"Stoppen wir den Krieg gegen die Natur"

Mit Appellen, das Artensterben zu stoppen, beginn in Kunming der Weltbiodiversitätsgipfel

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
6 Minuten
Blick in den riesigen Konferenzsaal in Kunming

Mit eindringlichen Warnungen vor einem beispiellosen und die Menschheit gefährdenden Verlust von Tier- und Pflanzenarten auf der Erde hat am Montag im chinesischen Kunming der 15. Weltbiodiversitätsgipfel (COP15) begonnen.

Die Chefin des UN-Umweltprogramms, Inger Andersen, forderte die Staatengemeinschaft auf, ihren „selbstmörderischen Krieg gegen die Natur“ zu beenden. Die chinesische Regierung sicherte zu, ihre Rolle als Gastgeberin zu nutzen, um „ambitionierte und realistische“ Ziele für den weltweiten Schutz der Natur zu erreichen.

Schon während der Eröffnungssitzung wurden aber Differenzen in der Frage sichtbar, wie weitgehend das Schutzniveau eines neuen weltweiten Rahmenabkommens zur Bewahrung der Natur sein soll, über das der Gipfel berät. Während auch Vertreter und Vertreterinnen der Europäischen Union und von Nichtregierungsorganisationen für weitgehende Ziele eintraten, betonten Redner der lateinamerikanischen Staaten, das neue Abkommen müsse vor allem „realistisch und ausgewogen“ sein.

China spricht von historischer Chance

Die bis Freitag laufende Konferenz in der südwestchinesischen Metropole Kunming bildet den ersten Teil des Weltbiodiversitätsgipfels – der Vertragsstaatenkonferenz der fast 200 Mitgliedstaaten der Konvention über biologische Vielfalt (CBD). Nur ein kleiner Teil der Delegierten ist vor Ort, die meisten Staaten sind virtuell vertreten. Ziel ist es, ein für alle Staaten verbindliches Abkommen über den Schutz und die nachhaltige Nutzung von Natur zu schließen.

Das Abkommen soll den Weg zum Ziel der Vereinten Nationen weisen, bis 2030 das Artensterben zu stoppen und bis zur Jahrhundertmitte ein harmonisches Miteinander von Zivilisationen und Natur zu ermöglichen. Die Schlussverhandlungen und die Verabschiedung des neuen Rahmenabkommens zum Schutz von Ökosystemen und Artenvielfalt ist erst im Frühjahr 2022 vorgesehen. Dann sollen sich Staats- und Regierungschefs sowie Delegierte aus aller Welt in physischer Präsenz in Kunming versammeln. 

China übernimmt das Ruder in der entscheidenden Phase. Die Verhandlungen sind wenige Monate vor dem geplanten Abschluss festgefahren. Vor allem um die Finanzierung ehrgeiziger weltweiter Umweltziele wird erbittert gerungen. Die Fronten verlaufen zwischen den armen südlichen Ländern – angeführt von Brasilien, Argentinien und Indonesien – und den reichen westlichen Industriestaaten.

Jede achte Tier- und Pflanzenart vom Aussterben bedroht

Mit der Übernahme der Gastgeberrolle am Montag spielt China nun eine entscheidende Rolle beim Versuch, die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Das Land ist wegen seiner Größe, seines Wachstums, seiner Wirtschaftskraft und seines Reichtums an Tier- und Pflanzenarten auch selbst ein zentraler Schauplatz im Kampf um die Bewahrung der lebendigen Vielfalt auf dem Planeten. 

Einer Analyse des Weltbiodiversitätsrates IPBES zufolge könnte in den nächsten Jahrzehnten jede achte Tier- oder Pflanzenart auf der Erde menschlichem Tun zum Opfer fallen.

Chinas Umweltminister Huang Runqiu sagte in seiner ersten Rede als Gipfel-Gastgeber, die Staatengemeinschaft habe in Kunming die historische Chance, den Schutz der biologischen Vielfalt auf ein neues Niveau zu hieven.

Vize-Ministerpräsident Han Zheng kündigte vor den Delegierten an, China werde den Schutz der biologischen Vielfalt in die Entwicklungspläne für aller Regionen und Sektoren integrieren und und eine nationale Strategie zum Erhalt der Arten erarbeiten. Vor allem aber weckte die Ankündigung des Außenministeriums in Peking große Erwartungen unter den Delegierten, dass sich Präsident Xi Jinping am Dienstag persönlich auf der Konferenz äußern wolle. Dies war bislang nicht geplant.

Im Vorfeld des Gipfels hatte es Spekulationen gegeben, die Führung in Peking könne durch eine substanzielle Finanzzusage zugunsten des Biodiversitätsschutzes in Entwicklungsländern die Blockade in den Verhandlungen auflösen wollen. 

