Pressefreiheit unter Druck: Berichterstattung unabhängiger Medien wird immer schwieriger
Zunehmend repressive Gesetze, Verleumdungsklagen und Morde – in vielen Ländern setzten sich Journalistïnnen großer Gefahr aus, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen. Ein Überblick.
Am 3. Mai war Internationaler Tag der Pressefreiheit. Seit 1994 wird an diesem Datum jedes Jahr daran erinnert, wie wichtig die freie Berichterstattung für den Fortbestand einer Demokratie ist. Doch weltweit sind Autokraten und Populisten auf dem Vormarsch, selbst in Demokratien werden Journalistïnnen zunehmend bedroht oder eingesperrt, weil sie schlicht ihren Job machen. Laut Reporter ohne Grenzen hat die Zahl inhaftierter Journalistïnnen zugenommen: In immer mehr Ländern werden Pressevertreterïnnen verfolgt, wenn sie Korruption oder Gewalt aufdecken – sei es durch kriminelle Vereinigungen oder die Machthabenden selbst. Aktuell machen sich in Osteuropa viele Bürger Sorgen um die Pressefreiheit in ihren Ländern.
Neben der Ukraine gilt Mexiko als das gefährlichste Land für Medienschaffende. Allein in diesem Jahr wurden in Mexiko elf Journalistïnnen ermordet. Und währen die Menschen in Palästina um die langjährige Al-Jazeera-Korrespondentin Shireen Abu Akleh trauern, starb in Chile die Journalistin Francisa Sandoval, nachdem auf einer Demonstration auf sie geschossen worden war.
Auch in vielen afrikanischen Ländern ist es schlecht um die Pressefreiheit schlecht bestellt: In Äthiopien werden Reporter staatsfeindlicher Umtriebe beschuldigt, in Mosambik drohen der Presse einschränkende Gesetze und in Tunesien machen sich Journalistïnnen Sorgen um die Zukunft. Auf den Philippinen werden die Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa und ihr Online-Magazin „Rappler“ mit Verleumdungsklagen überzogen. Und in den USA sind die weltweit führenden sozialen Medien in den Händen der Superreichen. Eine Bestandsaufnahme.
Mexiko: Das gefährlichste Land für Medienschaffende nach der Ukraine
„Nicht schießen, ich bin ein Journalist“, heißt es auf einem der Schilder, das Medienschaffende bei Protesten in der mexikanischen Hauptstadt in die Höhe halten. Das klingt beinahe zynisch, denn in Mexiko werden Journalistïnnen erschossen, gerade weil sie ihre Arbeit tun. In der zweiten Maiwoche traf es zwei Frauen im Süden des Landes, wenige Tage vorher wurde ein Reporter im Norden ermordet. Allein in diesem Jahr wurden in Mexiko elf Medienschaffende ermordet, seit 2000 sind über 150 Pressevertreterïnnen gewaltsam ums Leben gekommen.
Wer Kriminellen in die Quere kommt oder die korrupten Allianzen zwischen Mafia, Politik, Militär und Wirtschaft aufdeckt, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Nur wenige Fälle werden aufgeklärt, viele Kollegïnnen müssen ihre Heimat verlassen, weil sie bedroht werden. Dennoch beschimpft der linksnationalistische Präsident Andrés Manuel López Obrador ihm kritisch gesinnte Medienschaffende als „Konservative“ und stellt sie bei seinen Pressekonferenzen an den Pranger.
Äthiopien: Journalisten droht Todesstrafe
Im Norden Äthiopiens wird seit November 2020 gekämpft. Wie so oft gehört die Wahrheit zu den ersten Opfern des Kriegs. Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als 40 Journalistïnnen verhaftet. Die meisten sind wieder frei, doch zwei müssen sich vor Gericht verantworten: Dessu Dulla und Bikila Amenu. Den beiden werden staatsfeindliche Umtriebe vorgeworfen, ihnen droht sogar die Todesstrafe. Viele Medienschaffende sind ins Ausland geflohen, sie fühlen sich ihres Lebens nicht sicher. So etwa Woldegiorgis Gebreyesus, der nun im Exil-Sender Axumite Radio in der kenianischen Hauptstadt Nairobi tätig ist. Ausländische Medienvertreterïnnen bekommen nur noch in Ausnahmefällen eine Arbeitserlaubnis. Die Phase relativer Pressefreiheit war in Äthiopien nur von kurzer Dauer.
Tunesien: In der Rangliste der Pressefreiheit abgerutscht
Seit dem politischen Umbruch 2011 hatte sich Tunesien kontinuierlich im Ranking von Reporter ohne Grenzen nach oben bewegt. Nach dem Ende der Diktatur und der damit einhergehenden Zensur war die Presse- und Meinungsfreiheit eine der großen Errungenschaften. „Das kann uns niemand mehr nehmen“, hieß es unter tunesischen Journalistïnnen – selbst wenn der Weg zur Demokratie oft mühsam und von Rückschlägen geprägt war. Doch in letzter Zeit hat der Druck auf die Medien wieder zugenommen, nicht erst seit Präsident Kais Saied im vergangenen Jahr immer mehr demokratische Institutionen außer Kraft gesetzt hat. Das Ergebnis: 21 Plätze ist Tunesien in der Rangliste der Pressefreiheit abgerutscht. Viele tunesische Medienschaffende machen sich heute Sorgen darum, wie sie in Zukunft noch arbeiten können. Ihren Kollegïnnen im Nachbarland Marokko ergeht es nicht besser – vor allem unabhängigen Medien werden zunehmend überwacht, beleidigt und finanziell in den Ruhm getrieben.
