Armutsfalle Pflege: Sollen pflegende Angehörige bezahlt werden?

Wer einen Angehörigen pflegt, bekommt dafür kein Geld. Obwohl der Staat durch das private Engagement viele Millionen spart. Es ginge auch anders. Ein Zukunftsszenario.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
11 Minuten
Die Grafik zeigt eine Frau, die ihrem pflegebedürftigen Mann beim Gehen hilft. Im Hintergrund zeigt die Tochter auf ihr Schulheft, weil sie Fragen hat. Die Einkäufe und die Arbeitstasche liegen noch herum.

Stellen wir uns einmal vor, der Einsatz pflegender Angehöriger würde mehr Wertschätzung erfahren. Der Staat würde diese Arbeit als Dienst an der Gesellschaft nicht nur mit Worten anerkennen, sondern mit Geld. Ein Zukunftsszenario.

Dahlia Berdrans sitzt in der Bahn und hört Musik. Noch eine halbe Stunde bis nach Hause, 30 Minuten, die sie für sich allein hat. Sie guckt aus dem Fenster, singt leise mit. Ihre Gedanken schweifen zum Meeting mit dem Kunden. Es ist gut gelaufen, nur blöd, dass sie nicht bis zum Ende dabei sein konnte. Ihre Kollegen werden den Rest ohne sie besprechen müssen. Aber so ist das nun mal, wenn man zwei Jobs hat.

Zwei Jobs – noch vor ein paar Monaten wäre sie nicht auf die Idee gekommen, so über ihre zwei Leben zu denken. Damals gab es nur den einen Job – ihren Architektenberuf. Und den mehr oder weniger verzweifelten Versuch, die Pflege ihres Mannes, die Kinder, den Haushalt und alles andere auf die Reihe zu kriegen. Die Zeit kommt ihr im Rückblick wie ein Dauersprint vor. Morgens um 5.30 Uhr hoch, Frühstück machen, Thomas beim Aufstehen und Anziehen helfen, die Kinder wecken, Schulbrote schmieren, alles für den Pflegedienst bereitlegen, Thomas seinen Platz auf dem Sofa herrichten, zur Arbeit fahren, irgendwie die Aufgaben erledigen, immer mit dem Blick auf das Handy, ob zu Hause alles in Ordnung ist.

Feierabend? Den gibt es nicht.

Nach der Arbeit noch kurz im Supermarkt ein paar Sachen kaufen. Zuhause warten die Kinder. Lea brauchte oft Hilfe bei Französisch, aber vorher musste sich Dahlia um Thomas kümmern, der den ganzen Tag gesessen hatte. Er sollte sich viel mehr bewegen. Also begann Dahlias „Feierabend“ allabendlich damit, dass sie ihn langsam, Schritt für Schritt, durch die Wohnung führte, ihm von ihrem Arbeitstag erzählte, ihn ermutigte, mit ihr zu sprechen. Dann Abendessen kochen, schnell eine Wäsche waschen, mit Lea lernen. Thomas beim Ins-Bett-gehen helfen, die Post und Mails durchsehen, selbst ins Bett kippen. Am nächsten Tag: alles von vorne. So ging das fast ein Jahr, nachdem Thomas aus der Reha entlassen wurde. Schlaganfall mit Mitte 50. Wer rechnet schon damit, dass der eigene Mann plötzlich zum Pflegefall wird?

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