Trotz Krise, Krieg und Katastrophen: Acht Geschichten, die Hoffnung machen

Der Blick auf den Newsfeed oder die Tageszeitung belastet derzeit viele Menschen schwer. Dabei gibt es auch ermutigende Geschichten. Die Weltreporter haben auf vier Kontinenten recherchiert.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
5 Minuten
Ein älterer Mann und eine ältere Frau sitzen in einem griechischen Dorf auf zwei Stühlen und blicken in die Kamera.

Laut EU-Barometer belasten Klimakrise, Ukraine-Krieg und die Nachwirkungen der Pandemie fast zwei Drittel der Europäerinnen und Europäer psychisch, die Folgen des Kriegs in Nahost waren da noch gar nicht eingerechnet. Dabei übersehen wir bisweilen, dass es überall auf der Welt couragierte Menschen gibt, die dem etwas entgegensetzen. Die Korrespondent:innen des Netzwerks
Weltreporter.net haben acht Geschichten zusammen getragen. Sie zeigen: Veränderung zum Guten ist möglich und beginnt oft im Kleinen.

Kalifornien: Hilfe für Fremde in der Not

Wer in den USA Asyl sucht, dem steht oft eine Odyssee bevor. Der Bundesstaat Texas etwa lässt Migrant:innen gar nicht erst ankommen, sondern schickt sie weiter in Bussen, zum Beispiel nach Los Angeles. Dort kamen seit Sommer über 1000 Geflüchtete an. Die kalifornische Stadt hat sich, wie auch New York City oder Philadelphia, zu 'Sanctuary City' erklärt, zu einem sicheren Zufluchtsort für Immigranten. Möglich machen das Menschen wie Frank Wulf. Der Pastor einer methodistischen Gemeinde hat freiwillige Helfer:innen zusammen gerufen, um Gemeinderäume in temporäre Unterkünfte zu
verwandeln. Die Menschen, die seinem Aufruf folgten, gehören unterschiedlichsten Glaubensrichtungen an. Ein Bauunternehmer geht zu Gottesdiensten in einer nahen gelegenen Synagoge. Ein Ehepaar hatte im Chor seiner katholischen Kirche von der Aktion erfahren und wieder andere hatten gar nichts mit Religion zu tun. Kalifornien-Korrespondentin Kerstin Zilm hat das Projekt eine Woche nach den Attentaten der Hamas und den israelischen Vergeltungsschlägen besucht. Bewegt hat sie vor allem die Tatsache, dass hier Menschen über alle Bekenntnisgrenzen hinweg halfen.

Griechenland: Ferien vom Flüchtlingsleben

Was Einzelne mit ihrem Engagement bewirken können, zeigt auch das Beispiel des Ehepaares Lazaridis von der griechischen Kykladen-Insel Sifnos. Seit mehr als dreißig Jahren organisieren der mittlerweile 85-jährige Giannis und seine Frau Dina jeden Sommer kostenlose Ferien für Flüchtlingskinder. Die Initiative dazu ergriffen sie 1993, während des Jugoslawien-Kriegs. Damals waren es bosnische Kinder, die für ein paar Tage ihr Flüchtlingsdasein vergessen konnten. Ihnen folgten Kinder aus Georgien, heute sind es vor allem afghanische und ukrainische Kinder. Mit seiner Tatkraft hat das Ehepaar Lazaridis die ganze Insel angesteckt, berichtet Griechenland-Korrespondentin Rodothea Seralidou: „Kleine Unternehmer und Gastronomen, die Bäckereien und Supermärkte, die
Bürgermeisterin – die ganze Insel tut ihr Bestes.“ Das Projekt schlägt Wellen,
weit über die Inselgrenzen hinaus. Als „bewegendes und inspirierendes Beispiel“ lobt Louise Donovan, Sprecherin der UN-Flüchtlingsorganisation in Griechenland,
das Projekt.

Sechs junge Frauen aus dem Tschad stehen in blauweißer Schuluniform vor einer grünen Hecke und blicken lachend in die Kamera. Eine hält eine Gießkanne in der Hand.
Schülerinnen im Tschad klären über den Klimawandel auf und fordern politisches Handeln.

Tschad: Aufstehen für eine bessere Zukunft

Neben Krieg, Flucht und Migration bereitet die Klimakrise vielen Sorgen. Auch wenn deren Hauptverursacher im globalen Norden sitzen, sind es bisher vor allem die Länder im globalen Süden, die unter ihr leiden. Afrika-Korrespondentin Bettina Rühl berichtet seit vielen Jahren über Menschen aus verschiedenen Sahel-Staaten, die gegen Extremwetter, Ernteausfälle und andere Folgen kämpfen. In diesem Jahr führten ihre Recherchen sie unter anderem in den Tschad, wo sie mit Schülerinnen sprach, die ihre Mitschüler:innen über die Ursachen des Klimawandels aufklären und politisches Handeln fordern – von ihrer Regierung, und von den verursachenden Staaten. „Es war toll, diesen jungen, extrem gut informierten und klugen jungen Frauen zuzuhören“, so die Journalistin. „Sie kämpfen auch deshalb, weil sie wissen, dass es um ihre Zukunft geht – und wollen sie mitgestalten.“

