mein Wunsch wäre: weniger Autos. Und andere Autos, nicht diese mit 300 PS, wo eigentlich 50 PS auch reichen würden. Das Auto wird völlig falsch bewertet, das ist nur ein Transportmittel, um von A nach B zu kommen. Aber wir Menschen haben ein Statussymbol daraus gemacht, so werden sie beworben und verkauft von den deutschen „Premiumherstellern“. Und als unmündige Konsumenten fallen wir auch noch auf diesen Mist herein und lassen uns einreden, man sei ein „sportlicher Autofahrer“, wenn man einen BMW oder so etwas fahre. Da sieht man eine kognitive Dissonanz: Wir erkennen, dass wir diese PS-Zahlen gar nicht brauchen, und kaufen doch solche Autos. Deswegen ist meine Forderung, wir müssen den Menschen helfen – wir müssen ihnen das verbieten.

Wie genau?

Zum Beispiel so: Ab 2020 dürfen keine Autos mit mehr als 100 PS hergestellt und zugelassen werden, ab 2025 sinkt die Grenze auf 60 PS. Und 2030 verlieren alle älteren Autos, die darüber liegen, die Betriebserlaubnis.

Bisher sprechen wir über Verbote oder Regeln, die tatsächlich schon im politischen Dialog sind.

Bitte machen Sie mich nicht harmloser, als ich bin. Es geht zum Beispiel auch darum, alle Rohstoffe zu verstaatlichen, alle Waffen zu verbieten, große Agrar- und Lebensmittelkonzerne zu zerschlagen, den Verbrauch von Energie und Wasser zu besteuern und die Gehälter zu begrenzen – der oberste Chef darf nur noch das Zehnfache des kleinsten Angestellten verdienen.

Das nimmt man doch nicht einfach so hin. Da muss man sich doch rechtzeitig kümmern, sonst kommt hinterher die berühmte Enkelfrage: Ihr habt’s doch gewusst, warum habt Ihr nichts getan?

Eine eindrucksvolle Liste. Aber Ihr Buch enthält auch einige Ideen, die auch darüber weit hinausgehen. Sie präsentieren diese wie Szenen aus Science-Fiction-Romanen. Es ist, als würden Sie sich diese radikalen Forderungen nur halb zu eigen machen. Als würden Sie sich vielleicht nicht ganz trauen.

Sie meinen vermutlich die Szene mit der Sitzung in Sydney im Jahr 2052?

Genau. Was passiert da?

Da trifft sich genauso wie heute ein Parlament, nur eben das einer Weltregierung, und es diskutiert darüber, das Renteneintrittsalter zu erhöhen, auf 70 Jahre. Und es hat sich schon ein Jahrzehnt zuvor auf eine Begrenzung der Kinderzahl auf zwei pro Frau und ein Lebensaustrittsalter geeinigt. Das Ziel ist, die Bevölkerungsdichte, die Population auf dem Raumschiff Erde zu kontrollieren.

Was heißt das, „Lebensaustrittsalter“?

Das heißt ganz konkret, die Gesellschaft einigt sich auf einen Termin, an dem jeder sein Leben beenden muss. In der Fiktion liegt es bei 78 Jahren, und die Debatte ist, es auf 80 Jahre zu erhöhen, weil sich die Bevölkerungszahl auf dem Planeten stabilisiert hat.

Wenn es soweit ist, dann begehen die Menschen in dieser Fiktion Selbstmord, unabhängig vom Gesundheitszustand?

Das wird menschenwürdig geregelt, es muss sich keiner vor die Eisenbahn werfen. Heute fahren viele Todkranke in die Schweiz, um mit Medikamenten einen selbstbestimmten Tod zu finden. Und bei der Debatte neulich im Bundestag haben wir wieder keinen guten Kompromiss für solche Sterbehilfe in Deutschland gefunden.

Aber in Ihrer Fiktion ist der Tod für viele gerade nicht mehr selbstbestimmt, wenn ihnen die Gesellschaft vorschreibt, dass sie zum 80. Geburtstag die Pillen schlucken müssen.

Natürlich ist das ein hochbrisantes Thema, sein Leben selbst zu beenden, das ist mir bewusst. Es geht aber eigentlich darum, die Populationsdichte, die Präsenz des Menschen auf der Erde, einmal kritisch anzuschauen und es nicht einfach laufen zu lassen. Wir müssen aus den gewohnten Denkschemata herauskommen und einfach die Frage stellen, wie viele Menschen verträgt denn der Planet? Sind wir nicht jetzt schon längst zu viele? Wer sagt denn, dass wir 7,5 Milliarden Menschen sein müssen hier auf diesem Planeten Erde? Es hat sich so ergeben, und zwar im 20. Jahrhundert, da sind 4,5 Milliarden Menschen dazu gekommen, und wir werden im 21. Jahrhundert noch einmal 3,5 Milliarden Menschen mehr werden. Für das Jahr 2100 liegen die Hochrechnungen bei elf Milliarden. Donnerwetter, sag ich da. Das nimmt man doch nicht einfach so hin. Da muss man sich doch rechtzeitig kümmern, sonst kommt hinterher die berühmte Enkelfrage: Ihr habt’s doch gewusst, warum habt Ihr nichts getan?

