Die Folgen des Klimawandels sind vielerorts spürbar – kreative Ideen zum Umgang damit aber auch
Von Dachdoktoren in Rotterdam zu Wettermeldern in den Anden – ein Blick auf kleine Ideen und große Strategien zum Klimawandel in sieben Ländern
In Deutschland träumt ein Minister vom Flugtaxi, in der Europäischen Union wird um Klimagesetze gerungen. Aber wie reagieren eigentlich Menschen jenseits der großen politischen Bühnen auf das sich ändernde Klima? Mit welchen Ideen wappnen sich Menschen in Rotterdam oder Niger für zu viel oder zu wenig Regen? Wie gehen indigene Gemeinden in Bolivien oder Hoteliers in Katalonien mit dem sich bereits ändernden Klima um? Welche Strategien entwerfen die Österreicherïnnen, was hecken Kreative in Paris aus, und was planen Bewohnerïnnen einer griechischen Insel? Ein Blick über die Grenzen in sieben sehr unterschiedliche Länder.
Niederlande: Büroinseln und Dachärzte
Keine andere niederländische Stadt ist so stark vom Klimawandel betroffen wie Rotterdam: In der zweitgrößten Stadt des Landes kommt das Wasser von allen Seiten – von vorne durch den steigenden Meeresspiegel, von hinten durch anschwellende Flüsse und von oben durch Starkregen. Das hat die Hafenstadt mit mehr als 650.000 Einwohnerïnnen südöstlich von Den Haag zum Laboratorium für Architektïnnen und Wasserbauingenieurïnnen gemacht. In Rotterdam liegt etwa der erste schwimmende Bauernhof der Welt. In der Stadt befindet sich auch das größte treibende Bürogebäude der Welt, in dem unter anderem das neue Weltklimazentrum untergebracht ist. Spezielle „Dakdoktors“ – Dachärzte – sind im Einsatz, um die zahlreichen Flachdächer zu begrünen, damit so viele Bürgerïnnen wie möglich bei Hitzewellen binnen zehn Minuten einen kühleren Ort erreichen können.
Weltreporterin Kerstin Schweighöfer lebt und arbeitet seit mehr als 30 Jahren als freie Autorin und Auslandskorrespondentin in den Niederlanden. Über ihren Alltag und ihre Arbeit in einem Land, das dem Meer abgetrotzt wurde und das gelernt hat, mit dem Wasser zu leben, erzählt sie im Deutschlandfunk weitere spannende Hintergründe und Anekdoten.
Bolivien: Wetterprognose per WhatsApp
In den bolivianischen Hochanden bringt das wechselnde Klima die traditionellen Methoden zur Wettervorhersage ins Wanken. Bei einem Besuch in einer indigenen Gemeinde in der Nähe des Titicacasees erfuhr Weltreporter Malte Seiwerth von dem ehemaligen Dorfvorstehenden Héctor Vargas Mamani, dass es nicht mehr möglich sei, anhand des Verhaltens der Tiere das Wetter der kommenden Wochen vorherzusagen – so wie es früher war. Dies führt zu einer Krise der traditionellen Landwirtschaft: Wie sollen die Bäuerinnen und Bauern aussäen, ohne zu wissen, ob es in den kommenden Tagen regnen wird?
Um wieder mehr Sicherheit in die Wettervorhersage zu bringen, entwickelten Forscherïnnen gemeinsam mit indigenen Gemeinden ein erstes lokalisiertes System zur Wettervorhersage in Bolivien, das über WhatsApp-Nachrichten funktioniert. Dank kleiner Messstationen, die konstant Temperatur und Feuchtigkeit messen, können die Forscherïnnen allgemeine Wetterberichte für größere Gebiete auf kleine Täler anpassen. Die daraus erhobenen Daten werden wöchentlich per WhatsApp-Videonachrichten an die Landwirtïnnen versendet. Ein kleiner Erfolg im Umgang mit der Klimakrise.
Spanien: Sind Hotelpools noch zeitgemäß?
Spanien leidet bereits jetzt spürbar unter der Klimakrise. In Andalusien und Katalonien herrscht auch weiterhin Wassernotstand, berichtet Julia Macher. Privat gehen die meisten Spanierïnnen relativ bewusst mit der kostbaren Ressource um: In Barcelona etwa hat sich der Trinkwasserverbrauch pro Kopf im vergangenen Jahr auf etwas mehr als 100 Liter pro Tag reduziert, das entspricht dem von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Minimalbedarf. Anders sieht es in der Wirtschaft aus. Mit Landwirtschaft und Tourismus ist Spaniens Ökonomie von zwei wasserintensiven Branchen abhängig. Zwar werden Milliarden Euro in Entsalzungs- und Aufbereitungsanlagen sowie in effizientere Bewässerungsmethoden investiert. Aber ist der Export von Wasser in Form von Tomaten, Paprika und Urlaubsträumen überhaupt noch zeitgemäß? Diese Debatte vermeidet die Politik bisher.
Österreich: Klimaticket und CO2-Bepreisung
Bis zum Jahr 2030 muss Österreich laut EU-Vorgaben rund 48 Prozent weniger CO2 ausstoßen als noch 2005. Wie dieses Ziel zu erreichen ist, darüber ist sich die Regierung aus Volkspartei (ÖVP) und Grünen uneinig. Nach wie vor gibt es in Deutschlands südlichem Nachbarland kein bindendes Klimaschutzgesetz mit genauen Zielvorgaben oder mit Sanktionen, falls die Vorgaben nicht erreicht werden. Verkürzt gesagt: Die Grünen preschen in Österreich vor, der ÖVP ist das Thema nicht so wichtig.
