Sieben Konzepte für eine Landwirtschaft, die weniger Pestizide benötigt
Pestizide gefährden die Umwelt. Die ökologische Landwirtschaft ist eine mögliche Antwort, den Einsatz von Chemikalien zu verringern. Aber es gibt auch andere Ideen: Entwickler setzen beispielsweise auf Roboter, Gentechnik und RNA-Technologie in Dienst des Naturschutzes.
Die Debatte um den Einsatz von Pestiziden kreist häufig um zwei Positionen, die weit auseinander liegen. Der ökologische Landbau versucht weitgehend auf Pestizide zu verzichten. Die konventionelle Landwirtschaft hält den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln für unverzichtbar, damit die Ernteerträge auf hohem Niveau bleiben. Doch zwischen diesen Polen liegen viele erfolgversprechende Konzepte, wie sich Pflanzenschutz verändern könnte. Wir stellen einige Ideen vor.
Transgene Pflanzen: Wie schneidet die erste Generation genetisch veränderter Kulturpflanzen beim Ersatz von Pestiziden ab?
Das bekannteste Beispiel zur Schädlingsbekämpfung mittels Gentechnik ist das Cry1 Ac-Protein: eine natürliche Giftklasse, mit der sich das Bodenbakterium Bacillus thuringiensis (Bt) vor Insekten schützt. Das Protein wurde einige Jahrzehnte direkt im Pflanzenschutz versprüht, aber dieses Vorgehen schädigt auch andere Insekten. Die Gentechnik bietet eine Alternative: Der Abschnitt der Bakterien-DNA, der die Produktion von Cry1 AC codiert, ist seit langem bekannt. Er wurde von Forschenden in das Erbgut zahlreicher Nutzpflanzen als pflanzenfremdes Gen eingebracht, die das Gift während des Wachstums produzieren und damit gegen Fressfeinde geschützt sein sollen.
Kommerziell erfolgreich ist die Bt-Methode beispielsweise bei Mais, Baumwolle, Aubergine, Bohne und Zuckerrohr. Wegen des fremden Erbgut wird die Technologie „transgen“ genannt, die Produkte müssen in den meisten Ländern als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnet werden. Da einige Schädlinge inzwischen Resistenzen gegen das Gift aufgebaut haben, wurden moderne Bt-Pflanzen häufig mit mehreren Bt-Genen „ausgestatttet“, die unterschiedliche Gifte produzieren. Bt-Pflanzen werden weltweit angebaut, in Europa beschränkt sich der Anbau auf Bt-Mais in Spanien.
Große Saatguthersteller wie Monsanto haben bei Bt-Pflanzen häufig ein weiteres pflanzenfremdes Gen eingesetzt, dass die Pflanzen unempfindlich gegen das Herbizid Glyphosat macht. Neuere Pflanzen-Generationen sind sogar gegen mehrere Herbizide resistent, die auf dem Acker ausgebracht werden, damit nur die gentechnisch veränderten Pflanzen wachsen und andere Wildkräuter absterben. Der weitere Gebrauch von Herbiziden ist also Teil des Konzepts geworden. Daher konnte diese Form der Gentechnik den Einsatz von Pestiziden nicht verringern.
Cisgene Pflanzen: Was können die neuen Methoden der Gentechnik leisten?
Manche wilde Formen von Nutzpflanzen besitzen eine natürliche Abwehrkraft gegen Schädlinge, die in ihrem Erbgut verankert ist – liefern aber häufig nur geringe Erträge. Bei der konventionellen Züchtung wird versucht, die Abwehrstärke durch Kreuzungen auf die im Ackerbau gebräuchlichen Arten zu übertragen. Das ist allerdings sehr zeitaufwändig. Gentechnische Verfahren führen schneller zum Ziel, weil das nötige Gen direkt übertragen wird und die Pflanze die gewünschte Eigenschaft bekommt. Ist die Gentechnik erfolgreich, dann wäre der Einsatz einiger Pestizide, beispielsweise von Fungiziden und Insektiziden, nicht mehr nötig, weil die Pflanze sich selbst schützen kann.
