Am Ort der Berliner Afrika-Konferenz: Dekolonialer Raum in der Wilhelmstraße vor dem Aus

Auch eine von Dekoloniale und Stadtmuseum gemeinsam organisierte dezentrale Ausstellung kann nicht mehr am Ort der Berliner Afrika-Konferenz von 1884/85 gezeigt werden

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Ein Schaufenster, das eine dekoloniale Ausstellung zeigt mit Informationen u.a. zur sogenannten Afrika-Konferenz von 1884/85

Viele Grenzen in Afrika sehen auf der Landkarte aus „wie mit dem Lineal gezogen“. Und genau das wurden sie auch: 1884/85 in Berlin bei der Afrika-Konferenz, auf Einladung von Reichskanzler Otto von Bismarck. Ohne Beteiligung von afrikanischen Vertreterïnnen teilten europäische, nordamerikanische und osmanische Politiker Afrika auf. Oft heißt es, der Kontinent sei damals „wie ein Kuchen in Stücke geschnitten“ worden.

Die berüchtigte Konferenz fand in etwa dort statt, wo heute ein anderes Gebäude in der Wilhelmstraße 92 steht. An diesem historischen Ort etablierten dekoloniale Initiativen mit ihrem gemeinsamen Modellprojekt Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt in den vergangenen Jahren einen Projektraum. Die Förderung für die „Dekoloniale“ war auf fünf Jahre angelegt und endet nun. Doch der Plan war, dass die Initiativen diesen Raum in der Wilhelmstraße weiter betreiben. Er hatte sich zu einem wichtigen Lern- und Erinnerungsort entwickelt. Vor einigen Wochen eröffnete dort eine Station der dezentralen Ausstellung „Dekoloniale – was bleibt?“. Hierfür kooperierten Dekoloniale und das Berliner Stadtmuseum.

Zum Jahresende ist all dies in der Wilhelmstraße plötzlich vorbei. Nicht wegen Kürzungen von Mitteln, wie es in Berlin zurzeit viele gibt, gerade auch für interkulturelle Initiativen. Nein, die Finanzierung dieses Raumes ist vom Senat bereits genehmigt. Die Mittel für eine Anmietung stünden bei der Stiftung Stadtmuseum zur Verfügung, teilt die Pressestelle der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt mit. Das Problem ist ein anderes: Der Vermieter macht nicht mehr mit.

Gemeinsame Pressemitteilung

In einer gemeinsamen Pressemitteilung informieren Each One Teach One (EOTO) e.V., Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund e.V.) und Berlin Postkolonial e.V. darüber, dass der Mietvertrag für ihren Projektraum in der Wilhelmstraße 92 zum Jahresende nicht verlängert wird.

Die Vermietungsgesellschaft habe „ohne Angabe von Gründen eine Verlängerung des Mietvertrages mit der Stiftung Stadtmuseum Berlin über den bisherigen Arbeitsraum des Modellprojekts Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt abgelehnt“.

Mnyaka Sururu Mboro vom Projektträger Berlin Postkolonial sagt: „Wir sind traurig und wütend, dass uns der Eigentümer ohne Angabe von Gründen auf die Straße setzen kann. Damit wird unsere Bildungsarbeit massiv behindert. Regelmäßig haben wir dort mit internationalen Gruppen über die Berliner Afrika-Konferenz und ihre Folgen diskutiert.“

Das Aus zum Jahresende

Zum Jahresende muss der Raum geräumt sein. Die dort erst vor einem Monat installierte Dauerausstellung „Erinnern. Entschuldigen. Entschädigen.“ zur Geschichte und zu den Folgen der Berliner Afrika-Konferenz von 1884/85 wird in diesen Tagen abgebaut. Die aufwändige Schaufensterpräsentation ist – war – ein integraler Teil der aktuellen Gesamtausstellung „Dekoloniale – was bleibt?“.

„Das Stadtmuseum Berlin und die Kooperationspartner*innen aus den afrikanischen/Schwarzen Communities verlieren damit die Möglichkeit, an dem Symbolort für Europas koloniale Unrechtsherrschaft in Afrika zugängliche und wirkungsvolle historisch-politische Bildungsarbeit zu leisten“, teilen die Initiativen mit.

