Sieben weitere verlorene Jahre
Die Einigung auf eine neue Gemeinsame Agrarpolitik ist ein Armutszeugnis für die EU und wird das Artensterben weiter befeuern. Ein Kommentar
Es war zu befürchten und zeichnete sich seit längerem ab. Die dringend benötigte ökologische Wende in der Agrarpolitik wird erneut nicht kommen. Die EU-Agrarreform, auf die sich Unterhändler von Mitgliedsstaaten, Parlament und Kommission nach langen, zähen Verhandlungen am Freitag geeinigt haben, verdient ihren Namen nicht. Der Kompromiss reformiert die bisherige Politik nicht, sondern er verschärft die Öko-Krise in der Landwirtschaft statt sie zu bekämpfen. Milliarden Steuergelder werden verschwendet.
Es ist keine Reform, sondern ein Weiter-so. Und weil es angesichts von Klimakrise und Artensterben von zentraler Bedeutung ist, wie die EU-Staaten in den kommenden sieben Jahren knapp 400 Milliarden Euro ausgeben, die in die Landwirtschaft fließen, ist der Beschluss vor allem eins: ein Dokument des Scheiterns, ein Armutszeugnis.
Wider besseren Wissens, gegen die glasklaren Erkenntnisse und Empfehlungen der Wissenschaft und im Widerspruch zu den vollmundigen eigenen Versprechungen haben die beteiligten Institutionen beschlossen, dem Artensterben weiterhin fast tatenlos zuzusehen.
Weiterhin wird die Intensivhaltung von Tieren massiv finanziell unterstützt – zulasten von Tierschutz und Klima. Geldtransfers in benachteiligte Gebiete unterliegen weiter keiner Kopplung an ökologische Verpflichtungen. Schlupflöcher im Katalog der Öko-Regeln sorgen dafür, dass viele Millionen Euro abfließen können, ohne spürbare Verbesserungen für die Umwelt zu bringen. Und vor allem: Es gibt viel zu geringe Vorgaben, der Natur über „unproduktive Flächen“ mehr Freiraum zu lassen.
Die Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Krieg gegen die Natur sind gescheitert. Der Krieg geht weiter, befeuert mit Milliardensummen der europäischen Steuerzahler.
Die nur ökonomisch unproduktiven Überlebens-Oasen für Insekten und Vögel in der Agrarwüste müssen nach einhelliger Überzeugung von Wissenschaftlern mindestens zehn Prozent der Fläche ausmachen – nicht einmal halb so viel sollen es werden.
Zwar sehen Experten Potenzial dafür, den leicht erweiterten Spielraum durch die neuen Regeln zu Schritten in die richtige Richtung zu nutzen. Das Problem ist nur: Das gesamte Prinzip hinter dieser GAP ist falsch. Weil es eben keinen Systemwechsel gegeben hat, bleiben Rücksicht auf unsere natürlichen Lebensgrundlagen oder gar deren Regeneration die Ausnahme. Naturverträgliche Bewirtschaftung ist in dieser GAP ein Sonderfall, sie müsste aber die Regel sein.
Die Verhandlungen über einen Waffenstillstand im „Krieg gegen die Natur“, den UN-Generalsekretär António Guterres anprangert: sie sind gescheitert. Der Krieg geht weiter, befeuert mit Milliardensummen der europäischen Steuerzahler. 54 Milliarden Euro Jahr für Jahr.
Maßlose Enttäuschung über die EU-Kommission
Sieben weitere verlorene Jahre, vor allem für viele Pflanzen- und Tierarten, die noch weiter in Richtung Aussterben gedrängt werden – bei der einen oder anderen Art zumindest regional sogar darüber hinaus. Verlorene Jahren für die geschundenen Opfer der Massentierhaltung, verlorene Jahre aber auch für eine Landwirtschaft, die es doch zum großen Teil auch selbst satt hat, als Biodiversitätsschänder, Tierquäler und Subventionsschmarotzer angesehen zu werden.
Diejenigen Landwirtinnen und Landwirte, die gegen alle Widerstände und Widrigkeiten versuchen, Natur und Klima auf ihren Flächen zu schützen, sind heute genauso einsam wie die Naturschützerinnen und Naturschützer, die immer verzweifelter gegen das Sterben auf dem Lande ankämpfen.
Dass die Agrarminister mehrheitlich abermals ihre Hörigkeit gegenüber einer verantwortungslosen, gierigen und kurzsichtigen Lobby unter Beweis stellen würden, war leider zu erwarten. Maßlos enttäuschend ist dagegen die Zustimmung der EU-Kommission zur neuen GAP. Dieselbe EU-Kommission, die jetzt klein bei gibt, wird nicht müde vor Pathos triefend die katastrophale Lage der Natur in Europa zu beklagen.
Als eine hohle Phrase erweist sich die großspurige Ankündigung, einer neuen Agrarpolitik nur dann zuzustimmen, wenn diese im Einklang mit dem „Green Deal“ stehe. Stattdessen akzeptiert die Kommission jetzt einen Frontalangriff auf die Kernziele dieser Vorhaben.
Wie sollen die in der Biodiversitäts – und Landwirtschaftsstrategie niedergelegten Ziele ernsthaft erreicht werden, wenn zugleich ein großer Anteil des europäischen Geldes nicht dazu genutzt wird, umzusteuern? Die Verabschiedung dieser neuen GAP unterminiert die Glaubwürdigkeit der EU-Kommission und der Staatengemeinschaft insgesamt. Die letzte Chance für Europas Natur besteht darin, dass die Abgeordneten des Europaparlaments diese Nicht-Reform ablehnen.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.