Klimapolitik zwischen COP27 und COP28: Arbeitsauftrag aus Scharm asch-Schaich
Nach der COP ist vor der COP: Diese Fragen und Antworten adressieren die wichtigsten Punkte des am 20. November zu Ende gegangenen Weltklimagipfels in Scharm asch-Schaich, die für nächsten Weltklimagipfel in Dubai relevant sein werden.
Seit der COP 15 in Kopenhagen hat es wohl kaum einen Weltklimagipfel gegeben, der so viel Enttäuschung ausgelöst hat. Aber, wie der Klimaforscher Michael E. Mann nach der COP27 schrieb: „Verzweifle nicht. Es geht nie um eine einzelne COP.“ Eine COP funktioniere eben nicht wie ein Covid-Test: negativ/positiv. Alles in allem habe es Fortschritte gegeben. Ein genauer Blick zeigt, wo und wie Fortschritte erreicht wurden – und was zum nächsten Treffen besser werden muss:
Wo erreichte die COP27 einen zentralen Fortschritt?
Die Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm asch-Schaich 2022 brachte den Erfolg bei einem Kernanliegen, mit dem die Entwicklungsländer bisher gescheitert waren: Die für die Treibhausgas-Emissionen hauptverantwortlichen Industrieländer werden für den Ausgleich von Verlusten und Schäden (Loss and Damage) zahlen, die in Folge des Klimawandels jetzt bereits in vielen Ländern des Globalen Südens massiv auftauchen. Bisher hatten die Industrieländer Entschädigungszahlungen kategorisch abgelehnt, aus Angst, für Schäden auch vor Gericht haftbar gemacht zu werden.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hatte das Thema „Loss and Damage“ erstmals auf die Tagesordnung der Weltklimakonferenz bringen können. Entscheidend für den Durchbruch war, dass die USA die Einrichtung des Fonds nicht mehr ablehnten.
Wie teuer sind die Klimaschäden?
Schon jetzt verursachen klimabedingte Dürren, Extremregen und Fluten jedes Jahr Schäden in Höhe von 2, 4 Billionen US-Dollar. Zu diesem Ergebnis kommt ein auf der COP27 vorgestellter Expertenbericht Finance for Climate Action.
Wie wird der Loss-and-Damage-Fonds eingerichtet und finanziert?
Finanziert werden soll der Loss-and-Damage-Fonds von den Ländern, die mit ihren Emissionen am meisten zur Erderwärmung beitragen. Noch steht nicht fest, wer wieviel Geld in den neuen Entschädigungsfonds einzahlen soll – und auch wer in den Fonds einzahlen wird. Die EU, die USA und Japan bekundeten bereits, zahlen zu wollen.
Die EU knüpfte ihre Unterstützung für einen Klimaschäden-Fonds an ein ehrgeiziges Arbeitsprogramm zur Emissionsminderung gemäß der Vorgabe: „Je länger andere große Volkswirtschaften ihre Emissionen fortsetzen, desto mehr werden wir für Verluste und Schäden zahlen müssen.“
Ein Komitee soll bis zum nächsten Weltklimagipfel 2023 in Dubai Empfehlungen ausarbeiten. Zehn Vertreter der Industriestaaten und 13 der Entwicklungsländer sollen ihm angehören. Auf der COP28 wird voraussichtlich ein Beschluss gefasst werden. Dazu gehört auch die Entscheidung, welche Länder als besonders gefährdet gelten und somit Gelder aus dem Fonds erhalten können.
China will sich daran erstmal nicht beteiligen. Während der Verhandlungen soll sich das Land auf seinen Status als Schwellenland zurückgezogen haben. Doch inzwischen sind die chinesischen Emissionen die höchsten weltweit. Auch Saudi-Arabien will nicht in den Fonds einzahlen. Dass dies nicht mehr zeitgemäß ist, wurde auf der Konferenz nicht nur von den USA, sondern auch erstmals seitens der EU thematisiert.
Deutschland initiierte außerdem im Rahmen der G7-Gipfel einen Globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken, der schnell auf Klimaschäden und -verluste reagieren soll. Zu den ersten Empfängerländern gehören nach Angaben des deutschen Entwicklungsministeriums Bangladesch, Costa Rica, Fidschi, Ghana sowie Pakistan und Senegal. Eine erste Umsetzung des Schutzschirms hat Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze auf der COP27 mit Pakistan besprochen und konkrete Hilfen für Risikoanalyse und soziale Sicherung zugesagt.
