Untersuchungen zu Mikroplastik: Verschmutzung in europäischen Flüssen „alarmierend“

Europäische Flüsse sind stärker als bekannt mit Mikroplastik verseucht, wie mehrere Studien belegen. Eine Haupteintragsquelle von Mikroplastik ist der Abrieb von Autoreifen. Welche Maßnahmen können helfen, die Emissionen zu reduzieren?

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
5 Minuten
Draufsicht: Eine Plastikflasche treibt auf einer Wasseroberfläche.

Sie sind fürs bloße Auge unsichtbar, aber schädlich für Menschen, Tiere und Umwelt: Mikroplastik-Teilchen. „Alarmierend“ sei die Belastung durch Mikroplastik in europäischen Gewässern, heißt es in der Fachzeitschrift Environmental Science and Pollution Research, in der am 7. April zeitgleich 14 Studien der Tara Ocean Foundation veröffentlicht wurden. Die Stiftung hat insgesamt 2.700 Wasserproben aus neun großen europäischen Flüssen wie der Elbe in Deutschland und der Themse in Großbritannien entnommen. Diese wurden nun auf die kleinen Plastik-Teilchen untersucht. Das Ergebnis: Mikroplastik war in jeder der entnommenen Wasserproben enthalten.

Als Mikroplastik gelten Plastikteilchen, die kleiner als 5 Millimeter sind. Sie finden sich zunehmend im Meer und in Flüssen, aber auch in Lebensmitteln und Getränken.

Die größten Quellen sind der Abrieb von Autoreifen, (Fahrbahn-)Markierungen auf Farbbasis, Kunststoffharze und Kleidung mit synthetischen Kunstfasern wie Polyester.

Was die Wasserproben verraten

Die Wissenschaftler:innen untersuchten Flüsse, da diese der Haupttransportweg für Abfälle menschlichen Ursprungs ins Meer sind. Jährlich leiten sie die gewaltige Menge von 8 bis 12 Millionen Tonnen Plastikmüll weiter, der Ökosysteme bedroht und die Artenvielfalt gefährdet. Die Stiftung Tara Ocean Foundation hat in ihrer „Mission Mikroplastik 2019“ Wasserproben entnommen. Zu den untersuchten Gewässern gehörten:

  • die durch Deutschland fließenden Flüsse Elbe und Rhein,
  • die französischen Flüsse Garonne, Loire, Rhône und die Seine
  • der spanische Fluss Ebro,
  • der Tiber in Italien sowie
  • die Themse in Großbritannien.

Über einen Zeitraum von sieben Monaten wurden insgesamt 2.700 Proben aus den Ästuaren (von Ebbe und Flut beeinflusste Mündungsgebiete großer Flüsse), an den Mündungen und anschließend in den Flussbetten oberhalb und unterhalb der ersten Großstadt entnommen. Da jede Beprobung derselben Methode folgte, konnten die Forschenden die Ergebnisse aus den Mündungen dieser neun Flüsse vergleichen. Sie untersuchten dabei zwei Größen von Mikroplastik: großes Mikroplastik mit einer Größe zwischen 0,5 und 5 mm und kleines Mikroplastik mit einer Größe zwischen 0,025 und 0,5 mm.

Die Analysen zeigen, dass kleine Mikroplastikpartikel auf der Oberfläche der untersuchten europäischen Flüsse bis zu 1.000-mal zahlreicher und schwerer sind als große Mikroplastikpartikel. Sie schwimmen also nicht an der Oberfläche, sondern verteilen sich über alle Wasserschichten. „Es ist sogar noch wahrscheinlicher, dass diese kleinen Mikroplastikpartikel auf allen Ebenen der Nahrungskette aufgenommen werden, vom Mikrozooplankton bis zum Fisch“, heißt es in einer Mitteilung zur Studie auf der Webseite der Stiftung.

Laut den Messungen sind in den neun untersuchten Flüssen durchschnittlich drei Partikel Mikroplastik pro Kubikmeter Wasser. Damit ist die Mikroplastik-Belastung in Europa weitaus niedriger als in den zehn am stärksten verschmutzten Flüssen der Welt wie Mekong, Nil und Ganges, wo die Verschmutzung bei 40 Mikroplastik-Partikeln pro Kubikmeter liegt.

Plastikverschmutzung ist aus vielen Gründen ein drängendes Problem

Sicher ist: Die Plastikverschmutzung wird weiter zunehmen. Die weltweite Plastikproduktion könnte sich bis 2060 verdreifachen, wenn keine wirksamen Maßnahmen ergriffen werden, prognostiziert die OECD in ihrem Global Plastics Outlook: Policy Scenarios to 2060.Auch die Menge des Plastikmülls werde sich bis 2060 voraussichtlich „fast verdreifachen“, so die OECD. Die Hälfte des gesamten Plastikmülls lande dann weiterhin auf Deponien, nur weniger als ein Fünftel werde recycelt.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass Plastik teils sehr giftige Chemikalien enthält – und Mikroplastik Schadstoffe fast magnetisch anzieht. Kunststoff kann damit zum Träger weiterer giftiger Substanzen werden. Forschende hatten im Jahr 2021 herausgefunden, dass die winzigen Plastikpartikel teils giftige Metalle anreichern. Ihre Untersuchung zeigte: Je kleiner das Mikroplastik ist, desto mehr Arsen, Blei und Co. lagern sich an ihm an. Wird das Mikroplastik dann über Nahrungsmittel wie Fisch oder das Trinkwasser aufgenommen, setzen die kleinen Teilchen ihre giftige Fracht im Verdauungstrakt wieder frei.