Weil das eingesetzte Gen aus der Wildform der gleichen Art stammt, wird die Technologie „cisgen“ genannt. International gibt es unterschiedliche Bewertungen, ob die Produkte als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnet werden müssen. Etablierte Beispiele für cisgenen Pflanzenschutz bilden Kartoffeln und Äpfel, diese cis-Pflanzen haben sich aber noch nicht im Markt durchgesetzt. Das Verfahren soll auch die Banane vor einer neuen Variante der Pilzerkrankung „Panama Disease“ schützen, die viele Plantagen bedroht.
Fressfeinde-Armee: Wenn Nützlinge die Schädlinge attackieren
Marienkäfer sind in der Landwirtschaft gern gesehene Gäste. Die Insekten fressen im Laufe ihres Lebens etliche Tausend Blattläuse. Schlupfwespen wiederum legen ihre Eier in das Gelege von Schädlingen. Pseudomonas-Bakterien sondern Giftstoffe ab, die andere Insekten töten können. Das sind nur einige Beispiele, wie Nützlinge gegen Pflanzenschädlinge eingesetzt werden können. Doch so einfach lässt sich das Konzept nicht umsetzen. Den Nützlingen fehlt oft ein geeigneter Lebensraum, denn die Anbauflächen sind oft zu groß und bieten keine natürlichen Rückzugsräume. Damit das Konzept erfolgreich sein kann, müsste es in der Landwirtschaft mehr naturbelassene Korridore geben: Hecken, Bäume, Steinhaufen, Brachen oder Blühflächen.
Bei einem akuten Schädlingsbefall wird das Modell „Fressfeinde“ bereits gezielt eingesetzt: Einige Firmen verkaufen gezüchtete Nützlinge an Landwirte, die sie dann auf den Feldern aussetzen können.
Auch die Lebewesen im Boden sind als Helfer für den Pflanzenschutz seit ein paar Jahren in den Fokus der Forschung gerückt. Mikroorganismen können die Widerstandsfähigkeit einer Pflanze anregen oder verstärken, einige wirken sogar direkt gegen Schädlinge. Offenbar scheint eine hohe Diversität des Mikrobioms entscheidend für die Pflanzengesundheit zu sein. Diese Erkenntnisse werden bisher erst selten im Ackerbau eingesetzt.
RNA-Interferenz: Was kann sie im Pflanzenschutz leisten?
Bei dieser Art der Gentechnik soll der Vermehrungszyklus der Schädlinge an oder in der Nutzpflanze unterbrochen werden. Das Prinzip wurde erst in den 00er Jahren als Konzept für Pflanzenschutz erkannt und stammt aus der Natur. Die natürliche RNA-Interferenz führt dazu, dass die RNA eines Eindringlings in einer Zelle nicht mehr korrekt abgelesen oder blockiert wird. Die RNA-Technik bietet drei Ansätze, um diesen Mechanismus im Pflanzenschutz einzusetzen:
Sie kann einen vorhandenen Abwehrmechanismus in der Pflanze vorsorglich aktivieren, die Pflanze reagiert dann sofort und intensiver auf Schädlingsbefall.
Der zweite Ansatz besteht darin, dass die Pflanze während der Züchtung über gentechnische Methoden einer weit verbreiteten Viren-RNA ausgesetzt wird, und sie dadurch quasi trainiert wird. Diese Methode wird aktuell bereits bei vielen Nutzpflanzen getestet.
Der dritte Ansatz sieht vor, dass blockierende RNA-Abschnitte bei Schädlingsbefall auf den Acker gesprüht werden. Auch hier stehen erste Anwendungen vor der Markteinführung.
Welche Auswirkung die neue Technologie auf Nicht-Zielorganismen hat, ist noch nicht vollständig bekannt. Da RNA-Technologien im Vergleich zu chemischen Pestiziden empfindlicher zu handhaben sind, werden die Kosten der Verfahren vermutlich höher sein.
