Meilenstein im Klimaschutz: Pläne der Staaten halten Zwei-Grad-Limit ein
Optimistische Studie zeigt: Das 1,5-Grad-Ziel ist nur mit weit mehr Ehrgeiz in den kommenden Jahren zu erreichen.
Es ist ein Meilenstein beim globalen Klimaschutz: Erstmals kommt eine hochkarätige Studie zu dem Ergebnis, dass die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts zwei Grad nicht überschreiten wird – sofern alle Staaten die bis heute gemachten Zusagen tatsächlich und in der versprochenen Zeit umsetzen.
Noch vor dem Weltklimagipfel in Glasgow im vergangenen November sah es nicht gut aus: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 zwei Grad überschreiten würde, lag deutlich über 50 Prozent. Die bislang implementierten Maßnahmen führen sogar in eine um 2,6 wärmere, und damit katastrophale Welt.
Die Autoren der im renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature“ erschienenen Studie waren bei deren Vorstellung denn auch hin und her gerissen zwischen Freude und Skepsis. Denn um das von der Weltgemeinschaft eigentlich angestrebte Ziel zu erreichen, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, müssten die Regierungen weltweit ihre bis 2030 versprochenen Maßnahmen nochmals deutlich verschärfen.
Extremszenarien zur Klimaerwärmung werden unwahrscheinlicher
Trotzdem stellt das achtköpfige Forschungsteam, neben Erstautor Malte Meinshausen sind das Zebedee Nicholls von der University of Melbourne und Christophe McGlade von der Internationalen Energieagentur IEA zählen, den Optimismus in den Vordergrund: Die fallenden Kosten für erneuerbare Energien, Optionen für die Elektrifizierung in allen Sektoren und eine Vielzahl bereits verabschiedeter Klimaschutzmaßnahmen würden die Extremszenarien der möglichen Klimaentwicklungen zunehmend unwahrscheinlicher machen.
„In vielen Ländern gibt es mehr politischen Konsens über die Bedeutung, Treibhausgase zu reduzieren“, sagt McGlade. Immer öfter gehe es in Diskussionen nur noch um die Suche nach dem besten Weg dazu.
Dieses Momentum der jüngeren Vergangenheit führt nun dazu, dass zumindest die Zwei-Grad-Grenze wieder erreichbar erscheint. Zwischen der Weltklimakonferenz von Paris 2015 und November 2021 haben 153 Vertragspartner des Pariser Klimaschutzabkommens neue oder aktualisierte Ziele für ihre nationalen Beiträge eingereicht. Als 154. Partner erklärte Indien auf dem Weltklimagipfel in Glasgow das Ziel, bis 2070 klimaneutral zu werden. China visiert dieses Ziel für 2060 an, die meisten anderen Vertragspartner für 2050 oder früher.
Klimaschutzzusagen von 196 Ländern ausgewertet
Für ihre fachlich begutachtete Studie haben die Forscher:innen nicht nur diese Zusagen, sondern die erklärten Ziele und Maßnahmen von 196 Ländern ausgewertet, darunter auch Versprechen für die internationale Schifffahrt und Luftfahrt. Ohne Berücksichtigung der Landnutzung resultieren daraus im Jahr 2030 Treibhausgasemissionen zwischen 50,9 und 54,9 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente. Das wäre etwa das Niveau von 2019 und zwischen 7,0 und 15,4 Prozent höher als 2010.
Das in Glasgow erklärte Ziel, die Erwärmung auf weniger als 1,5 Grad zu begrenzen, erfordert jedoch, die Emissionen bis 2030 um 45 Prozent zu reduzieren. Würden alle Zusagen für 2030 ebenso wie die längerfristigen Ziele vollständig eingehalten, lägen die Treibhausgasemissionen im Jahr 2050 um ein Drittel niedriger als 2010.
Um zu Aussagen über das Jahr 2100 zu gelangen, analysiert die Studie unterschiedliche Szenarien. Das liegt vor allem daran, dass die Ziele und Pläne der Staaten oft unklar definiert sind: Manchmal sind nicht Zieljahre, sondern Zeiträume angegeben. Ob Treibhausgasneutralität oder CO2-Neutralität gemeint ist, ist nicht immer klar formuliert. Andere Ziele sind an Bedingungen geknüpft, beispielsweise seitens mancher Entwicklungsländer, die technologische oder finanzielle Unterstützung voraussetzen.
Würden alle Zusagen – auch jene, die an Bedingungen geknüpft sind – zeitlich wie versprochen umgesetzt, würde der Höhepunkt der Erderwärmung in den 2080er-Jahren erreicht werden und 2100 etwa 1,9 Grad betragen. Ohne die an Bedingungen geknüpften Ziele läge die Erwärmung bei 2,0 Grad. Diese Werte sind der Studie zufolge mit rund 60 bzw. knapp über 50 Prozent Wahrscheinlichkeit einzuhalten. Die Prognoseunsicherheit, also jener Korridor, innerhalb dessen sich der mögliche Wert – wenn auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit – bewegen könnte, liegt im optimistischen Szenario bei 1,3 bis 2,8 Grad, im pessimistischeren bei 1,4 bis 3,0 Grad.
