Spionage für Russland? Der spanische Journalist Pablo González ist seit 14 Monaten in U-Haft.
Eine Anklage gibt es bisher nicht. Journalistenorganisationen sehen darin einen Angriff auf die Pressefreiheit.
Seit über einem Jahr sitzt der spanische Journalist Pablo González in Polen in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Spionage für Russland. Doch eine Anklage steht noch aus. Journalistenorganisationen wie Reporter ohne Grenzen sprechen von einem „europaweit einzigartigen Fall“. Was den Fall so besonders macht? Dazu drei Fragen – und drei Antworten.
Was ist über den Fall bekannt?
Pablo González reiste zum Kriegsbeginn am 24. Februar von Spanien zunächst in die Ukraine, von dort weiter nach Polen. Dort berichtet er für den spanischen Fernsehsender La Sexta, die Online-Zeitung Público und die baskisch-nationalistische Zeitung Gara von der Ankunft der Flüchtlinge aus der Ukraine. Am 28. Februar wurde er von der polnischen Polizei verhaftet. Der Vorwurf: Spionage für Russland.
Der Journalist berichtete seit der russischen Annexion der Krim regelmäßig aus der Ukraine. In seinen Berichten und auf seinem Twitter-Account übte er sich sowohl an der ukrainischen als auch an der russischen Regierung Kritik. Für seine Reportagen bewegte er sich auf beiden Seiten der Front. Anfang Februar, vor Kriegsbeginn, hatten ihn ukrainische Behörden kurzzeitig festgehalten, wegen angeblicher prorussischer Propaganda.
Eine Rolle dabei könnte auch sein russischer Pass gespielt haben, den der Journalist neben dem spanischen besitzt. González ist in Moskau geboren, als Nachkomme der sogenannten „russischen Kinder“ Sein Großvater war während des spanischen Bürgerkrieges nach Moskau verschickt worden. Seine Mutter lebte dort bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion.
Was González genau vorgeworfen wird, ist selbst seinen Anwälten nicht klar. Sie wissen lediglich vom vagen Vorwurf der „Gefährdung polnischer Interessen“.
Die Haftbedingungen im polnischen Gefängnis sind streng. Der Spionage-Vorwurf macht González zum „gefährlichen Häftling“. Laut Anwälten ist lediglich eine Stunde Freigang täglich erlaubt, in Handschellen.
Seine baskische Frau Oihana Goiriena konnte ihn bisher lediglich ein Mal besuchen, im November, in Anwesenheit von Sicherheitsbeamten. Die Kinder – das Paar hat drei gemeinsame Söhne – haben mit ihrem Vater nur per Brief Kontakt. Gespräche per Videokonferenz hat das Gefängnis bisher aus Sicherheitsbedenken abgelehnt.
Vier Mal wurde die Untersuchungshaft inzwischen verlängert – zuletzt bis zum 24. Mai. Eine Anklage gibt es noch nicht.
Warum bezeichnet Reporter ohne Grenzen den Fall als besorgniserregend?
Die spanische Sektion von Reporter ohne Grenzen kritisiert vor allem die lange Untersuchungshaft ohne Anklage. „Das ist – für einen Journalisten aus einem EU-Staat – innerhalb der EU ein absolutes Novum“, so Sprecherin Edith Rodríguez Cachera. Sie erinnert daran, dass Polen bereits vor dem Ukrainekrieg EU-weit in der Kritik stand. „Die EU hatte damals die Vergabe von EU-Geldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien geknüpft und vor allem die Unabhängigkeit des polnischen Justizsystems im Visier. Doch durch den Ukrainekrieg hat sich die Debatte zugunsten Polens verschoben – und wenn das Wort Russland fällt, zucken sowieso alle zurück.“
Rodríguez Cachera bezeichnet den Fall als „extrem undurchsichtig“ und als eine Gefahr für die Pressefreiheit. Sie geht mit den polnischen Behörden hart ins Gericht: „Wenn Beweise vorliegen, müssen sie veröffentlicht werden. Andernfalls muss Pablo González auf freien Fuß.“ Die Appelle verhallten bisher ungehört.
Für Reporter ohne Grenzen zeigt der Fall auch die spezifische Gefährdung von freien Journalistinnen und Journalisten. „Wer kein großes Medium hinter sich hat, ist natürlich sehr viel verletzlicher und angreifbarer als festangestellte Kolleg*innen – auch für staatlichen Machtmissbrauch“, sagt Rodríguez Cachera. Auch andere Journalistenorganisationen wie Freischreiber oder Weltreporter.net haben im Zuge des Ukrainekrieges immer wieder auf die prekäre Lage von freien Journalistinnen und Journalisten aufmerksam gemacht.
Wieviel Aufmerksamkeit erhält der Fall in der spanischen Öffentlichkeit?
Die Medien, für die González gearbeitet hat, berichten regelmäßig über den Fall. Ein Unterstützerkreis hat runde Tische und Diskussionsrunden organisiert. Doch finanzielle Unterstützung gab es bisher keine. Die Anwaltskosten bestreiten Familie und Freunde über ein Crowdfunding.
González' Ehefrau wünscht sich mehr diplomatische Unterstützung. Der spanische Konsul besuche ihren Mann zwar regelmäßig, auch der spanische Ombudsmann hat sich nach dessen Wohlergehen erkundigt. Doch vom spanischen Außenministerium hat sich noch niemand bei der Familie gemeldet. Die spanische Regierung hätte mehr Druck auf Polen ausüben und offensiver intervenieren sollen, so Goiriena. Das allerdings sei bei Justizverfahren innerhalb der EU extrem schwer, so Edith Rodríguez Cachera von Reporter ohne Grenzen. Sie hat beobachtet, dass viele große spanische Medien den Fall „mit Fingerspitzen“ anfassen – eben weil die Vorwürfe der Anklage so unklar seien. „Wenig Informationen preiszugeben, ist eine beliebte Strategie, um Misstrauen zu streuen.“
Auch Goiriena, González' Frau, wundert sich über die eher zurückhaltende Berichterstattung über den Fall: „Vielleicht liegt das daran, dass Pablo hauptsächlich für linke bzw. baskisch-nationalistische Medien wie Gara gearbeitet hat – und die sind gerade für die in Madrid ansässige Presse ein rotes Tuch.“
Ein weiterer Grund für das geringe Medienecho könnte die Wahl des Anwalts gewesen sein. Das internationale Anwaltsteam von Pablo González wird von Gonzalo Boyé betreut, der unter anderem den separatistischen katalanischen Politiker Carles Puigdemont verteidigt. Seine Person rufe, so Beobachter des Falls, vor allem bei konservativen spanischen Medien „allergische Reaktionen“ hervor.