Als die Hoffnung schmolz
Warum 1989 ein Klimavertrag scheiterte
In den 1980er-Jahren sah es lange so aus, als könnte sich die Welt auf einen Klimavertrag einigen. Die Ölindustrie und die Republikaner ließen es geschehen, sagt ein umfassender und umstrittener Artikel aus dem New York Times Magazine. Warum ging es am Ende trotzdem schief?
In diesen Tagen wird oft daran erinnert, dass wir schon seit 30 Jahren wissen, wie gefährlich der Klimawandel ist. Am 23. Juni 1988 sagte der Klimaforscher James Hansen als Zeuge vor dem US-Kongress aus, dass die gestiegenen Temperaturen – die USA durchlebten damals eine Dürre – mit sehr großer Sicherheit auf den von der Menschheit gesteigerten Treibhauseffekt zurückzuführen seien. Diese Anhörung machte weltweit Eindruck. „Global Warming Has Begun, Expert Tells Senate”, lautete am nächsten Tag die Schlagzeile auf der Titelseite der New York Times. Doch die Politik hatte sich schon in den Jahren zuvor mit dem Klimawandel beschäftigt – nur auf eine Art, die weniger Aufmerksamkeit erregte. Das zeigt ein Beitrag, der am Sonntag im New York Times Magazine erschienen ist. Für den Artikel, der das ganze Magazin füllt, hat der Autor Nathaniel Rich anderthalb Jahre recherchiert. Und er wird von vielen Klimaschützern heftig kritisiert.
Die These des Beitrags: In den 1980er-Jahren waren die Regierungen vieler Staaten bereit, den Klimawandel ernst zu nehmen und ihre Emissionen zu reduzieren – sogar die USA. Im Präsidentschaftswahlkampf 1988 empfahl George Bush senior den „White House Effect“ als wirksames Mittel gegen den „Greenhouse Effect“. Am 7. November 1989 schließlich, zwei Tage vor dem Mauerfall in Berlin, wollten 67 Staaten im holländischen Seebad Noordwijk vereinbaren, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2000 nicht weiter zu erhöhen – oder ihn sogar zu senken.
Doch das Abkommen scheiterte, weil die USA nicht unterschreiben wollten. Am Ende bekannte sich die Runde nur dazu, die Emissionen so bald wie möglich zu stabilisieren. „Nach Ansicht vieler Industrieländer sollte diese Stabilisierung der CO2-Emissionen als ein erster Schritt spätestens im Jahr 2000 erreicht werden“, heißt es noch. Aber was von solchen Formulierungen zu halten ist, wissen wir inzwischen: Bis zum Ende des Jahrhunderts stieg der Ausstoß von Treibhausgasen weltweit um gut zehn Prozent – obwohl in den Staaten des ehemaligen Ostblocks die Industrie zusammenbrach.
Die Suche nach dem Schuldigen
Es ist nicht ganz klar, wem Nathaniel Rich die Schuld für das Scheitern in die Schuhe schiebt. Am ehesten dem damaligen Stabschef von George Bush, John Sununu, der empfohlen hatte, keine konkreten Reduktionsziele zu unterschreiben. Rich fragte Sununu direkt, ob er die Verantwortung dafür übernehme, die beste Chance auf einen Weltklimavertrag zunichte gemacht zu haben. Sununu antwortete, dass ein Vertrag ohnehin nicht möglich gewesen sei, weil alle Staats- und Regierungschefs nur den Anschein wahren wollten, sie würden das Klima schützen, ohne sich konkret zu verpflichten und viel Geld ausgeben zu müssen. Und er fügte hinzu: „Um ehrlich zu sein, stehen wir auch heute noch an diesem Punkt.“ In einem TV-Interview in PBS News Hour hat es Rich ohnehin als „zu enge Betrachtung“ bezeichnet, Sununu allein die Schuld zu geben.
Klar ist hingegen, dass Rich schon im Prolog seines Artikels zwei Akteure freispricht: Weder die Kohle- und Ölindustrie noch die republikanische Partei hätten in den 1980er-Jahren in der Weise gegen Klimaschutzmaßnahmen gearbeitet, wie sie es heute tun. Sie ließen den Klimaschützern praktisch freien Lauf. Die Kampagnen, in denen der Klimawandel geleugnet und vor politischem Handeln gewarnt wird, starteten erst Ende der 1980er-Jahre, so als seien auch die Leugner erst von James Hansen wachgerüttelt worden. Einem Abkommen habe fast nichts im Weg gestanden, schreibt Rich – „nichts außer uns selbst“. Er braucht also keinen Schuldigen für das Scheitern in Noordwijk, sondern verteilt die Schuld gleichmäßig auf alle. Die Menschheit tut sich mit einer angemessenen Antwort auf den Klimawandel schwer, die Herausforderung ist vielleicht sogar zu groß für uns.
