Internationaler Tag der Pressefreiheit: Ein Gradmesser für den Zustand der Demokratie
Ukraine-Krieg, Rechtspopulisten, Energieabhängigkeit: Wir leben in einer globalisierten Welt, in der Krisen über Grenzen hinweg starke Auswirkungen zeigen. Daher sollten wir ein Interesse daran haben, dass auch in scheinbar weit entfernten Ländern eine unabhängige Presse zur Meinungsfreiheit beiträgt, sagt Gemma Pörzgen von Reporter ohne Grenzen.
Jedes Jahr zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai veröffentlicht Reporter ohne Grenzen die aktuelle globale Rangliste der Pressefreiheit sowie den neuen Band „Fotos für die Pressefreiheit“, der die weltweiten Entwicklungen des vergangenen Jahres in beeindruckenden Bildern international renommierter Fotografen und Fotografinnen dokumentiert. Gemma Pörzgen, Mitgründerin und Vorstandsmitglied von Reporter ohne Grenzen, ist zusammen mit Fotoredakteurin Barbara Stauss seit mehr als zehn Jahren verantwortlich für das Fotobuch. Im Interview mit Christina Schott erklärt sie, warum es wichtig ist, auf diese Weise auf Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit in anderen Ländern aufmerksam zu machen.
Christina Schott: Wie steht es aktuell um die weltweite Pressefreiheit?
Gemma Pörzgen:Leider verschlechtert sich die Lage der Pressefreiheit seit vielen Jahren weltweit. Probleme, die wir aus entlegeneren Weltgegenden schon länger kannten, scheinen immer näher zu rücken. Auch in Deutschland nehmen die tätlichen Angriffe auf Medienschaffende zu. Auf unserer Rangliste der Pressefreiheit nehmen EU-Länder wie Polen, Ungarn oder Griechenland aufgrund massiver Eingriffe in die Pressefreiheit schlechte Platzierungen ein. Reporter ohne Grenzen bietet eine umfangreiche Dokumentationder Entwicklungen in 180 Ländern, von denen viele beunruhigend sind.
C.S: Warum ist es so wichtig, dass wir auch darauf schauen, wie es um die Pressefreiheit in weit entfernten Ländern bestellt ist?
G.P.: Wir leben in einer globalisierten Welt, in der alles miteinander zusammenhängt. Das gilt auch für Länder, die für uns weit weg zu sein scheinen. In Brasilien etwa war bis Dezember 2022 der Rechtspopulist Jair Bolsonaro Präsident. Seine Amtszeit war von Desinformation, Hetze und Gewalt gegen Medien und Journalistïnnen geprägt, und er war bestens vernetzt mit einigen Politikern dieses Schlags in anderen Ländern, beispielsweise mit Donald Trump in den USA. Mit dem Machtwechsel in Brasilien und dem Ende von Bolsonaros Amtszeit sind jetzt viele Hoffnungen verbunden, die weit über Brasilien hinaus ausstrahlen.
Pressefreiheit ist da ein Gradmesser für den Zustand der Demokratie. Wir sollten ein Interesse daran haben, dass Rechtspopulisten wie Bolsonaro sich nicht durchsetzen und auch noch über Grenzen hinweg zusammenarbeiten können. Im Rahmen neuer Energie- und sicherheitspolitischer Partnerschaften rücken nun auch Länder noch stärker in den Fokus, in denen es um die Pressefreiheit sehr schlecht bestellt ist: etwa Kambodscha, die Philippinen, Algerien, Tunesien und Kolumbien. Reporter ohne Grenzen wird angesichts der geopolitischen Veränderungen diese Entwicklungen umso mehr im Blick behalten und darauf aufmerksam machen.
C.S.:Das Titelbild des neuen Bandes „Fotos für die Pressefreiheit 2023“ ist erschütternd: Vor einem Mahnmal des Zweiten Weltkriegs liegen die zugedeckten Leichen von ukrainischen Zivilisten, die bei einem russischen Angriff ums Leben kamen. Warum haben Sie dieses Foto ausgewählt?
G.P.: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine war auch für Reporter ohne Grenzen das zentrale Ereignis des vergangenen Jahres mit dramatischen Folgen für die Pressefreiheit. Deshalb war klar, dass wir für das Titelbild ein Foto aus der Ukraine auswählen. Wir haben länger über verschiedene Motive diskutiert und abgewogen, ob wir den Schrecken des Krieges und auch Opfer wirklich so plakativ zeigen wollen, wie ein Titelbild dies einfordert.