Wie wird der Loss-and-Damage-Fonds bewertet?
Für UN-Generalsekretär António Guterres ist der Fonds ein „wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit“ und „ein dringend benötigtes politisches Signal, um verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen.“ Luisa Neubauer, Sprecherin der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung sieht darin eine „historische Einigung“. Auch für den Klimapolitik-Spezialisten Niklas Höhne vom NewClimate Institute steht fest: „Ein Durchbruch ist der neue Finanzierungsmechanismus für Schäden des Klimawandels. Darauf wurde über zehn Jahre gewartet.“
Was bedeutet der Loss-and-Damage-Fonds für die internationalen Entwicklungsbanken?
Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds IWF sollen den Beschlüssen der COP27 zufolge bis Frühjahr 2023 prüfen, wie sie zum Ausgleich von Schäden und Verlusten beitragen können. Bisher spielte eine klimaverträgliche Entwicklung bei Entscheidungen der Weltbank und des IWF keine Rolle.
„Dies wird einen großen Beitrag zur Risikominderung von Investitionen leisten, Kapital erschwinglich machen und Billionen an Klimafinanzierung für Entwicklungsländer freisetzen“, erwartet Mohammad Adow, Direktor des kenianischen Energie-Think-Tanks Power Shift Africa. Er setzt sich – wie viele andere Aktivisten aus dem Globalen Süden – schon seit langem für Entschädigungszahlungen des Globalen Nordens ein.
Wie steht es um den Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl?
Neue Zusagen für den Ausstieg aus Öl und fossilem Gas gab es nicht. Im verabschiedeten Abschlussdokument fehlt darauf der Hinweis – wie bereits in Glasgow wird nur der Ausstieg aus der Kohle erwähnt. Vage blieb ein Passus, der den Ausbau eines „sauberen Energiemixes“ fordert, zu dem auch erneuerbare Energien gehören sollen.
Der US-amerikanische Klimatologe Michael M. Mann weist allerdings darauf hin, dass es 2022 in Sachen Kohle deutliche Fortschritte gegeben hat. So wählten etwa die australischen Wähler die konservative kohlefreundliche Regierung ab. Die neue Labour-Regierung verpflichtete sich zu einer Reduzierung der Emissionen um 43 Prozent bis 2030. Zudem verabschiedete der US-Senat mit dem Inflation Reduction Act die bisher umfangreichste Klimagesetzgebung: 370 Milliarden US-Dollar gehen in die Infrastruktur für erneuerbare Energien, was die Emissionen bis 2030 um 40 Prozent reduzieren soll.
Welche Fortschritte gibt es bei der Minderung von Treibhausgas-Emissionen?
Es gelang nicht, die Vorgabe des Sachstandberichts des Weltklimarats IPCC im gemeinsamen Abschlussdokument aufzunehmen. Danach müssen die Emissionen bereits vor 2025 reduziert werden, um unter 1, 5 Grad Erderwärmung zu bleiben. Dafür wurde ein unverbindliches Arbeitsprogramm für gesteigerte Klimaschutzaktivitäten (Mitigation Work Programme) beschlossen, wonach die Staaten bis zur nächsten Klimakonferenz Ende 2023 ihre nationalen Ziele für 2030 so nachbessern, dass das 1, 5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann.
Das neue an dem bis 2026 laufenden sogenannten Mitigation-Arbeitsprogramm des UN-Klimasekretariats (UNFCCC) besteht darin, dass die Staaten ihre Aktivitäten entlang konkreter Sektoren wie Energieversorgung, Industrie, Verkehr, Gebäude, urbane Systeme, sowie Land- und Forstwirtschaft dokumentieren. So sollen die Staaten Sektorziele definieren – eine Aufgabe, an der die Ampel-Koalition in Deutschland bisher am Widerstand der FDP gescheitert ist. Damit erhält das Thema auch in der deutschen Diskussion wieder Rückenwind.
Ändern sich die Berichtspflichten von Unternehmen?
