Ampel-Verhandlungen: Grüne bitten Umweltverbände um Rückendeckung, verhindern dann aber deren Treffen mit SPD
Nervosität in der Umweltpolitik: Grünen-Vorsitzende Habeck und Baerbock erzwingen Absage eines Treffens der SPD mit Nabu, BUND und WWF zum Stand der Koalitionsverhandlungen
Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck haben verhindert, dass die SPD die mehrere Millionen Mitglieder starken Umweltverbände über den Stand der Koalitionsverhandlungen informiert. Zuvor hatten die Grünen die Umweltorganisationen in einem Brief um Schützenhilfe bei den Verhandlungen gebeten. Dann aber musste die SPD ein Treffen mit den Chefs der großen Naturschutzverbände WWF, BUND, Nabu und anderen Umweltorganisationen auf Druck von Habeck und Baerbock in letzter Minute absagen.
Diese Abfuhr wollte Olaf Bandt nicht auf sich sitzen lassen. Der Vorsitzende des Umweltverbandes BUND musste seinem Unmut irgendwie Luft machen, wollte aber zugleich nicht die letzte Chance auf Einflussnahme verspielen. Und so gelang dem Verbandschef am vergangenen Mittwoch ein kleines Kunststück: Über Twitter tat er seine Verärgerung über die Informationsblockade der Koalitionsverhandler öffentlich kund, vermied aber zugleich sorgsam, ein gut gehütetes Geheimnis zu lüften.
„Zugang für Zivilgesellschaft steht auf Rot. Gespräche mit Verhandler*innen nicht möglich. Das ist kein Aufbruch in partizipative Gesellschaft – sondern Abschottung vor Anliegen von Zivilgesellschaft.“, schrieb Bandt etwas kryptisch und setzte hinzu: „So geht es nicht: @spdde, @Die_Gruenen @fdp".
Der Tweet liest sich wie eine weitere der gerade im Regierungsviertel verbreiteten Klagen unterschiedlicher Lobbygruppen über die große Vertraulichkeit, mit der SPD, Grüne und FDP über ein Regierungsbündnis verhandeln. Deshalb ging er mit nur 13 „likes“ auch im täglichen Twitter-Meer ohne große Beachtung unter.
Rückzieher auf Druck der Grünen
Doch dahinter steckt mehr: Denn eigentlich hatten die Chefs der großen deutschen Umweltverbände – unter anderem von BUND, NABU, WWF und des Dachverbandes DNR – gehofft, am vergangenen Mittwoch unter größter Geheimhaltung zum ersten Mal überhaupt zumindest in Ansätzen in den Stand der Verhandlungen eingeweiht zu werden.
Spät, aber aus Sicht der Umweltschützer nicht zu spät: Denn bis zum Dienstag hatten die beiden Arbeitsgruppen zu Klimapolitik und Naturschutz ihre Zwischenergebnisse zusammenfassen und an die Parteispitze geben sollen. Der Mittwoch war als verhandlungsfreier Tag für die interne Analyse des bisher Erreichten vorgesehen – ein guter Zeitpunkt also für eine Rückkopplung mit den Umweltverbänden.
„Informationen bekommen, Feedback geben und argumentativ aufmunitionieren für die nächste Runde“, nennt ein Verbandsvertreter das Ziel des Geheimtreffens, zu dem sich die Spitzen der deutschen Umwelt- und Naturschutzverbände mit dem Top-Verhandlern der SPD verabredet hatten.
Wie weit die SPD in Person der kommissarischen Umweltministerin Svenja Schulze, von Matthias Miersch als SPD-Fraktionsvize und SPD-Koordinator in der Klima-AG sowie der Leiterin der SPD-Seite bei den Verhandlungen über Umwelt- und Naturschutz, Umweltstaatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter, den Begriff der Vertraulichkeit in dem Gespräch interpretiert hätten und wie viele Informationen sie tatsächlich rausgerückt hätten, bleibt ein Geheimnis. Denn kaum hatte die Grünen-Spitze von den Plänen erfahren, funkte sie dazwischen.
Auf Druck der beiden Parteichefs Baerbock und Habeck mussten die SPD-Leute einen Rückzieher machen. Unter Hinweis auf die zwischen den Parteien vereinbarte Vertraulichkeit bliesen sie das Treffen kurzfristig ab.
Eigentlich heißt es von den Grünen, sie stünden den Umweltverbänden am nächsten. Darüber, warum ausgerechnet sie so deutlich auf der Absage des Treffens bestanden hatten, gibt es unterschiedliche Interpretationen unter den wenigen, die darüber Bescheid wissen. Sie seien eben verärgert darüber gewesen, dass sie die einzigen gewesen seien, die sich an die vereinbarte Vertraulichkeit hielten und hätten die Notbremse gezogen, selbst auf die Gefahr hin, dass dies in der Sache eher schade - so lautet die wohlwollende Erklärung.
In Brief baten Grünen Umweltverbände um Rückenwind
Andere verweisen darauf, dass Habeck, Baerbock und die übrigen Chef-Verhandler ohnehin bereits ziemlich verstimmt über die zunehmende Kritik aus den Umweltverbänden gewesen seien, die sich auf allen ihnen zur Verfügung stehenden Kanälen durchweg besorgt über das Ambitionsniveau der Grünen in wichtigen Naturschutzthemen geäußert hatten. Andeutungen aus deren Kreisen ließen einige bei den Grünen vermuten, dass die SPD im Hintergrund Zweifel an der Entschlossenheit der Grünen säe, weitreichende Naturschutzziele durchzusetzen. In dieser Gemengelage hätte ein Treffen zwischen SPD-Unterhändlern und Naturschützern den Eindruck einer Allianz gegen die Grünen verstärkt. Deshalb habe dem ein Riegel vorgeschoben werden müssen.