Ist eine Demokratie noch die zeitgemäße Form, wenn sie notwendige Entscheidungen verschleppt und verzögert? Die bedrohlichen Entwicklungen laufen im Hintergrund weiter. Die Einsicht ist zwar nicht angenehm, aber wir reden insgesamt nicht über angenehme Dinge.

Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber schildert in seinem Buch „Selbstverbrennung“, wie er immer wieder von Menschen angegriffen wird, die ihm vorwerfen, er habe zum Massenmord aufgerufen. Diese beziehen sich auf seine Spekulation, dass nach einem ungebremsten Klimawandel vielleicht nur noch eine Milliarde Menschen auf dem Planeten leben könne, und verdrehen die Warnung zur Forderung. Bei Ihnen müssten diese Leute nicht viel verdrehen, Ihnen könnten solche Vorwürfe auch bevorstehen.

(lacht) Kann mir blühen, ganz klar. Ich rühre an Religionen, Emotionen, und Überzeugungen. Aber wir müssen unsere Existenz als Menschheit von der Erde her denken, was sie ertragen kann, was sie uns zur Verfügung stellen kann. Wir sind, das vergessen wir immer wieder gerne, nur eine Form des Lebens. Wir sind nicht die entscheidende Form.

Ihre Fiktion enthält neben dem Lebensaustrittsalter noch ein weiteres Aufregerthema: die Weltregierung.

Ja, das Buch ist eine Streitschrift für eine Union Erde, also die Vereinigten Staaten der Erde mit Weltregierung und allem drum und dran.

Die Weltregierung: das ist der gemeinsame Nenner der Ängste der Ultra-Konservativen, beim Leugnen des Klimawandels oder dem Kampf gegen Flüchtlinge und political correctness. Eine solche Weltregierung, da sind ihre Gegner überzeugt, kann ja nur sozialistisch sein.

In meiner Fiktion ist es keine sozialistische Weltregierung. Natürlich gibt es da auch Privateigentum und Unternehmen, die nach Gewinn streben. In diese Richtung argumentiert auch der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, wenn er sagt, wir müssten die Infrastruktur für die nächste Stufe der Zivilisation bauen, um die Stammesfehden hinter uns zu lassen. Er ist doch nun beileibe kein Sozialist. Es die Perspektive – nicht nur von mir, um Gottes willen, das wäre ja völlig vermessen –, dass wir uns gemeinsam als Homo sapiens verstehen, als eine Art auf diesem Planeten, die nur zusammen überleben kann. Da dürfen natürlich auch die Konservativen mitreden.

Wo sollen die Leute herkommen, die globalen Ministerien für Energie, Bodenschätze oder Finanzen kompetent und korruptionsfrei führen?

Das ist bei den Menschen, wie wir sie kennen, eine sehr berechtigte Frage. Auch die Union Erde wird ein Menschenwerk sein, mit allen Gefahren und natürlich auch Korruption und Postengeschacher und Interessenkonflikten. Die ideale Form, der ideale Staat klingt nur in der Theorie bei den Philosophen gut, hingekriegt hat es noch niemand.


Ein Holzschild steht leicht nach rechts geneigt in einer steppe-ähnlichen Landschaft, wo Grasbüschel aus dem Sand ragen. Darauf steht: "Prohibido votar basura". –
„Müll abladen verboten“ - das sollte wohl auf diesem Schild in der bolivianischen Hochebene stehen. Durch einen Schreibfehler ist eine politische Weisheit daraus geworden: „Müll wählen verboten“.
„Müll abladen verboten“ - das sollte wohl auf diesem Schild in der bolivianischen Hochebene stehen. Durch einen Schreibfehler ist eine politische Weisheit daraus geworden: „Müll wählen verboten“.

Wie soll dieser Weltstaat entstehen? Es ist ja kaum anzunehmen, dass sich Mehrheiten in allen gut 190 heutigen Nationen dafür bilden.

Unsere Idee von Demokratie und Menschenwürde und individuellem Stimmrecht hat eine lange Geschichte. Das heißt aber nicht, dass jede Regel, die mit der Zeit entstanden ist, auch heute noch uneingeschränkt, unmodifiziert gelten muss. Ob die Idee, dass jeder eine Stimme haben muss, in Staaten von Zig oder Hunderten Millionen Bürgern 100-prozentig funktioniert, kann man zumindest mal in Frage stellen. Ist denn eine Demokratie noch die zeitgemäße Form, wenn sie notwendige Entscheidungen verschleppt und verzögert? Die bedrohlichen Entwicklungen laufen im Hintergrund weiter. Die Einsicht ist zwar nicht angenehm, aber wir reden insgesamt nicht über angenehme Dinge.

Es ist einfach so: Wenn wir es selber als mündige Bürger nicht hinbekommen, unser Leben im Einklang mit den Möglichkeiten des Planeten zu gestalten, dann muss es jemand anders übernehmen, sonst fahren wir an die Wand.