Hier setzt die Kritik ein. Die Republikaner freizusprechen sei „bizarr“, schreibt Alex Steffen, ein Publizist und Berater aus San Francisco, in einem langen Twitter-Thread. Die Regierung Ronald Reagans in den 1980er-Jahren sei „die erbittertste Anti-Umwelt-Truppe im Weißen Haus gewesen, bis Donald Trump dort einzog“. Und die Kohlenstoff-Lobby habe sich im Laufe der Jahrzehnte gebildet und sei nicht erst in den 1990er-Jahren auf die Welt gekommen. Es sei daher „naiv“ zu glauben, dass es die damaligen Befürworter eines Klimavertrags hätten schaffen können, das Abkommen durchzusetzen. „Die frühe Klimabewegung ist nicht gestolpert, die wurde zur Seite geschubst“, lautet Steffens Fazit. Der Klimaforscher Peter Gleick verweist in der Huffington Post wiederum auf die Arbeit der Wissenschaftshistoriker Naomi Oreskes und Erik Conway, die den organisierten Widerstand gegen die Klimapolitik rekonstruiert haben. Der Journalist Robinson Meyer hat für das Magazin The Atlantic einige kritische Stimmen mit ähnlicher Stoßrichtung aus den Sozialwissenschaften zusammengetragen. Und das Onlineportal InsideClimate News hält in einem langen Twitter-Thread, der hier zusammengefasst ist, seine historische Sicht der von Rich entgegen. Das Pulitzer Center, das Richs Recherche gefördert hat, fasst in einem Überblick weitere Reaktionen zusammen.
So einhellig die Kritik aus dem Lager der Klimaschützer zu sein scheint, ist sie doch nicht einfach nachzuvollziehen. Denn es wird nicht wirklich belegt, dass die Kohle- und Ölindustrie und die republikanische Partei den Weltklimavertrag sabotierten:
- Rich umreißt in seinem Artikel selbst das ökologische Sündenregister Ronald Reagans: In seiner Amtszeit wurden Budget und Personal der Umweltbehörde EPA um ein Viertel gekürzt. Sein Innenminister hatte zuvor eine Kanzlei geleitet, deren Spezialität es war, öffentliches Land für die Kohle- und Ölförderung zu gewinnen. Das Geld für die Erforschung der Solarenergie wurde gekürzt. Und Reagan wollte sogar das Energieministerium auflösen, womit er aber scheiterte. Robinson Meyer schreibt in The Atlantic, dass mit Reagan mächtige Vertreter der Republikaner gegen Klimaschutz und für fossile Energie eintraten. Nathaniel Rich argumentiert hingegen, dass es gegen Reagans Pläne Widerstand innerhalb seiner Partei gab. Der Klimaschutz trennte die Demokraten und Republikaner damals nicht so deutlich wie heute.
- Gleich zu Beginn seines Twitter-Threads zeigt InsideClimate News eine Zeitleiste des Widerstands gegen den Klimaschutz, die aber für die fragliche Zeit in den 1980er-Jahren keine Aussagen macht. Die Redaktion verweist zudem auf ihre aufwändige und preisgekrönte Recherche, der zufolge die Ölindustrie – namentlich die Firma Exxon – schon Anfang der 1980er-Jahre wusste, dass CO2-Emissionen die Erderwärmung vorantreiben. In den folgenden Jahren hat das Unternehmen seine Forschung dazu heruntergefahren und schließlich eingestellt. Aber das ist noch keine Lobbyarbeit gegen einen Klimavertrag. In einem historischen Überblick nennt Neela Banerjee von InsideClimate News die Anhörung von James Hansen 1988 als Wendepunkt: „Der offene Ansatz des Unternehmens begann sich nach den grundlegenden Ereignissen von 1988 in Richtung Leugnung zu verschieben … Im Dezember 1988 … begannen … die Ölindustrie und die Energieversorger, sich auf ein neues Narrativ einzustellen: Es gibt Unsicherheit und daher keine Dringlichkeit, die gerade aufkommende Forschung zu beachten.“ Das scheint Richs Schlussfolgerung zu bestätigen, dass die Industrie spät aufwachte und erst Ende der 1980er-Jahre ihre Lobbyarbeit hochfuhr.