CO2-Reduktion ist wichtiger als Methan-Reduktion
Die Internationale Energieagentur stützt die Berechnungen der Forscher:innen mit einer unabhängigen Studie. Zusätzlich zur Annahme, dass alle Zusagen fristgerecht erfüllt werden, geht diese davon aus, dass auch Russland und Saudi-Arabien ihre Netto-Null-Zusagen einhalten und dass alle Mitzeichnenden den „Globale Methane Pledge“ umsetzen. Mehr als 100 Staaten versprechen darin, ihre Methanemissionen bis 2030 gegenüber 2020 um 30 Prozent zu verringern.
Mit diesen Annahmen errechnet die IEA eine Temperatur von 1,8 Grad im Jahr 2100, bei einem Korridor von 1,3 bis 2,6 Grad. „Der Global Methane Pledge kann wichtig werden, wenn wir unsere anderen Ziele verfehlen“, kommentiert McGlade, „aber wenn wir annehmen, dass alle Netto-Null-Versprechen erfüllt werden, ist der Effekt des Global Methane Pledge eher zu vernachlässigen.“ Auf keinen Fall dürften Methanreduktionen in irgendeiner Weise mit CO2-Reduktionen in Konkurrenz stehen, denn, wie Meinshausen betont: „65 bis 80 Prozent der Erwärmung nach 2100 kommt vom CO2.“
Weil die Weltgemeinschaft in Paris jedoch nicht zwei Grad, sondern „deutlich unter zwei Grad“ als Ziel beschlossen hat, haben die Forscher:innen auch betrachtet, was für das 1,5-Grad-Ziel erforderlich wäre. Das dazu mögliche kumulative globale Restbudget für CO2-Emissionen ab 2022 beträgt rund 420 Milliarden Tonnen. Selbst wenn die Staaten alle Versprechungen für das Jahr 2030 einhalten würden, wäre das Restbudget 2032 überschritten, bis 2050 würde sogar eine Billion Tonnen CO2 in die Atmosphäre gelangen. „Wir werden dem 1,5-Grad-Ziel ohne ambitioniertere Ziele bis 2030 nicht näherkommen“, betonte Meinshausen. McGlade sekundierte: „Der Schlüssel liegt darin, die Emissionen im Zeitraum bis 2030 zu reduzieren – es geht weniger um die langfristigen Reduktionsziele. Die Entscheidungen bis 2025 legen die Grundlagen.“
Das deckt sich mit der Aussage des jüngsten Weltklimaberichts, dass die CO2-Emissionen ihr historisches Maximum in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts erreichen müssen, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. „Wir können die Emissionen bis 2030 um 40 Prozent reduzieren mit dem, was wir haben“, versicherte McGlade. „Dafür müssen keine neuen Technologien erfunden werden.“
Klimaschutz braucht nach Netto-Null- auch Netto-Negativ-Ziele
Bei allem Optimismus bleiben auch Kritikpunkte an der Studie. Zum einen ist die erstmalig so positive Perspektive nicht nur auf neue oder ehrgeizigere Ziele der Staatengemeinschaft zurückzuführen, wie vielleicht der Eindruck entstehen könnte. Denn das globale CO2-Restbudget bis zur Erwärmung um zwei Grad wird aufgrund verbesserter Berechnungen im jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarats um rund 500 Milliarden Tonnen größer angenommen als im vorhergehenden Sachstandsbericht. Zum anderen bleibt weitgehend unklar, wie es in den Annahmen jeweils weitergeht, wenn Staaten ihre Ziele erreicht haben. Wird auf eine Netto-Null als nächstes eine netto-negative Emission angestrebt – und bis wann? Oder anders gefragt: Wenn ein Staat unterm Strich keine Treibhausgase mehr erzeugt, wird er darüber hinaus Anstrengungen unternehmen, noch zusätzlich CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen, um die Temperatur langfristig wieder zu senken? McGlade formuliert dazu zumindest eine klare Forderung: „Auch Staaten mit einer Netto-Null-Verpflichtung sollten deren zeitliches Ziel vorziehen und zudem Netto-Negativ-Ziele entwickeln.“
Die an der Studie nicht beteiligten Klimaforscher Zeke Hausfather vom Breakthrough Institute und Frances Moore von der University of California raten zudem in einem Kommentar zur Studie dazu, „langfristige Ziele skeptisch zu sehen, solange diese nicht durch kurzfristige Selbstverpflichtungen gestützt werden, die die jeweiligen Staaten innerhalb dieses Jahrzehnts auf Kurs setzen, ihre Ziele zu erreichen“. Denn dafür, dass Staaten ihre Zusagen erfüllen werden, gebe es keine Garantie.