Niederlanden: Käse ohne Kuh – dem Klima zuliebe

Um den weltweiten Temperaturanstieg im erträglichen Bereich zu halten, muss die Menschheit ihre Konsumgewohnheiten grundlegend ändern. Dazu gehört die Ernährung. Vor allem tierische Produkte wie Milch, Käse, Fleisch gelten als Treiber der Klimakrise . Vegetarische oder vegane Ersatzprodukte fehlen inzwischen in keinem Supermarkt mehr. Zu den Pionieren der Bewegung zählt der Niederländer Jaap Korteweg: 2007 verkaufte der Vater von vier Kindern den Hof seiner Eltern und forderte die Fleischindustrie als „Vegetarian Butcher“ mit Fleischersatzprodukten heraus. Er wollte „in diesem elenden System einfach nicht mehr mitspielen“, erzählte er Journalistin Kerstin Schweighöfer. Sein Unternehmen hat er inzwischen verkauft und investierte den Millionengewinn in den nächsten Schritt: Nun will er Käse ohne Kuh herstellen. In einem Labor im flämischen Gent versuchen 20 Mitarbeiter:innen, das wichtigste Milcheiweiß nachzubauen, das es braucht, um klimafreundlichen Käsegenuss möglich zu machen: das Kasein.

Indien: Neues Selbstbewusstsein für „die Gebrochenen“

Besonderen Mut beweisen immer wieder auch Frauen, die unter mehrfacher Diskriminierung leiden. Indien-Korrespondentin Antje Stiebitz hat bei Recherchen die Psychologie-Dozentin Ritu Singh kennengelernt, die unter anderem gegen ungerechte Besteuerung von Landwirten protestiert hat. Die Wissenschaftlerin von der Universität Delhi ist derzeit vom Dienst suspendiert, und Singh ist sich
sicher, dass dabei auch ihre Herkunft eine Rolle spielt: Sie gehört einer
unterprivilegierten Gemeinschaft an, die sich selbst als Dalit – „die Gebrochenen“– bezeichnet. Ritu Sing ist davon überzeugt, dass sie gehen musste, weil sie mit den Stereotypen ihrer Kaste gebrochen hat und ihre Studierenden durch ihren Unterricht ermutigt, sich ebenfalls von Unterdrückung zu befreien.

Eine indische aussehende Frau sitzt umringt von drei Studierenden auf dem Boden und zeigt auf ein Papier in ihrer Hand.
Die Psychologie-Dozentin Ritu Singh demonstriert vor der Universität Delhi gegen ihre Suspendierung.

Taiwan: Selbstbehauptung mit dem Kochlöffel

Mit ganz anderen Widerständen kämpft Clarissa Wei. Die Köchin hat ein Kochbuch mit Rezepten aus Taiwan veröffentlicht und muss sich seitdem mit Trolls auseinandersetzen, die behaupten, es gebe keine taiwanische, sondern nur chinesische Küche. Der Inselstaat ist seit 70 Jahren de facto eigenständig. Die Bedrohung durch den autokratischen Nachbarn aber ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Und Wei setzt auf kulinarische Selbstbehauptung. „Ich bin der festen Überzeugung, dass die Küche eines Ortes seine Geschichte viel anschaulicher erzählen kann, als jedes Sachbuch“, erzählt Wei im Interview mit der NZZ. Für Asien-Reporterin Christina zur Nedden war das Gespräch mit der jungen Frau eines der inspirierendsten dieses Jahres.

USA und Österreich: Würdevolle, letzte Ehren

Manchmal bergen auch Momente Hoffnung, die per se als besonders hoffnungslos gelten. In den USA suchen Freiwillige in der Wüste von Arizona nach den sterblichen Überresten von Migrant:innen, die dort verdurstet sind. Für die Angehörigen ist das fundamental, denn es erleichtert ihnen, einen Abschluss, „closure“ zu finden. Korrespondent Arndt Peltner lebt seit vielen Jahren in den USA. In einer Zeit, in der in seiner Wahlheimat die Grundfesten der Demokratie ins Wanken geraten sind und die Polarisierung immer mehr zunimmt, fand er den Einsatz der Ehrenamtlichen sehr bewegend.

Grenzzaun in einer wüstenähnlichen Landschaft.
Für viele Migrant:innen ist die Grenze zwischen Mexiko und den USA tödlich.

Ganz ähnlich ging es dem Österreich-Korrespondenten Alexander Musik, der den 'Friedhof der Namenlosen' am Wiener Stadtrand besucht hat. Die Familie Fuchs pflegt hier seit drei Jahrzehnten einen Friedhof für Selbstmörder und Unfallopfer, die am Wiener Ufer der Donau an Land gespült werden. Die Mitglieder eines ansässigen Fischervereins lassen jedes Jahr ein mit Blumen und den Worten „Den Opfern der Donau“ geschmücktes Floß zu Wasser, um an diese Menschen zu erinnern und sie zu würdigen.

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