Auf nicht-staatlicher Seite wurden Fortschritte in punkto Transparenz und Metriken erzielt. Beispielsweise veröffentlichte die internationale Standardisierungsorganisation ISO ihre Net Zero Guidelines, die einen Berichtsstandard für glaubwürdige Ziele und Maßnahmen für Klimaneutralität auf Unternehmensebene setzen sollen. Damit würden Behauptungen, ein Unternehmen wirtschafte klimaneutral, besser überprüfbar werden. Außerdem wurde im Rahmen der UN-Kampagne Race to Resilience ein Rahmenwerk zur Wirkungsmessung von Maßnahmen nicht-staatlicher Akteure eingeführt.
Gab es innovative Ideen, die andere Staaten nachmachen könnten?
US-Präsident Joe Biden gab für die öffentliche Beschaffung einen wichtigen Impuls: Er kündigte an, dass künftig bei staatlichen Ausschreibungen nur noch die Unternehmen berücksichtigt würden, die sich auf einen nachprüfbaren, mit den Pariser Klimazielen kompatiblen Treibhausgasminderungspfad begeben. Nur diese werden sich also die Hoffnung auf einen Zuschlag machen können. „Wird die Umsetzung nachgehalten, ist dies ein scharfes Schwert, “ sagt Manfred Fischedick, Präsident des Wuppertal-Instituts.
Steht das 1, 5-Grad-Ziel nach der COP27 noch?
Viele Politiker und Aktivisten zeigten sich enttäuscht, dass es keine Fortschritte bei der Minderung der Treibhausgase gab. Das im Vorjahr auf der COP26 in Glasgow noch bekräftigte 1, 5-Grad-Ziel wackelte sogar. Verhandlungsteilnehmer hatten kolportiert, dass die ägyptische COP27-Präsidentschaft selbst es in Frage gestellt hätte.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Ziel im Moment ein reines Papierziel. Aktuell reichen die nationalen Klimaschutzzusagen nur aus, um die Erderwärmung auf etwa 2, 5 Grad zu begrenzen. Mehr ambitionierte Zusagen großer Emittenten wären nötig gewesen. Doch das Jahr 2022 stand unter dem Vorzeichen der Energiesicherheit. Deutschland blieb wie auch andere Industrieländer hinter seinen Zielvorgaben zurück – und wirkte in Ägypten mit seiner Gas-Strategie zum Ausbau von Infrastrukturen und Importen wenig überzeugend.
Wie stark ist das 1, 5-Grad-Ziel gefährdet?
Da Zielsetzung und Umsetzung aktuell zu weit auseinanderklaffen, gehen Klimawissenschaftler davon aus, dass das 1, 5-Grad-Ziel nicht mehr zu halten ist. Erdsystem-Wissenschaftler Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung betont: „Bis 2030 müssen die Emissionen ungefähr halbiert werden. Bislang sinken sie noch nicht einmal.“ Die Zeit laufe der Welt davon. Sechs Kipppunkte drohten zwischen 1, 5 und 2, 0 Grad, die unaufhaltbare Entwicklungen in Gang setzen.
Der Präsident des Bundesumweltamts Dirk Messner wies darauf hin, dass bis 2030 eine sechsfache Geschwindigkeit für den Ausstieg aus Erneuerbaren Energien und für den Einstieg in die Erneuerbaren Energien notwendig sei, um die Leitplanken des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Zum Anschub seien jetzt progressive Bündnisse notwendig.
Könnte Geoengineering jetzt noch das 1, 5-Grad-Ziel retten?
Es verbleibe „nur noch die theoretische Möglichkeit, die Temperatur im Laufe des Jahrhunderts wieder zum Sinken zu bringen“, sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), „indem man global mehr CO2 aus der Atmosphäre entfernt als man noch emittiert.“ Doch ein solches Szenario sei aus heutiger Sicht „extrem optimistisch“. Es erfordere nämlich den Einsatz von CCS-Technologien (Carbon Capture and Storage) in einem Umfang, der derzeit ökonomisch und technologisch als nicht umsetzbar gilt.
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Wie gut war die Performance der Europäischen Union auf dem Weltklimagipfel?
Die EU-Kommission hatte vor der COP27 verkündet, bis 2050 die Emissionen nicht nur um 55, sondern sogar um 57 Prozent reduzieren zu wollen. Doch die Europäer konnten andere große Emittenten wie die USA, Kanada oder China nicht davon überzeugen mitzuziehen.
Die SPD-Europabgeordnete Delara Burkhardt zeigt sich überzeugt, dass die EU „mit einer ambitionierten Umsetzung des Fit-for-55-Klimapakets und der Repower-EU-Initiative zur Energieunabhängigkeit von Russland noch stärkere CO2-Reduktionen von deutlich über 60 Prozent schaffen“ könne.