Allerdings hatten auch die Grünen zuvor ein ganz ähnliches Unterfangen gestartet und versucht, die potenziellen Koalitionspartner anzuschwärzen. In einem vertraulichen und demonstrativ freundschaftlich gehaltenen Brief an die Verbands-Vorsitzenden hatten sich Baerbock, Habeck und die anderen führenden Unterhändler der Grünen als die einzigen wahren Kämpfer für einen ambitionierten Naturschutz im Koalitionsvertrag präsentiert und um Hilfe gebeten.
Nur wenn die Umweltverbände sich stärker öffentlich einmischten, könne gegen SPD und FDP mehr erreicht werden, lautete der Tenor des in der vergangenen Woche bekanntgewordenen Briefs, der auch den RiffReportern vorliegt. „Es wäre dafür sehr hilfreich – und in Teilen seid ihr ja bereits dran – wenn Ihr darauf hinwirken könntet, dass SPD und FDP hier ambitionierte Vorschläge einbringen“, heißt es darin. „Wenn wir das weiter alleine tun müssen, erschwert das die Verhandlungen enorm“, heißt es in dem von Baerbock, Habeck, den beiden Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter sowie von Fraktionsvize Oliver Krischer und dem Europaabgeordneten Sven Giegold unterzeichneten Schreiben.
Kaum Informationen zum Stand der Ampel-Verhandlungen
Die Umweltverbände nahmen die Aufforderung zur Einmischung dankbar auf. Jedenfalls erschienen in der vergangenen Woche prompt in führenden Tageszeitungen Anzeigen, in denen die Verbände mehr Tempo und weitreichende Beschlüsse in Klima- und Naturschutzpolitik forderten. Auch der Aufforderung, Druck für „ambitionierte Vorschläge“ zu machen, wollten die Verbandsspitzen nachkommen – bei jenem Treffen mit der SPD, das dann ausgerechnet von den Grünen vereitelt wurde.
Wegen der Absage tappen die Umweltverbände nun weiter im Dunkeln, was den Stand der Verhandlungen angeht. Die bislang einzig belastbaren Aussagen zur Umweltpolitik stammen noch aus dem Sondierungspapier. Darin stehen zu Naturschutz, Biodiversität und Landwirtschaft ein paar sehr allgemeine Sätze am Ende des Klimakapitels. Der Passus ist ungefähr so lang wie die einleitenden Sätze zum darauf folgenden Kapitel „Respekt und Chancen in der modernen Arbeitswelt“.
An die große Glocke hängen wollen die Umweltverbände ihre Verärgerung indes nicht. Die Nerven lägen ohnehin blank, da sei weiterer öffentlicher Streit nicht sinnvoll, lautet quer durch die Reihen die Begründung. So bleibt es bei Andeutungen wie den Tweet des BUND-Chefs oder einzelnen Äußerungen anderer. „Wir werden zunehmend unruhig“, beschreibt etwa Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger die Gefühlslage der Naturschutzverbände.
„Nach dem Sondierungspapier scheint klar, was die Ampel sich bei der Schuldenbremse und in der Steuerpolitik vorstellt, es scheint auch klar, wohin es bei Mindestlohn und Rente geht – beim Klimaschutz ist vergleichsweise wenig klar, und beim Naturschutz, dem Schutz unserer Lebensgrundlagen ist gar nichts klar“, kritisiert er.
Einigung auf Rückenwind für Kunming
Einige Ergebnisse der Koalitionsgespräche zeichnen sich indes trotz der strikten Informationssperre ab. Nach Informationen der RiffReporter haben sich die Unterhändler und Unterhändlerinnen von SPD, Grünen und FDP in einigen wichtigen Punkten auf gemeinsame Positionen verständigt. So verabredeten die mutmaßlichen künftigen Koalitionäre, den bevorstehenden Schlussberatungen für ein globales Biodiversitätsabkommen ein starkes Mandat mit auf den Weg zu geben. „Viel mehr an verbalem Rückenwind geht nicht“, sagt ein Insider. Feierliche Bekenntnisse gab es allerdings auch fast von allen Seiten bei der gerade zu Ende gegangenen ersten Runde des Weltnaturschutz-Gipfels im chinesischen Kunming. Die entscheidende Frage nach der Finanzierung des künftigen Naturschutzes blieb in Kunming international offen – und sie bleibt, was den deutschen Anteil angeht, bislang auch bei den Koalitionsverhandlungen offen. Die Umweltverbände fordern eine Aufstockung der Hilfen für den Naturschutz in Entwicklungsländern von derzeit rund 800 Millionen Euro im Jahr auf über zwei Milliarden Euro.
Politische Sprengsätze noch nicht entschärft
Ob diese Summe –selbst, wenn sie am Ende der Verhandlungen von den Fachpolitikerinnen und -politikern Rückendeckung bekommt – auch das für alle finanzpolitischen Beschlüsse erforderliche Plazet der Top-Unterhändler um die drei Parteivorsitzenden erhalten wird, ist völlig offen.
Ebenfalls auf einem guten Weg ist den Informationen zufolge das Thema Munitionsräumung in Nord- und Ostsee. Man habe Einigkeit erzielt, dass die tickenden Zeitbomben aus den Weltkriegen entschärft werden müssen, heißt es übereinstimmend. Das könnte auf ein Milliarden-Konjunkturprogramm zur Minenräumung für die Küstenländer hinauslaufen.
Damit scheint am Ende einer turbulenten Woche immerhin ein Konflikt im Wortsinne entschärft zu sein – bei anderen politischen Sprengsätzen ist dies noch nicht der Fall.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.