- Schließlich noch ein Blick in das Buch „Die Machiavellis der Wissenschaft“ (im Original: Merchants of Doubt“) von Naomi Oreskes und Erik Conway, das von einigen Kritikern des Artikels im New York Times Magazine erwähnt wird: Im Kapitel zur Leugnung des Klimawandels steht der Physiker William Nierenberg im Mittelpunkt. Er leitete Mitte der 1980er-Jahre eine Kommission der US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften zum Klimawandel. Im Bericht der Kommission wird die physikalische Grundlage des Klimawandels nicht in Zweifel gezogen, wohl aber die Brisanz der Erwärmung. Während man das noch als fachliche Auseinandersetzung unter Wissenschaftlern betrachten konnte, änderte sich das 1989, als Nierenberg in den Vorstand des George C. Marshall-Instituts berufen wurde. Das Institut hatte bis dahin vor allem versucht, Ronald Reagans Raketenabwehrsystems SDI zu unterstützen, und suchte sich am Ende des Kalten Kriegs einen neuen Gegner: die vermeintlichen Klima-Alarmisten. Die erste Strategie war, die Sonne für das Klima verantwortlich zu machen. Aber die weitere Diskussion liegt hinter dem Zeitabschnitt, über den Rich geschrieben hat.
Lehren aus der Geschichte
Wie lässt sich diese Situation aufklären? Nathaniel Rich legt nahe, dass aus der Kritik Einzelner an der Klimapolitik erst dann ein koordinierter Widerstand geworden sei, als James Hansen 1988 Schlagzeilen machte. In kurzer Zeit wurde dann die Regierung von George Bush, der sich nicht intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hat, davon überzeugt, keine verbindliche CO2-Reduktion zuzusagen. Aber wie und von wem? Das lässt Rich im Dunkeln. In einem Radiointerview der Reihe The Takeaway bezeichnet er den Klimawandel nicht als wissenschaftliches Thema oder politische Herausforderung, sondern als „menschliche Geschichte“: Wir hätten es uns selbst zuzuschreiben, dass wir durch unseren steigenden Wohlstand nun mit dem Problem der Erderwärmung konfrontiert sind, aber den Wohlstand nicht wieder aufgeben wollen.
Die Publizistin und Aktivistin Naomi Klein widerspricht und deutet in einem Essay eine alternative Erklärung an: In den 1980er-Jahren wurde mit Reagan und Thatcher die Politik der Deregulierung populär. Man vertraute es den Märkten an, für viele Probleme die günstigste Lösung zu finden. Klein bezeichnet diese Bewegung als Neoliberalismus oder einfach Kapitalismus. An ihr seien die Klimaschützer der 1980er-Jahre gescheitert – ein dummer historischer Zufall, ein „schlechtes Timing“, findet Klein. In diese Richtung argumentieren auch die Wissenschaftshistoriker Naomi Oreskes und Erik Conway: Die Klimawandelleugner werden nicht nur durch Geld von der Industrie angetrieben, sondern vor allem durch die politische Überzeugung, dass staatliche Regulierung schlecht sei. Diese Überzeugung ist nicht erst Ende der 1980er-Jahre entstanden, sondern reicht lange zurück.
In zwei Tweets taucht Conway daher Richs Geschichte in ein ganz anderes Licht: Es habe sich vor 1988 nicht um vereinzelte Kritik gehandelt, vielmehr wartete eine gut geölte Lobbymaschine auf ihren großen Einsatz. Die Klimawandelleugner hätten lange Zeit kaum Anlass gehabt, laut zu werden, schreibt Conway auf Twitter, denn Reagan habe ganz in ihrem Sinn gearbeitet und George Bush senior sei ein Mann der Ölindustrie gewesen. Ihr Ziel war außerdem nicht allein, Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern, sondern die Regulierung des Staates zurückzudrängen. Conway nennt es einen „Kreuzzug gegen Regulierung“. Der zentrale Fehler des Artikels im New York Times Magazine ist seiner Ansicht nach, diesen Zusammenhang übersehen zu haben.
Schon in früheren Kampagnen – etwa zum Zigarettenrauch, zum sauren Regen und zum Ozonloch – haben Agenturen und Think Tanks Strategien erprobt, um zu verhindern, dass aus wissenschaftlichen Erkenntnissen politische Schlüsse gezogen werden. Sie hatten auch Kontakte zu Wissenschaftlern, die sie für ihre Kampagnen ansprechen konnten. Das ist die Kernaussage des Buchs „Merchants of Doubt“. Diese Infrastruktur konnten sie bei Bedarf schnell aktivieren, argumentiert nun Conway. Der Vorwurf an Nathaniel Rich lautet also, dass er die Gegner des Klimaschutzes unterschätzt.