Wie ist die Position der G-20 Staaten?
Die G20-Staaten bekräftigten auf ihrem Gipfel in Bali, der parallel zum Klimagipfel stattfand, noch einmal das 1, 5-Grad-Ziel. Zu den G20-Staaten gehören auch China, Russland und Saudi-Arabien.
Braucht die EU einen Klima-Kommissar?
Mehrere Europaabgeordnete kritisierten die schlechte Performance der EU-Kommission. Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese und langjähriger COP-Teilnehmer wies auf die wenig ehrgeizige Klimadiplomatie von Frans Timmermans hin. Der Vize-Präsident der Europäischen Kommission habe sich im Vorfeld kaum bemerkbar gemacht und auf der Konferenz zu wenig Aktivität entwickelt, obwohl die Europäische Union sich mit ihren gesteigerten Ambitionen zum Vorreiter hätte aufschwingen können, so Liese.
„Schade ist, dass die Europäische Union ihre guten Initiativen nicht besser vorbereitet hat“, bedauert er. Frans Timmermans müsse eigentlich wie der US-Klima-Sondergesandte John Kerry und die deutsche Klima-Sonderbeauftragte Jennifer Morgan „sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag für internationalen Klimaschutz arbeiten.“ Dazu fehle aber die Zeit. Liese forderte deshalb, dass die EU einen Klima-Kommissar bestellen müsse, der sich das ganze Jahr über auschließlich diesem Thema widmen könne.
Auch Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament und Mitglied der EP-Delegation zur COP27, sagte: „Die EU kam nicht gut vorbereitet, die stille Diplomatie des Klima-Kommissars Timmermans hat zum Stillstand geführt.“ Dank der Intervention von Außenministerin Annalena Baerbock sei doch noch Bewegung in die Verhandlungen gekommen.
Wurden die Gespräche zwischen den USA und China fortgesetzt?
Die auf dem Gipfel in Glasgow 2021 aufgenommenen Gespräche zwischen den USA und China waren im Schatten des Ukraine-Kriegs eingestellt worden, waren aber dank des Engagements beider Verhandler inoffiziell weitergegangen. Sie hatten sich im Vorfeld der COP27-Konferenz eine Woche lang zu Vorgesprächen getroffen.
Auf dem G20-Gipfel sowie auf der COP27 konnten sie sie wieder offiziell aufnehmen. Beide Verhandler sollen sich Beobachtern zufolge lange nur mit ihren Dolmetschern zu Verhandlungen zurückgezogen haben. Allerdings konnte John Kerry die Gespräche in den letzten Tagen des Gipfels nicht mehr persönlich führen, da er sich eine Corona-Infektion zugezogen hatte.
Wie stehen die Vorzeichen für den nächsten Weltklimagipfel in Dubai 2023?
Nach den Erfahrungen in Ägypten zeigen sich westliche Politiker:innen und Aktivist:innen skeptisch. Möglicherweise werden die Öl fördernden Länder in Dubai noch mehr Druck machen, das 1, 5-Grad-Ziel aufzugeben. Der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss sagt, dass es jetzt sofort Allianzen und glaubwürdige Abmachungen mit den Inselstaaten und den am wenigsten entwickelten Ländern brauche.
Aber auch die Arbeitsbedingungen für die internationale Konferenz werden noch Thema werden: So fordern Europaabgeordnete, dass die nächste internationale Konferenz so organisiert wird, dass sich alle Teilnehmer:innen sicher fühlen. Der IT-Dienst des Europäischen Parlaments beispielsweise hatte die Delegation der Europaabgeordneten vor Sicherheitslücken in der offiziellen COP27-App für Smartphones gewarnt. Dem Vernehmen nach wurden die Räume, in denen bi- und multilaterale Verhandlungen stattfanden, abgehört. Erfahrungsgemäß finden allerdings auf internationalen Konferenzen zahlreiche Abhörversuche verschiedener Staaten statt.
Unübersehbar war die Überwachung der Klima-Aktivist:innen seitens der ägyptischen Sicherheitskräfte. Teilweise wurden sie sogar am Betreten des Konferenzgeländes behindert. Protestaktionen wurden auf eine definierte „Protest Area“ beschränkt, die in der Wüste lag.