Rechtsabbiegen bei Rot für Radfahrende: Gute Sache – aber erspart mir das Herumgehampel

Seit einigen Jahren dürfen Radfahrende an manchen Ampeln auch bei Rot nach rechts abbiegen. Das macht Radfahren attraktiver, ist ungefährlich und schadet niemandem. Aber Wiens schlechte Umsetzung macht mich unfreiwillig zur Stummfilm-Schauspielerin. Die Mobilitätskolumne.

vom Recherche-Kollektiv Busy Streets:
4 Minuten
Das Foto zeigt ein hochformatiges Metallschild, das an einem Ampelmasten schräg unterhalb der Ampel befestigt ist. Oben auf dem Schild zeigt ein grüner Pfeil nach rechts, darunter sind ein Fahrrad-Piktogramm und der Text „nach Halt“ zu sehen.

Es passiert mir immer wieder, wenn ich mit dem Rad abseits meiner gewohnten Wege unterwegs bin. Ich stehe an einer Kreuzung, warte auf Grün – und wenn die Ampel umschaltet und ich wieder losradle, sehe ich das Schildchen und stelle fest: Ich hätte gar nicht warten müssen.

Das Schildchen zeigt einen grünen Pfeil und ein Fahrrad. Es bedeutet, dass Radfahrende an dieser Ampel auch bei Rot nach rechts abbiegen (oder an sogenannten T-Kreuzungen geradeaus fahren) dürfen. Zuvor müssen sie kurz stoppen und sich vergewissern, dass sie niemanden gefährden oder behindern. Seit 2022 haben die Gemeinden hier in Österreich die Möglichkeit, solche Schildchen aufzuhängen. Ähnliche Regelungen existieren seit 2020 in Deutschland und seit 2021 in der Schweiz; in den Niederlanden, in Belgien, Frankreich und Dänemark gibt es sie schon viel länger.

Keine Sicherheitseinbußen, sagen sogar Skeptiker

Die Regel erspart Radfahrenden sinnlose Wartezeiten und macht das klimafreundliche Radfahren bequemer und attraktiver – und das, ohne teure Umbauten zu erfordern, irgendjemandem etwas wegzunehmen oder die Verkehrssicherheit zu beeinträchtigen. Letzteres unterscheidet den Grünpfeil für Radfahrende von jenem für den Autoverkehr, der in der DDR üblich war und in Deutschland nach der Wiedervereinigung heiß diskutiert wurde. Denn am Rad kann man das Geschehen um einen herum besser überblicken als aus einem Auto heraus, und man ist weniger gefährlich für andere Verkehrsteilnehmer*innen. In Österreich musste sogar der sehr skeptische Automobilclub ÖAMTC in einer Bilanz nach dem ersten Jahr eingestehen, dass es durch den Grünpfeil für Radfahrende „zu so gut wie keinen Sicherheitseinbußen kommt“.

Die neue Regelung ist also eine super Sache, und ich wünsche mir die entsprechenden Schilder an viel mehr Ampeln. Zugleich zeigt sich hier wieder mal: auch gute Ideen funktionieren in der Praxis nur dann richtig gut, wenn sie gut umgesetzt werden.

Das erste Umsetzungsproblem: In Ländern wie Belgien, Dänemark oder Frankreich müssen sich Radfahrende vor dem Rechtsabbiegen bei Rot nur vergewissern, dass sie niemanden gefährden oder behindern; in Österreich wie auch in Deutschland müssen sie wie an einer Stopp-Tafel kurz stehenbleiben, selbst wenn weit und breit niemand zu sehen ist. Das ist mühsam, weil auf dem Rad jedes Stehenbleiben und erneut Anfahren extra Kraft kostet. Wenig überraschend ignorieren viele Radfahrende – in der Zählung des ÖAMTC ganze 74 Prozent – das Halte-Gebot. „Allerdings“, schreibt der ÖAMTC, „kam es in nicht einmal einem Prozent der Fälle zu Konflikten“. Man könnte die Halte-Regel also einfach abschaffen.

Die Schildchen sind so klein, dass man sie oft zu spät sieht

Das zweite und für mich noch größere Problem in der Umsetzung: Man sieht die Tafeln oft schlicht nicht. Meine Heimatstadt Wien rühmt sich damit, österreichweit die meisten Grünpfeile aufgehängt zu haben, mehr als 650 sind es derzeit. Aber die Schildchen sind gerade mal 30 x 15 cm groß. Das ist winzig im Vergleich zu anderen Schildern: ein Vorrang-geben-Schild hat in Österreich selbst in der kleinsten Nebenstraße eine Seitenlänge von 70 cm; selbst ein Schild „Kurzparkzone“ ist größer als sechs Grünpfeil-Schildchen zusammen.

Radfahrende und Rad-Organisationen haben die Stadt schon nach der Präsentation der ersten zehn Schildchen darauf hingewiesen, dass diese viel zu klein sind. Die Stadt ignorierte die Kritik.

Das Foto zeigt eine Straßenszene in einer Großstadt bei Dunkelheit. Ein Zebrastreifen und eine Radfahrerüberfahrt queren eine mehrspurige Straße. Die auf der gegenüberliegenden Straßenseite angebrachte Fuß- und Radverkehrsampel ist rot. Neben dem roten Licht ist bei genauem Hinsehen ein Grünpfeil-Schildchen für den Radverkehr zu sehen.
Suchrätsel: Darf ich hier jetzt nach rechts abbiegen? Auflösung: Ja, darf ich, auf den Mehrzweckstreifen mit der Fahrrad-Bodenmarkierung rechts im Bild. Das Schildchen hängt am Ampelmasten rechts neben der roten Ampel.

Mini-Schildchen schüren Vorurteile gegen Radfahrende

Und das Liliput-Format der Schildchen hat noch einen weiteren negativen Effekt: Selbst wenn ich eines rechtzeitig sehe oder die Stelle bereits kenne, nutze ich mein Recht zum Rechtsabbiegen nur mit einem miesen Gefühl im Bauch. Denn wenn sogar ich, für die sie gedacht sind und die bewusst danach sucht, die Tafeln oft übersehe, dann fallen sie anderen Verkehrsteilnehmer*innen sicher noch weniger auf. Wie viele der Menschen um mich herum wissen also, dass ich hier völlig legal bei Rot fahre – und für wie viele bestärke ich gerade das Vorurteil, dass Radfahrende sich sowieso nicht an rote Ampeln halten?

Manchmal versuche ich dieses Problem zu „lösen“, indem ich vor dem Wieder-Losfahren meine Hand hebe und mit dem Finger auf das kleine Schildchen deute. Ich komme mir dabei vor wie eine schlechte Stummfilm-Schauspielerin – und frage mich jedes Mal, warum die Stadt sich partout nicht dazu durchringen kann, normal große Schilder zu verwenden. Bei Schildern für den Autoverkehr geht das schließlich auch.

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