Mit der Aufgabe des dekolonialen Projektraumes gehe „ein wichtiger Knotenpunkt im dünnen Netz der postkolonialen Erinnerungsorte der Stadt verloren, von dem aus sich der seit Jahrzehnten geforderte zentrale Lern- und Erinnerungsort Berlins konzipieren und denken ließ(e)“, heißt es weiter. Auch die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag der Ampel niedergeschrieben, dass ein Konzept für einen Lern- und Erinnerungsort Kolonialismus entwickelt werden solle.

„Wir sind auch vom Kultursenator Joe Chialo enttäuscht“, sagt Mnyaka Sururu Mboro, Vorstand von Berlin Postkolonial, „denn nach seinem mehrmaligen Bekenntnis zur Sicherung des Projektraumes hatten wir von ihm Unterstützung im Kampf für den Erhalt erwartet“.

Reaktion des Kultursenators

Was sagt Chialo selbst? Die Pressestelle der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt antwortet auf Nachfrage, „der Kultursenator bedauert außerordentlich, dass mit der aktuellen Entscheidung des Vermieters die Sicherung des Projektraums Wilhelmstraße 92 über das Projekt Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt hinaus nicht mehr gewährleistet werden kann und ein für die Aufarbeitung des Kolonialismus einzigartiger Ort und Projektraum verloren geht.“

Ein Mann in dunkelblauer Jacke und  hellem Hemd. Umgehängt ein Dokument, das ihn als Delegationsteilnehmer ausweist
Joe Chialo (CDU), Berlins Senator für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt, ist Sohn tansanischer Eltern.

Ein wichtiger Erinnerungsort

Das Statement seiner Pressestelle lässt zumindest erkennen, dass man sich um die mehrfache Bedeutung des Ortes bewusst ist – mit Blick auf die Geschichte und mit Blick auf die Gegenwart: Der Ort sei „von erheblicher historischer Relevanz für das Herrschafts- und Unrechtssystem des Kolonialismus und dessen Aufarbeitung in Berlin“ und habe sich darüber hinaus „zu einem wichtigen Ort der Vermittlung und des Austauschs afrodiasporischer und Schwarzer Communities entwickelt“. Der Verlust wiege schwer, „da der Ort so nicht ersetzbar ist“.

Wird Chialo in der Angelegenheit aktiv werden? Der Senator habe bereits, so die Pressestelle, „in den vergangenen Wochen über sein Büro mehrfach die zuständige Hausverwaltung und den Vermieter kontaktiert und sich um einen direkten Austausch mit dem Vermieter bemüht, bisher leider erfolglos“.

Dem Senator sei es ein großes Anliegen, mit dem Vermieter über die Möglichkeiten einer Weitervermietung an die Stiftung Stadtmuseum und damit eine Sicherung der Wilhelmstraße 92 als Projektraum für eine dekoloniale Erinnerungsarbeit ins Gespräch zu kommen und nach Lösungen zu suchen.

Während die Politik also noch auf eine Lösung hofft, heißt es für die betroffenen Initiativen und die Ausstellung: ausziehen.

Nur noch die Infotafel bleibt

Künftig wird an dem historischen Ort nur noch eine etwas vom Haus entfernt aufgestellte Info-Tafel an die Vergangenheit erinnern. Der sehr viel sichtbarere Raum mit den großen Schaufenstern und der dortigen Ausstellung scheint für die dekolonialen Initiativen verloren.

Ein älterer Mann neben einer Infotafel. Im Hintergrund ein Gebäude.
Mnyaka Sururu Mboro, Vorstand von Berlin Postkolonial e.V., neben der Infotafel vor der Wilhemstraße 92,

Als Erkenntnis bleibt, was viele Mieterïnnen in Deutschland wissen: Mietverträge sind unsicher. Wieso, so stellt sich die Frage, hatten Bundesregierung und Berliner Senat nicht schon längst die Besitzverhältnisse des Erdgeschosses in der Wilhelmstraße 92 geklärt? Es wird Zeit für eine ehrliche und produktive Debatte über Kolonialismus und deutsche Erinnerungskultur.

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