Und wie wollen Sie entscheiden, wer mehr Stimme hat und wer weniger?

Ich wäre zum Beispiel dafür, einen Führerschein für den mündigen Bürger einzuführen. Wer seine Stimme abgeben will, soll zeigen, dass er dessen würdig ist. Als Staatsbürger müssen Sie etwas wissen über den Staat, über die Gemeinschaft, in der Sie leben. Das ergibt sich nicht aus den Stand, wenn man täglich die Bild-Zeitung liest.

Bisher gibt es das höchstens beim Einbürgerungs-Test. Und da ist ja auch die Frage, ob den alle Deutschen bestehen würden.

Richtig. Jeder ist hier doch qua Geburt wahlberechtigt, aber nur die Eingebürgerten müssen belegen, dass Sie ein Grundverständnis von diesem Staat haben. Und sie müssen die deutsche Sprache beherrschen. Das ist bei vielen Deutschen, die hierzulande zur Schule gegangen sind, auch nicht gesichert. Aber lesen und schreiben zu können, ist doch entscheidend für einen mündigen Bürger, der später die Politik bestimmt mit seiner Stimme.

Es ist trotzdem höchst zweifelhaft, ob die mündigen, geprüften Bürger in Ihrem Sinne tatsächlich auch den Eingriffen in ihr Leben zustimmen würden. Oder ob das wirklich der Weg zu einer nachhaltigen Zukunft sein kann.

Das muss uns doch irgendwann mal einleuchten, dass es so nicht weitergeht. Wir müssen unseren Wohlstand Schritt für Schritt zurückfahren, und zwar strammen Schrittes. Aber vielleicht ist das ohnehin bald egal: Den idealen neuen Menschen wird es nicht geben, weil wir ja schon vorher alles den Maschinen übergeben haben.

In Ihrem Buch überlassen Sie ja schon das letzte Kapitel einem Algorithmus namens Big Daddy. Er regiert 2070 nach Ökokollaps und Nuklearkrieg auf der Südhalbkugel die verbliebenen Menschen. Seine Vollmachten schließen ein, darüber zu bestimmen, wer sich mit wem fortpflanzen darf, oder wer ein Computer-Interface unter die Schädeldecke implantiert bekommt. Steht uns das bevor?

Anzeichen gibt es schon. Ihr Kollege Kai Strittmatter beschrieb neulich in der Süddeutschen Zeitung in einer Reportage wunderbar das chinesische Modell. Dort werden Daten über das individuelle Verhalten gesammelt und die Menschen nach feststehenden Regeln beurteilt. Sie bekommen Plus- und Minus-Punkte, und wer zu viele Minus-Punkte hat, der darf zum Beispiel nicht mehr fliegen. Das Computer-System verweigert einfach die Buchung oder friert das Konto ein. Offenbar sieht die Regierung Chinas da den Ansatz zu einer idealen Gesellschaft, einer Gesellschaft der Harmonie und des Vertrauens. Die Regeln, das ist das Verzwickte, werden dann nicht demokratisch beschlossen, sondern vom Zentralkomitee vorgegeben und in das System eingespeist.

Herbert Lenz bezeichnet sein Buch „Zur Hölle mit uns Menschen“, das er im eigenen Verlag Komplett-Media herausgebracht hat, als Streitschrift. Hier das Cover und ein Porträt des Autors.
Herbert Lenz bezeichnet sein Buch „Zur Hölle mit uns Menschen“, das er im eigenen Verlag Komplett-Media herausgebracht hat, als Streitschrift.

Ist das erstrebenswert? Oder unvermeidbar?

Mir gefällt das natürlich auch nicht, keine Frage. Aber es ist einfach so: Wenn wir es selber als mündige Bürger nicht hinbekommen, unser Leben im Einklang mit den Möglichkeiten des Planeten zu gestalten, dann muss es jemand anders übernehmen, sonst fahren wir an die Wand. Und das könnte dann eines Tages tatsächlich das Modell Big Daddy sein, das ist dann ein selbst lernender Algorithmus, der seine Entscheidungen ohne menschliche Eingriffe oder Vorgaben trifft. Wie eine solche Maschine uns Menschen wahrnimmt, ist offen; vielleicht so, wie wir uns gegenüber Tieren verhalten.

Aber dass Sie Big Daddy diese herausragende Position am Ende des Buches überlassen, ist das eine Warnung nach dem Motto: Seht her, was uns droht, wenn wir uns nicht endlich am Riemen reißen?

Im ganzen Buch gebe ich Themen vor, über die man sich die Köpfe heiß reden kann, das soll so sein. Wir müssen uns mit den Themen vom Klima über die Ernährung und Robotik bis zur Bevölkerungsdichte beschäftigen. Das ist unvermeidbar, wenn man irgendwas retten will, wenn man den Crash verhindern möchte, und irgendwann wird es crashen. Dann erwischt es uns alle ziemlich brutal. Gemessen daran sind die Verbote, die ich jetzt einführen will, eine harmlose Vorstufe. ◀

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