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Der lange Weg bis zur Rückführung von Ancestral Remains nach Tansania
Post aus Moshi: Nachfahren aus Tansania hoffen auf Rückführung ihrer Ahnen
Jeden zweiten Mittwoch erzählen unsere Korrespondentïnnen, was sie und die Menschen in ihrem Teil der Welt bewegt. Heute berichtet Ramona Seitz, wie Menschen in Tansania an Ahnen erinnern, deren Gebeine seit der Kolonialzeit in deutschen Sammlungen liegen, und wieso der Weg bis zur Rückführung von Human Remains so langwierig ist.

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In deutschen Sammlungen liegen ca. 17.000 Ancestral Remains aus kolonialen Kontexten. Das sind menschliche Gebeine, die während der Kolonialzeit geraubt wurden, so auch im damaligen Deutsch-Ostafrika. In ihrer Heimat werden die Gebeine der Vorfahren oft schmerzlich vermisst. Viele Nachfahren fordern die Repatriierung ihrer Ahnen.
Als Journalistin beschäftige ich mich seit Jahren mit dem Thema koloniales Erbe von Tansania und Deutschland. Im Zuge dieser Recherchen haben mich in den letzten Jahren in Tansania zahlreiche Nachfahren eingeladen, sie zu begleiten an „leere Gräber“ oder „Gräber ohne Schädel“. In Songea im Süden von Tansania, in Mwanza am Viktoriasee oder in Moshi am Fuße des Kilimanjaro haben mir Menschen die Geschichten ihrer geraubten Vorfahren erzählt – und von den Traumata, welche die Gemeinschaften bis heute tragen.

Dass sie mich, eine Deutsche, mit an diese für ihre Familien so schmerzhaften Orte genommen haben, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Gleichzeitig beobachte ich mit Sorge, wie schwierig der Weg bis zu Rückführungen von Ancestral Remains, der menschlichen Gebeine der Ahnen, ist.
Jahr um Jahr vergeht und die – oft sehr alten – Nachfahren, deren Herzensanliegen es ist, die Ancestral Remains ihrer Ahnen zu finden, werden älter und älter. Irgendwann werden sich die Regierungen von Tansania und Deutschland einigen. Doch wird dann beispielsweise der inzwischen 93-Jährige Isaria Anael Meli aus Old Moshi noch am Leben sein, der fast sein ganzes Leben lang schon nach dem Schädel von Mangi Meli sucht?
2018 habe ich ihn, den damals 87-Jährigen in Berlin getroffen. Noch immer ist der Schädel seines Vorfahren nicht gefunden. Das verhindert, dass dieser nach der Tradition der Familie beerdigt werden kann und dass sich Wunden schließen können.
Von 1885 bis 1918 war das Festland des heutigen Tansanias Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Während der Kolonialzeit im damaligen Deutsch-Ostafrika haben die deutschen Kolonialherren grausame Verbrechen begangen. Schätzungen zufolge sind über eine Million Menschen dort ums Leben gekommen.
Als sei dies nicht schon schlimm genug, so haben die Deutschen vielen Familien auch noch die Gebeine ihrer Vorfahren geraubt. Allein der Anthropologe Felix von Luschan hat Tausende von Skeletten und Schädeln gesammelt, um durch Vermessungen die angebliche – und längst widerlegte – Überlegenheit der eigenen Rasse zu beweisen.
Viele Hinrichtungen und der Raub von Human Remains
In Old Moshi am Fuße des Kilimanjaro steht ein Zeitzeuge. Ein Baum. Ich stehe davor. Ich schaue hinauf. Ich sehe die weiten, starken Äste. Hier wurden im März 1900 und in den folgenden Monaten 24 Menschen von den Deutschen gehängt, 19 allein am 2. März, darunter Mangi Meli, ein berühmter Anführer der Gemeinschaft der Chagga.
An ihn und seine Gefährten erinnert ein Denkmal, das unter dem Baum steht. Darauf steht auch, dass sein Schädel nach Deutschland gebracht und bisher noch nicht gefunden worden sei. Ich kann den Schmerz der Nachfahren fühlen. Mit einigen von ihnen habe ich in den letzten Jahren in Berlin und in Tansania gesprochen. Dass sie mich trotz der unvorstellbaren Gräueltaten der deutschen Kolonialherren freundlich, offen und herzlich empfangen, berührt mich jedes Mal sehr.






Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskultur
In Old Moshi steht noch der Baum. In Songea 1200 Kilometer weiter südlich erinnert ein Galgen an die Opfer der Greueltaten. In der Stadtmitte von Mwanza kennt fast jeder das „Hanging-Tree“-Denkmal – wenn auch aus anderen Gründen. Ein Coca-Cola-Laster war einst gegen die morschen Reste des Baumes gefahren.
Seither ersetzt ein Denkmal den Baum und – kein Scherz – dieses Denkmal wurde zwischenzeitlich mit einer Coca-Cola-Werbung versehen. Inzwischen ist die Coca-Cola-Werbung weg, doch es gibt aktuell auch keine Gedenktafel, welche den Bewohner:innen erklären könnte, an was dieser nachgebildete abgesägte Baumstumpf mit abgesägten Ästen erinnert.

