Mobilitätskolumne: Wenn das Auto bei einem illegalen Rennen zur Mordwaffe wird
Das Landgericht Hannover hat eine Frau, die bei einem illegalen Autorennen einen Unfall mit zwei Toten verursacht hat, zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Gerichte sprechen zwar härtere Strafen aus, aber trotzdem nimmt die Zahl der Rennen drastisch zu.
Ein Teil der Autofahrenden in Deutschland hat ein neues Hobby für sich gefunden: das illegale Autorennen. Bundesweite Zahlen sind schwer zu finden, aber allein in Nordrhein-Westfalen ermittelte die Polizei im vergangenen Jahr in 2144 Fällen wegen verbotener Rennen. Die Zahl hat sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Und die rasenden FahrerInnen beherrschen ihre Fahrzeuge bei Weitem nicht so perfekt, wie sie vielleicht glauben. 526 Unfälle registrierte die Polizei 2023 in NRW, drei Menschen verloren dabei ihr Leben.
Jede Woche macht die lebensgefährliche Autoverherrlichung Schlagzeilen: Vor zwei Wochen starben am Autobahnkreuz Dortmund/Unna ein Vater und sein Sohn in einem völlig ausgebrannten Porsche. Das Auto war in hohem Tempo von der Autobahn geflogen, durchschlug zwei Bäume und ging in Flammen auf. Ein vermutlich am Rennen beteiligter Mercedes-Fahrer konnte zunächst unerkannt flüchten, aber normale Verkehrsteilnehmer hatten sich die Kennzeichen der Rowdies notiert. Die Polizei beschlagnahmte noch in der Nacht das Auto und das Mobiltelefon des 39-Jährigen. In Bayern geriet vor einer Woche ein 19-Jähriger von der Fahrbahn ab und schleuderte auf einen Parkplatz in eine Gruppe von fünf unbeteiligten Menschen.
Hohe Strafen schrecken Rasende nicht ab
Der motorisierte Irrsinn wird seit 2017 nicht mehr als Ordnungswidrigkeit behandelt, sondern in §315d als Straftat verfolgt. Die Teilnahme an einem Autorennen kann mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. Wenn die Rasenden das Leben anderer Menschen gefährden sind fünf Jahre möglich, kommt jemand ums Leben, sieht das Gesetz eine Strafe von bis zu zehn Jahren vor.
Die hochmotorisierten Verkehrsrowdys scheint das nicht zu beeindrucken, anders lässt sich die steigende Zahl der Delikte nicht erklären. Doch der Druck nimmt zu.
Zwei Kinder starben - lebenslange Haft
Vor einer Woche hat das Landgericht Hannover eine 42-jährige Autofahrerin zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt. Die Frau raste mit ca. 180 km/h auf einer Landstraße im Wettstreit mit ihrem Konkurrenten auf der Gegenfahrbahn und prallte frontal mit einem Kleinwagen zusammen. Das Auto mit einer vierköpfigen Familie wurde auf eine Pferdekoppel geschleudert, die beiden Kinder starben. Es gehört zu den schrecklichen Fakten, dass die Verursachenden diese Unfälle wegen der massiven Bauweise der Fahrzeuge häufig deutlich besser überstehen als die chancenlosen Opfer. Auch das Landgericht in Heilbronn entschied sich im Fall eines 19-Jährigen für eine Verurteilung wegen Mordes. Der junge Mann war durch die Stadt gerast, eine Frau hatte noch ausweichen können, ein Familienvater wurde aber beim Zusammenprall in seinem Auto getötet.
Urteile wegen Mordes werden oft überprüft
Es wäre keine Überraschung, wenn beide Urteile erneut von höheren Instanzen überprüft würden. Das ist bei ähnlichen Prozessen mit Mord-Verurteilungen in Berlin, Moers und Köln ebenfalls der Fall. In einem Rechtstaat stehen Revision und Berufung der Staatsanwaltschaft und den Angeklagten selbstverständlich zu. Die höchsten BundesrichterInnen beschäftigen derzeit mehrmals mit dem gleichen Verfahren. Offensichtlich ist noch nicht ganz ausgereift oder alltagstauglich, nach welchen Kriterien sich eine Raserei juristisch in einem Mordversuch verwandelt.
Doch mit jeder Runde durch die Instanzen gewinnen die Strafkammern an den Landgerichten, die als erste Instanz für Mord zuständig sind, an Sicherheit. In naher Zukunft werden die RichterInnen genau wissen, wie sie die Beweisaufnahme führen und wie sie in einer Urteilbegründung argumentieren müssen, damit sie urteilen können, ob eine rasende Autofahrt als Mordversuch eingestuft werden sollte. Dann könnten die verantwortungslosen Rasenden schneller rechtssicher verurteilt werden.
Fahrzeugdaten als Beweis für Raserei
Die Hersteller der Fahrzeuge sehen sich nicht in der Pflicht, die Höchstgeschwindigkeit situationsbedingt zu drosseln, obwohl die Computersysteme der Fahrzeuge meist wissen, welches Tempolimit gerade gilt. Die Polizei nutzt die Datensätze des „Event Data Recording“ (EDR) moderner Autos regelmäßig zur Rekonstruktion eines Unfalls. Dabei werden die letzten fünf Sekunden vor einem Unfall dokumentiert – zum Beispiel, wie schnell man gefahren ist, wie stark der Fahrer beschleunigt oder auf die Bremse getreten hat. Tesla liefert den Behörden sogar Videos der bordeigenen Kameras.
Zudem erscheint es längst überfällig, den Sprachgebrauch bei der Beschreibung der Unfälle zu ändern. Wir haben uns beispielsweise an Formulierungen gewöhnt, dass rasende Autofahrende plötzlich die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren haben. Haben sie erst im Moment des Unfalls die Kontrolle verloren? Oder ist das irrsinnige Rasen nicht bereits der völlige Verlust von Kontrolle?
Wer Autorennen fahren will, kann das beispielsweise auf der Rennstrecke am Nürburgring ganz legal tun. Aber auch dort gibt es bei den sogenannten Touristenfahrten regelmäßig Fälle von Selbstüberschätzung, die mit Unfällen enden.