Vertical Farming: Pflanzenkulturhallen ersetzen die natürliche Umgebung
Pflanzen müssen nicht unbedingt unter freiem Himmel wachsen. Insbesondere Gemüse lässt sich sehr gut in Pflanzenkulturhallen anbauen. Diese neue Technologie (Vertical farming) funktioniert ganz anders als herkömmliche Gewächshäuser. Die Pflanzen wachsen in geschlossenen, fensterlosen Räumen unter computergesteuerten Bedingungen mit Kunstlicht und präziser Versorgung mit Nährstoffen und Wasser. Die Umgebung wird weitestgehend steril gehalten, das verhindert die Verbreitung von Schädlingen. Das soll den Pestizidverbrauch stark senken, allerdings ist die Umweltbilanz umstritten, weil Vertical-farming-Anlagen häufig einen hohen Energieverbrauch haben. Diese Form der künstlichen Landwirtschaft wird in zahlreichen Großstädten erprobt.
Daten-Analysen: Können mehr Daten den Pestizideinsatz verringern?
Bisher bewirtschaften Landwirte ihre Flächen häufig mit den gleichen Abläufen. Dabei haben beispielsweise die Lage des Feldes oder die Beschaffenheit des Bodens einen großen Einfluss auf das Pflanzenwachstum und auf die Belastung durch Schädlinge. Die flächendeckende Digitalisierung der Landwirtschaft soll dieses Problem lösen. Je mehr Informationen den Bauern über den Boden, die Pflanzen und die Witterung zur Verfügung stehen, desto bedarfsgerechter können sie arbeiten. Sensoren und Drohnen sammeln deshalb Daten zur Bodenfeuchte, zum Nährstoffgehalt im Boden und zur Bodenverdichtung; sie kontrollieren die Photosynthese der Pflanzen und erkennen mögliche Krankheiten.
Diese Daten zur Gesundheit der Pflanzen und des Bodens sollen individuell den punktgenauen Einsatz von Dünger und Pflanzenschutz ermöglichen. Kritiker der Idee beklagen, dass die Bauern hohe Investitionskosten für Technik leisten müssen. Zudem stammen die eingesetzten Programme zur Auswertung häufig von den großen Zulieferern der Landwirtschaft – sie könnten also indirekt vom Ergebnis der Datenauswertung profitieren.
Angewandte Schädlings-Forschung: Wer Schadinsekten besser versteht, kann ihre Vermehrung verhindern
Die Schulung von Landwirt:innen über den Einsatz von Dünger und Pestiziden gehört seit vielen Jahren zum Konzept von Bund und Ländern für eine nachhaltige Landwirtschaft. Mehr Kenntnisse über den Lebenszyklus von Schädlingen können deren Verbreitung unterbrechen. So verringern etwa veränderte Fruchtfolgen den Einsatz von Pestiziden. Das gilt beispielsweise für Pilze, die mit Ernteresten von einer Frucht auf die nächste übertragen werden können. Pilze, die Winterweizen befallen, bleiben oft auf einem Feld zurück. Wenn danach wieder Getreide angebaut wird, finden sie direkt einen neuen Wirt. Der Anbau von Erbsen könnte dagegen die Übertragung erschweren.
Interessant ist auch, wie Schädlinge überwintern. Apfel- und Birnenschorf überwintert teils im gefallenen Laub. Wenn die Blätter entsorgt oder mit Mikroorganismen behandelt werden, kann der Schädlingsbefall für das kommende Jahr reduziert werden. Es gibt Hunderte dieser Tipps, viele sind den Landwirt:innen auch bekannt. Je besser Schädlingszyklen erforscht und je breiter das Wissen an die Praktiker:innen im Feld gelangt, umso weniger Pestizide müssen ausgebracht werden.
Im Projekt„Countdown Natur“berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchenmit einem Abonnementunterstützen.