In Tansanias zweitgrößter Stadt kennen viele die Geschichte des Coca-Cola-Lasters, aber – so mein Eindruck – nur wenige wissen, was an dem Baum einst geschah. Möglicherweise ein Phänomen einer prosperierenden Großstadt mit einer mehrheitlich jungen, aus dem Umland zugezogenen Bevölkerung.
Bei der Gemeinschaft der Chagga rund um Old Moshi hingegen sind die Erinnerungen an gewaltvolle koloniale Erfahrungen, an Kriege und Hinrichtungen, immer noch präsent: Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben und haben so Eingang in das kollektive Gedächtnis gefunden. Auch in vielen anderen Orten Tansanias habe ich gesehen, wie lebhaft die Geschichte über „Oral History“ in den Familien weitergegeben wird.
Der vermutlich berühmteste Erinnerungsort Tansanias liegt in Songea. Auf dem Gelände des Maji-Maji War Memorial Museum erinnern alljährlich Ende Februar verschiedene Gemeinschaften und die Regierung Tansanias gemeinsam an die Helden des Maji Maji Krieges: Zwischen 1905 und 1907/08 erhob sich die Bevölkerung gegen die deutsche Kolonialherrschaft, in einer historisch einzigartigen Allianz über mehrere Gemeinschaften hinweg. 300.000 Menschen kamen nach Schätzungen ums Leben, auch weil die Truppen der Deutschen eine Politik der verbrannten Erde anwendeten und eine Hungersnot verursachten.
An diesem Ort bat der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Anwesenheit von Nachfahren von Getöteten am 1. November 2023 offiziell um Verzeihung für die Gräuel der Kolonialzeit. Ich war damals als Journalistin mit vor Ort.
Steinmeier stand bei diesem Anlass auch vor dem Grab des Sub-Chiefs Nduna Songea Mbano: Bestattet sind lediglich Rumpf und Gliedmaßen. Der Schädel wurde von den Henkern nach Hinrichtung nach Deutschland verschickt. Der obere Teil des Grabes, wo der Kopf ruhen sollte, ist deshalb vom Rest des Grabes abgetrennt.

Wieso sind identifizierte Ancestral Remains noch nicht zurückgeführt?
Für die Menschen in Moshi und anderswo in Tansania ist nicht verständlich, warum drei bereits identifizierte Human Remains der Chagga-Gemeinschaft noch immer nicht zurückgeführt werden konnten. Zwei dieser Schädel befinden sich, zusammen mit anderen Beständen an Human Remains, im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Deren Präsident Hermann Parzinger hat anlässlich der Eröffnung der Ausstellung Geschichte(n) Tansanias betont, es sei wichtig, diese zurückzugeben.
Immerhin scheint nun Bewegung in die über Jahre festgefahrenen Bemühungen zu kommen. Katja Keul, die Staatsministerin im Auswärtigen Amt hat am 30. Januar 2025 bei einem Symposium in Berlin anlässlich 140 Jahre Gedenken an die Afrika-Konferenz von 1884/85 gesagt: „Ich freue mich auf den Besuch der Kommission, die nun von der tansanischen Regierung ins Leben gerufen wurde.“ Wird sie noch Staatsministerin sein oder wird bereits eine neue deutsche Regierung übernommen haben, wenn die tansanischen Kommissionsmitglieder anreisen? Die nächsten Wochen werden es zeigen.
Wie sehr die Nachfahren in Tansania auf Ergebnisse der Verhandlungen warten, das habe ich auch wieder am vergangenen Sonntag erlebt. Am 2. März 2025 durfte ich dabei sein, als Familien, Community und Gäste in Old Moshi an den 125. Jahrestag der Hinrichtung von Mangi Meli und Gefährten erinnerten. Der Schmerz darüber, dass die Ahnen in deutschen Sammlungen in Boxen in Kellern und Archiven liegen und noch immer nicht in der Heimat beerdigt werden konnten, war mehr als spürbar.
Sindato Kiwelu ist ein Nachfahre von Sindato Kiutesha. Dessen Schädel konnte unter den Human Remains der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin gefunden werden. Letztes Jahr war Sindato Kiwelu in Berlin. Ich habe ihn dort getroffen und nun wieder bei der Gedenkfeier in Old Moshi.

„Es war so schmerzhaft, ihn dort in Berlin nur besuchen zu können, ihn aber noch nicht mit hierher nach Hause nehmen zu dürfen“, sagt er. Seine Trauer und Verzweiflung ist spürbar, wie bei allen anwesenden Nachfahren. Ich fühle ihre Hilflosigkeit angesichts der Tatsache, dass sie vorerst wohl nur abwarten können. Bis die Regierungen in der Kommission eine Vereinbarung getroffen haben. Hoffentlich geschieht dies bald. Es wird Zeit, dass die Ahnen heimkehren dürfen.
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