Schließlich haben wir uns sehr bewusst dafür entschieden, denn der Fotograf schafft bei aller Brutalität der Szene eine gewisse Diskretion. Gleichzeitig zeigt der abgestellte Koffer, wie unvermittelt dieser Krieg in den Alltag einbricht. Und dann gibt es mit dem Mahnmal auch noch die Verbindung zum Zweiten Weltkrieg. Es ist dadurch ein starkes Bild mit einer vielschichtigen Botschaft. Das alles zusammen hat uns überzeugt, dass es das Titelfoto sein sollte.
C.S.:Welche Länder standen im vergangenen Jahr noch im Fokus?
G.P.:Die katastrophale Lage im Iran natürlich, aber auch Presserechtsverletzungen in Ländern wie China, Mali, der Türkei oder auch Griechenland. Gambia wiederum ist ein Beispiel für ein Land, das sich nach dem Machtwechsel positiv entwickelt hat.
Für den Essayteil unseres Fotobuchs haben wir einige Länder ausgewählt, von denen wir durch die Augen von Fotografen und Fotografinnen in großen Bildreportagen erzählen. Da spielt natürlich der Krieg in der Ukraine eine Hauptrolle und wir sind sehr stolz darauf, die Aufnahmen des ukrainischen Fotografen Evgeniy Maloletka zeigen zu können, der gerade mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet wurde. Eine zweite Fotoreportage von Nanna Heitmann widmet sich der Lage in Russland. Weitere Bildstrecken haben Katar, Sri Lanka, Bosnien, Nigeria, Kasachstan und Mexiko zum Thema.
C.S.:Gibt es eine Geschichte, die Sie besonders berührt hat?
G.P.: Da ich selbst in der Sowjetunion aufgewachsen bin, sind für mich die Bildreportagen aus der Ukraine und aus Russland besonders berührend. Sie lassen zusammen mit den Texten das schier unvorstellbare Ausmaß dieser Tragödie spüren. Aber ebenso liebe ich die farbenfrohen Bilder aus Kasachstan, einem Land, das ich ebenfalls wiederholt bereist habe, und in Deutschland leider immer noch sehr unbekannt ist. Das ganze Fotobuch ist wie ein Fenster zur Welt und auch deshalb so wichtig.
C.S: Inwieweit bildet das Fotobuch die Arbeit von Reporter ohne Grenzen ab?
G.P.:Das Fotobuch begleitet die Organisation seit ihren Anfängen und gehört sozusagen zur DNA von Reporter ohne Grenzen. Es gelingt uns damit, einen größeren Kreis von Menschen zu erreichen, der sich für Fotografie und das Weltgeschehen interessiert. Wir sind in den fast 30 Jahren unseres Engagements inzwischen in so vielen Themenfeldern tätig, dass ein Fotobuch das natürlich nicht alles abbilden kann. Aber ich mache im Gespräch mit vielen Leuten die Erfahrung, dass unsere „Fotos für die Pressefreiheit“ neugierig machen, uns besser kennenzulernen.
C.S:Was macht Ihnen Hoffnung?
G.P.: In den Anfängen von Reporter ohne Grenzen (die deutsche Sektion der internationalen Organisation Reporters sans frontieres wurde 1994 gegründet) war es selbst im Kollegenkreis schwierig zu vermitteln, warum man sich für Pressefreiheit engagieren sollte. Nur wenige Journalistinnen und Journalisten wurden bei uns Mitglied, viele taten unsere Arbeit etwas abschätzig ab. Das hat sich fundamental verändert. Reporter ohne Grenzen ist heute eine große, tatkräftige Organisation, die viel Unterstützung erfährt. Die meisten unserer über 3000 Mitglieder sind heute keine Medienschaffenden, sondern Menschen, die verstanden haben, dass es keine Freiheit ohne Pressefreiheit gibt. Sie unterstützen unsere Arbeit, weil sie die Solidarität mit bedrohten Journalistinnen und Journalisten elementar wichtig finden und an die Kraft einer unabhängigen Berichterstattung glauben. Das gibt mir sehr viel Hoffnung.