In den Jahren 2022 und 2023 gingen die Treibhausgase in Österreich dennoch um 5, 8 beziehunsweise 6, 9 Prozent zurück – mehr als notwendig ist, um 2040 klimaneutral zu sein. Alexander Musik, Weltreporter aus Wien, hat den Eindruck, als hätten einige Maßnahmen auch ohne Klimaschutzgesetz Wirkung gezeigt: etwa die CO2-Bepreisung und die massiven finanziellen Anreize und Förderungen für den Austausch von Ölheizungen. Außerdem hat Österreich im Oktober 2021 das sehr erfolgreiche Klimaticket eingeführt: Für 1.095 € (Jugendliche und Senioren zahlen 821 €) nutzen Österreicherïnnen ein ganzes Jahr lang unbegrenzt die öffentlichen Verkehrsmittel im ganzen Land. Mehr als 270.000 Östereicherïnnen waren Ende 2023 mit dem Kimaticket unterwegs, Tendenz steigend.
Griechenland: Wiederaufbau nach dem Feuer
Griechenlands große Waldbrände der vergangenen Jahre stellen das südeuropäische Land auch für die Zukunft vor Herausforderungen. Weltreporterin Rodothea Seralidou ist von Athen nach Euböa gefahren, wo im August 2021 tagelang wütende Feuer rund 50.000 Hektar Wald zerstörten. Viele Menschen auf der zweitgrößten griechischen Insel nördlich von Athen verloren durch die Flammen auch ihre Lebensgrundlage.
Doch nach dem Waldbrand bedeutet in vielen Regionen zugleich vor dem nächsten großen Feuer. Im Sommer 2023 brannte es auch auf Euböa wieder. Jetzt bereitet sich Griechenland auf die nächste Saison vor und arbeitet am Wiederaufbau der Regionen: In den Wäldern werden zerstörte Bäume und Unterholz entfernt, es werden Schutzzonen und Schneisen geschaffen – zugleich treffen die Behörden aber auch Maßnahmen als Schutz vor Überschwemmungen. Einige der Aufgaben sind zugleich ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Wald- und Harzarbeiter von Euböa, die durch die Feuer ihre eigentlichen Jobs verloren haben.
Niger: Aufforstung trotz Krisen und Kriegen
Die Staaten am südlichen Rand der Sahara leiden schon jetzt besonders unter den Folgen der Klimakrise. Extreme Trockenperioden und Starkregen-Ereignisse wechseln sich ab. Die Bevölkerung ist von der Landwirtschaft abhängig und deshalb unmittelbar von den neuen Wetterverhältnissen betroffen. Doch es gibt zahlreiche Ansätze, die Landwirtschaft gegen Dürre und Trockenheit widerstandsfähiger zu machen. Dazu gehören Agro-Forstwirtschaft und Aufforstung, berichtet Bettina Rühl aus Afrika. Eine besonders erfolgreiche Methode ist „FMNR“ – das Kürzel steht für „Farmer Managed Natural Regeneration“. Im westafrikanischen Niger sind die Erfolge sogar auf Satellitenbildern zu sehen. Wetterextreme, politische Krisen und Kriege werfen die Menschen jedoch immer wieder zurück.
Frankreich: Papier aus Laub und Inspirationen
Der ChangeNow-Event in Frankreich findet bereits seit acht Jahren statt – und Change, ein Wechsel, ist nötiger denn je: Auf der laut Eigenwerbung „weltweit größten Messe der Umweltlösungen für den Planeten“ war Paris-Korrespondentin Barbara Markert auch in diesem Jahr auf der Suche nach neuen Entwicklungen, die unseren Planeten besser machen. Die Weltreporterin wurde fündig: Sie entdeckte biobasierte Alternativen für Plastik-Pailletten und Schweizer Uhren, die zu hundert Prozent aus recycelten Materialien bestehen. Sie sprach mit Entwicklern, die endlich nun auch eine Recycling-Methode für Polyester-Kleidung anbieten und traf einen Karton- und Papierhersteller, der Zellulose aus Laub gewinnt.
Hin und wieder trifft Barbara Markert auf der Messe auch Umweltschützerïnnen, die sie bereits vor Jahren portraitiert hat. Eine von ihnen ist Marion Chaygneaud-Dupuy, die Initiatorin des Clean Everest Association. 2017 war die Französin nicht nur die erste Europäerin, die drei Mal den Gipfel des Mount Everest erreichte, sie kämpft auch unermüdlich für die Natur der Region. Die NGO hat bereits mehr als zehn Tonnen Müll vom höchsten Berg der Welt geholt. Gerade ist Chaygneaud-Dupuy damit beschäftigt, vor Ort eine Recycling-Anlage zu installieren.
Wie in den vergangen Jahren war Markert auch diesmal begeistert vom Ideenreichtum und den kreativen neuen Produkten der ChangeNow-Messe. „Aber das wichtigste ist jetzt, dass all diese Ideen auch umgesetzt werden“, sagt die Weltreporterin in Paris: „Und dazu gehören Träume ebenso wie Erfindungsreichtum, vor allem aber klare Ziele.“