Plastik vermeiden geht vor Recycling

Mikroplastik kann bisher nicht aus Gewässern und Böden ferngehalten werden. Daher gilt: Plastik vermeiden geht vor Recycling. Da Klärwerke die Partikel nur unzureichend aus dem Abwasser herausfiltern können, gelangt immer ein gewisser Anteil in die Flüsse, Seen und Meere. Daneben gelangt Plastik auf Äcker, wenn konventionelle Dünger, Pestizide oder Klärschlamm dort verteilt werden oder Folien und andere Materialien für die Futterkonservierung oder für den Pflanzenbau zum Einsatz kommen.

Neue Vorschriften sollen dafür sorgen, dass in der EU künftig weniger Plastikgranulat in die Umwelt gelangt. Darauf einigten sich Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Länder diese Woche. So müssen Unternehmen, die mit sogenannten Kunststoffpellets arbeiten, künftig bestimmte Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Ziel ist es, unbeabsichtigte Freisetzungen entlang der gesamten Lieferkette zu verringern und damit auch Mikroplastik in der Umwelt zu reduzieren. Kunststoffpellets sind das Rohmaterial für die Herstellung von Plastikprodukten. Jedes Jahr gelangen bis zu 7300 Lkw-Ladungen Kunststoffpellets in die Umwelt. Verhandlungen über ein erstes UN-Abkommen zur Reduzierung von Plastikmüll waren bislang nicht erfolgreich.

Wie die Verkehrspolitik den Eintrag von Mikroplastik mitbestimmt

„Mehr als hunderttausend Tonnen Mikroplastik entstehen jedes Jahr in Deutschland allein durch Reifenabrieb von Autos – mit Abstand die größte Quelle der winzigen Plastikpartikel, die Umwelt und Menschen schaden“, schreibt das Forschungszentrum Jülich. Laut einer Studie von Eunomia, einer globalen Nachhaltigkeitsberatung, fallen in der EU jährlich rund 500.000 Tonnen Reifenabrieb an. Bekannt ist, dass insbesondere Fahrverhalten und Geschwindigkeit die Abriebmengen von Reifen beeinflussen. Fahrverhalten, Geschwindigkeit, Straßenoberfläche und Straßenführung hätten kumuliert einen vielfach größeren Effekt auf den Abrieb als das Reifendesign, so ein Forschungsteam der TU Berlin. In Deutschland könnte die Politik mit gezielten Verkehrsmaßnahmen dagegen steuern, etwa mit einem Tempolimit oder mit mehr „grünen Wellen“.

Auch ein geringeres Fahrzeuggewicht, optimaler Reifendruck und korrekt eingestellte Achsgeometrie verringern den Reifenabrieb. Allerdings hält der Trend zu XXL-Fahrzeugen an. Daten des französischen Beratungsunternehmens Inovev zeigen: Das durchschnittliche Gewicht eines Autos hat sich von 2000 bis 2022 um 20 Prozent auf rund 1,5 Tonnen zugelegt. Wuchtige SUVs machten 2024 in Deutschland rund ein Drittel aller Neuzulassungen aus. Elektroautos stoßen zwar weniger Feinstaub aus als Verbrenner, sind aber in der Regel aufgrund der großen Batterie auch schwerer.

Ab 29. November 2026 gilt für alle neuen Modelle die sogenannte Euro-7-Norm. Sie beinhaltet erstmals auch Grenzwerte für den Reifenabrieb. Diese greifen für neue Reifentypen ab dem 1. Juli 2028 für PKW, ab dem 1. April 2030 für leichte Nutzfahrzeuge und ab dem 1. April 2032 für schwere Nutzfahrzeuge und Busse. Die Organisation Environmental Coalition on Standards (ECOS) kritisierte, dass Euro 7 das Mikroplastikproblem in Europa nicht lösen werde. „Bei stetig größer, schwerer und zahlreicher werdenden Fahrzeugen werden verbesserte Reifen ohne ergänzende politische Maßnahmen jedoch nicht ausreichen. Die Gesamtrate der Reifenabfälle wird weiter steigen, und damit das Ziel der EU behindern, Mikroplastik bis 2030 um 30 Prozent zu reduzieren“, sagte ECOS-Sprecher Mathias Falkenberg.

Sie haben Feedback? Schreiben Sie uns an info@riffreporter.de!
VGWort Pixel