Warnung vor dem "Öko-Selbstmord"

Die Chefin des UN-Umweltprogramms (UNEP, ) Inger Andersen, machte bei der Eröffnungssitzung im Namen der Vereinten Nationen deutlich, dass die Staatengemeinschaft bislang keine ausreichend starken Ziele formuliert habe, um die Aussterbewelle zu stoppen.“Wir brauchen Ambition und konkretes Handeln um den selbstmörderischen Krieg gegen die Natur zu stoppen“, sagte Andersen. 

Auch CBD-Generalsekretärin Elizabeth Maruma Mrema zog eine negative Zwischenbilanz nach fast dreijährigen Verhandlungen über das neue Naturschutzabkommen. Für die Staatengemeinschaft schlage jetzt die Stunde der Wahrheit, sagte sie. Nachdem die Welt bereits alle Ziele des Vorgängerabkommens verfehlt habe, sei man auch heute noch nicht in der Lage, die für die Menschheit überlebenswichtigen Ökosysteme der Erde ausreichend zu schützen.

CBD-Vizechef David Cooper zeigte sich alarmiert über die ausbleibenden Fortschritte in den Verhandlungen. Die Weltgemeinschaft müsse mehr mehr investieren, weitergehende Ziele setzen und schneller vorankommen, sagte er in einer Pressekonferenz vor Beginn des Gipfels. Beim virtuellen Ministertreffen am Dienstag und Mittwoch müssten die politisch Verantwortlichen den Unterhändlern „eine klare politische Linie“ zugunsten eines anspruchsvollen Rahmenabkommens vorgeben, forderte Cooper.

EU macht Andeutung bei besserer Finanzierung von Naturschutz

Während der Vertreter Argentiniens als Sprecher der lateinamerikanischen Staatengruppe mehrfach betonte, jedes Abkommen müsse sich daran messen lassen, dass es ausgewogen die wirtschaftlichen und ökologischen Interessen eines Landes berücksichtige, stellte sich der Vertreter Sloweniens für die Europäische Union deutlich hinter die Forderung nach einem ambitionierten Abkommen. Das bisherige Tempo sei nicht ausreichend, kritisierte er. Die EU warb unter anderem offensiv für die Annahme des Ziels, künftig 30 Prozent des Planeten unter Schutz zu stellen.

In der Schlüsselfrage der Finanzierung des Naturschutzes deutete der EU-Vertreter die Bereitschaft der europäischen Staaten zu mehr Hilfe an, ohne aber konkret zu werden. Nötig sei ein Mix aus Umwidmung oder Abschaffung naturschädlicher Subventionen und ein Aufstocken der Geldmittel aus privaten und öffentlichen Quellen, sagte der EU-Vertreter. Die EU sei „bereit zu weiteren Anstrengungen „gemeinsam ihre Anstrengungen, um die Mittel für die Unterstützung von Entwicklungsländern aufzustocken“, formulierte er etwas umständlich.

Schulze: Alle Politikbereiche gefragt

In Berlin sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze nötig sei eine „passende Finanzierung“, die weit über die Umweltministerien hinaus erfolgen müsse. „Denn der Schutz unserer Lebensgrundlagen betrifft auch die Agrarpolitik, die Entwicklungspolitik, die Haushalts- und Finanzpolitik und weitere Bereiche mehr.“

In einer gemeinsamen Erklärung forderten zahlreiche Umweltverbände die Bundesregierung auf, ihre Hilfen für den Naturschutz in Entwicklungsländern von derzeit rund 800 Millionen Euro im Jahr auf zwei Milliarden Euro aufzustocken. Industrienationen wie Deutschland hätten mit ihrem enormen ökologischen Fußabdruck eine besondere globale Verantwortung und müssten auch andere Länder beim Schutz der Artenvielfalt unterstützen, erklärten unter anderem der WWF Deutschland, der Nabu und Greenpeace. 

Die internationale Naturschutzinitiative Campaign for Nature, die sich vor allem für die Unterschutzstellung von 30 Prozent der Erde starkmacht, fordert von der neuen Bundesregierung sogar, dass sie die internationalen Mittel für Biodiversitätsschutz auf mindestens sechs Milliarden Euro jährlich aufstockt – das wäre eine Verzwölffachung der bisherigen Zusagen von 500 Millionen Euro pro Jahr.

Nach Schätzungen liegt der jährliche Finanzbedarf bei 700 Milliarden Euro. Im ersten Entwurf für das neue Abkommen sind jährliche Zahlungen aller Industriestaaten an die Entwicklungsländer für den Erhalt der Natur von 200 Milliarden Dollar vorgesehen. 


Korrekturhinweis: In einer früheren Fassung wurde versehentlich die Slowakei als gegenwärtige EU-Ratspräsidentschaft bezeichnet. Sie liegt aber derzeit bei Slowenien.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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