Chile: Einschüchterung und Gewalt führen zu verhaltener Berichterstattung
Auch Chile ist im Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen zurückgefallen. Das Land liegt nur noch auf Platz 82 von 180, 28 Plätze hinter der vorigen Positionierung. Die Liste wurde just in einer Woche veröffentlicht, in der drei Medienschaffende bei einer Demonstration zum ersten Mai durch Schüsse verletzt wurden. Die Journalistin Francisca Sandoval starb vergangene Woche an ihren Verletzungen. Die Veranstalter werfen der Polizei zögerliches Eingreifen vor. Schon länger wird Gewalt und Druck auf Journalisten kritisiert, insbesondere bei Recherchen zu Themen wie Korruption oder bei Protesten der indigenen Mapuche-Gemeinden. Die Sociedad Interamericana de Prensa bemerkte letztes Jahr ein verändertes Verhalten von Journalisten bei Protesten: Die meisten würden sich nicht mehr als Pressevertreter kenntlich machen und Fotos nur noch aus sicherer Entfernung aufnehmen – wenn möglich an Plätzen mit Überwachungskameras.
USA: Von Facebook bis Twitter – Superreiche beeinflussen politische Meinung über Soziale Medien
Die Lage der Pressefreiheit in den USA ist unter Präsident Joe Biden besser als unter der Fake-News-Propaganda seines Vorgängers Donald Trump. Biden hat wieder regelmäßige Pressebriefings im Weißen Haus eingeführt und sich zur elementaren Rolle der Pressefreiheit bekannt. Doch auf lokaler Ebene ist die Lage problematisch. Seit 2015 wurde etwa ein Viertel der regionalen Tageszeitungen eingestellt. „Der Untergang der Lokalnachrichten ist eine Bedrohung unserer Demokratie, die Alarmsirenen auslösen sollte“, kommentierte die Washington Post. Eine Bedrohung anderer Dimension: Immer mehr Superreiche nehmen über den Besitz von Medien politischen Einfluss. Der reichste Mann der Welt, Elon Musk, will vielleicht Twitter kaufen, dem zweitreichsten, Amazon-Gründer Jeff Bezos, gehört die Washington Post. Mark Zuckerberg herrscht mit seiner Firma „Meta“ über Facebook, Instagram und WhatsApp.
Philippinen: Friedensnobelpreisträgerin kämpft gegen autoritäre Regierung
Im vergangenen Jahr erst erhielt die philippinische Journalistin Maria Ressa gemeinsam mit ihrem russischen Kollegen Dmitri Muratow, Chefredakteur der Kreml-kritischen und mittlerweile in Lettland erscheinenden „Nowaja Gaseta“, den Friedensnobelpreis für ihren mutigen Kampf für unabhängigen Journalismus. Maria Ressa gilt als Gallionsfigur im Kampf der philippinischen Medien gegen das repressive Regime von Präsident Rodrigo Duterte. Die frühere CNN-Reporterin gründete 2012 das mehrfach preisgekrönte Online-Magazin „Rappler“. 2020 wurde sie wegen „Diffamierung“ zu sechs Jahren Haft verurteilt. Wegen seiner kritischen Berichterstattung im Vorfeld der Präsidentenwahl am 9. Mai wurde der „Rappler“ nun mit 14 neuen Verleumdungsklagen überhäuft. Maria Ressa selbst droht lebenslange Haft, sollten die Behörden ernst machen. Die Wahl zum Nachfolger Dutertes gewann ausgerechnet „Bongbong“, Sohn des Ex-Diktators Ferdinand Marcos – Hoffnung auf Besserung zeichnet sich also nicht ab.
Mosambik: Neues Mediengesetz bedroht kritischen Journalismus
In Mosambik hat Präsident Filipe Nyusi ein neues Mediengesetz angekündigt. Journalistïnnenverbände sehen darin einen Angriff auf die von der Verfassung garantierte Pressefreiheit. Demnach können Reporterïnnen künftig wegen Verunglimpfung des Staatschefs belangt werden, ohne sich verteidigen zu können. Auch die Zahl der Mitarbeitenden ausländischer Medien soll beschränkt werden, was besonders die Deutsche Welle stark treffen würde. Mosambikanische Medien sind ebenfalls Repressionen ausgesetzt, beklagt Matias Guente, Chefredakteur des regierungskritischen „Canal de Moçambique“. Er wurde bedroht, seine Redaktion angezündet. Guente sagt, er habe den Eindruck, die Regierung wolle investigative Recherchen unterbinden. Vor zwei Jahren verschwand der Reporter Ibrahim Mbaruco. Zuvor konnte er noch per Handy mitteilen, dass er von Uniformierten umstellt sei. Bis heute weiß seine Familie nicht, was mit ihm geschehen ist.
Visegrad-Länder: Studie zur gefühlten Pressefreiheit aus Sicht der Bürger
In Prag wurde jetzt eine Studie vorgestellt, wie es in den Visegrad-Ländern Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei um die Pressefreiheit bestellt ist – ganz subjektiv aus Sicht der Bürger. Initiatorin der repräsentativen Umfrage war die tschechische Sektion des International Press Institute. Das Ergebnis lässt tiefer blicken als die jährlich veröffentlichten Ranglisten zur Pressefreiheit. Denn erstens machen sich in den vier Ländern durchschnittlich 52 Prozent der Befragten Sorgen um die Pressefreiheit. Eine Mehrheit gab an, dass sich die Situation in den vergangenen fünf Jahren verschlechtert habe. Zweitens hängt die wahrgenommene Pressefreiheit offensichtlich stark von der politischen Präferenz ab: So machen sich nur zehn Prozent der rechten Fidesz-Anhänger in Ungarn Sorgen um die Pressefreiheit. Unter den Wählern der demokratischen Opposition sind es fast 90 Prozent.