Ein anderer Vorwurf an Rich lautet: Wenn sich die Menschheit selbst im Weg stand, gibt es wohl keine Chance, die Erderwärmung nennenswert zu bremsen. Unsere Fähigkeiten reichen nicht aus, wir brauchen uns nicht mehr zu bemühen. So argumentiert zum Beispiel Naomi Klein: „Wenn unsere Unfähigkeit … in unsere kollektive DNA eingebrannt ist, können wir nicht auf eine Kehrtwende hoffen, um die wirklich katastrophale Erwärmung zu vermeiden. Falls wir Menschen aber in den 80ern kurz davor standen, uns selbst zu retten, und nur durch eine Flut an elitärem Freier-Markt-Fanatismus weggespült wurden … dann können wir etwas dagegen unternehmen.“ Doch hier versteht sie Rich falsch. Er scheint nicht Fatalismus zu predigen, sondern vielmehr den Blick von den Klimawandelleugnern lösen zu wollen. Nicht an ihnen sollten wir uns abarbeiten, sondern an uns selbst, damit wir doch noch die Kurve kriegen.
Wir schaffen das nur zusammen
Hunter Cutting von der Plattform Climate Nexus, ebenfalls ein Kritiker von Richs Artikel, zitiert einen Vortrag vom April 2018, in dem Rich sinngemäß sagt: Wir haben es 1989 nicht geschafft, obwohl das Thema damals noch nicht so stark polarisierte wie heute. Daher können die politischen Grabenkämpfe, die seit Ende der 1980er-Jahre bis heute andauern, nicht die ausbleibenden Fortschritte im Klimaschutz erklären. Statt die Klimawandelleugner zu bekämpfen, sollten wir uns vielmehr auf die Menschen konzentrieren. Umfragen zeigen eine Mehrheit für Klimaschutz – sogar in den USA. Damit könne man doch arbeiten. Cutting greift Rich in diesem Punkt an. Er hält die angebliche politische Zustimmung etwa zum Weltklimavertrag von Paris noch für keine solide Basis: „Die öffentliche Zustimmung in den USA mag eine Meile breit sein, aber sie ist nur einen Zoll tief.“
Wie vehement der Streit über den richtigen Umgang mit Klimawandelleugnern in den angelsächsischen Ländern geführt wird, zeigt auch eine Debatte aus der Psychologie: Dort wird seit einigen Jahren auf Anregung von Naomi Oreskes untersucht, ob Menschen ihre Meinung zum Klimawandel ändern, wenn man ihnen gegenüber betont, dass sich die Wissenschaftler in dieser Sache einig seien. Nach vielen Studien lieferten sich die Befürworter der Konsens-Botschaft und ihre Gegner im vergangenen Jahr in der Fachzeitschrift Environmental Communication einen direkten Schlagabtausch.
Der britische Kommunikationswissenschaftler Warren Pearce machte mit einigen Kollegen den Anfang und warf Naomi Oreskes und dem australischen Psychologen John Cook vor, mit der Konsens-Botschaft von den entscheidenden Fragen der Klimapolitik abzulenken. In der Politik könnten viele Gründe zum Handeln motivieren – ein Konsens unter den Wissenschaftlern gehöre nur selten dazu, schrieben Pearce & Co. Politische Willensbildung bedeute vielmehr, sich mit allen über die unterschiedlichen Ziele und Werte auszutauschen und auf einem legitimierten Weg zu einer Entscheidung zu gelangen. Cook konterte sogleich, dass man ohne die Konsens-Botschaft in der politischen Diskussion nicht weiterkomme. Das Wissen um die Einigkeit der Klimaforscher sei ein notwendiger „Trittstein“ auf dem Weg zu einer Diskussion über Klimaschutz.
Aus deutscher Sicht kann man sich wundern, dass dieser Streit in den USA im Sinn eines scharfen Entweder-oder geführt wird. Kann man nicht beides tun: den Kritikern Paroli bieten und die Befürworter zum gemeinsamen Handeln zu motivieren? Das KlimaSocial-Motto „Wir schaffen das nur zusammen“ zeigt, dass wir uns auf den zweiten Punkt konzentrieren möchten. Vielleicht fehlt uns in Deutschland aber auch die schlechte Erfahrung einer vollkommen polarisierten Debatte. Man stelle sich vor, die Kanzlerin würde den Klimawandel als chinesische Verschwörung bezeichnen und Unionsabgeordnete würden den Meeresspiegelanstieg mit den großen Mengen Sand erklären, die durch die Erosion in die Ozeane gelangen. Ein republikanischer Kongressabgeordneter hat das kürzlich getan. Dann würden wir vermutlich auch in Deutschland anders diskutieren.