Können Bäume sprechen? 400 Sensoren und ein Forscherteam hören ihnen zu
Messgeräte vom Boden bis zur Baumkrone: Mit viel Technik wollen Wissenschaftlerïnnen das Geheimnis des Waldes lüften – und Bäume resistenter gegen den Klimawandel machen.
Dieser Artikel ist Teil unserer Recherche-Serie „Countdown Earth: So lösen wir die Klima- und Artenkrise“.
Mit Bäumen sprechen? Manche Menschen wollen schon immer gewusst haben, dass das geht: Einfach im Wald spazieren gehen, Baum umarmen und auf eine Antwort hoffen. Blöd nur, wenn die niemals kommt.
Ein Forschungsteam der Universität Freiburg wählt deshalb einen anderen Ansatz. Die Wissenschaftlerïnnen sind überzeugt, dass sie Bäume tatsächlich zum „Sprechen“ bringen können – und zwar nicht durch freundliche Gesten, sondern mithilfe modernster Technik.
So wollen sie mehr über den Zustand eines Baumes erfahren: Wie alt und gesund ist er? Hat er genug Licht und Wasser? Kommt er mit dem Klimawandel klar? Oder nagt an ihm der Borkenkäfer?
In einem kommunalen Wald in Ettenheim, nahe der Stadt Freiburg, hat das Team mit den Experimenten begonnen. Schon von Weitem ist ein tiefes Brummen zu hören – das Geräusch eines Industrielüfters, der Computer in einem Baucontainer kühlt.
Daneben ein Metallturm, der über die Baumkronen hinausragt. Am Boden ein Meer aus Fähnchen, Kabeln und Kästchen, die mit der Erde verbunden sind. Und ein Stromkasten, mitten im Dickicht.
„Unsere größten Feinde sind Mäuse, weil sie alle Kabel anfressen“, sagt Ulrike Wallrabe. „Wir hatten aber auch schon Wildschweine, die Bodensensoren ausgraben.“ Wallrabe ist Professorin am Institut für Mikrosystemtechnik an der Uni Freiburg.
„Langzeit-EKG“ für Bäume
Zusammen mit der Umweltwissenschaftlerin Christiane Werner leitet sie das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Ecosense“, an dem Fachleute aus den Gebieten Hydrologie, Bodenphysik, Bodenkunde, Umweltmeteorologie, Ökosystemphysiologie und Mikrosystemtechnik beteiligt sind.
Das Ziel aller Beteiligten: Mithilfe exakter Daten den Wald „sprechen“ lassen und ihn dadurch besser verstehen – gewissermaßen ein „Langzeit-EKG für Buche, Fichte und Co.“, wie es die Badische Zeitung formuliert.
Zum Beispiel beim Thema Waldsterben. „Manchmal tritt ein solches Phänomen sehr lokal auf“, sagt Wallrabe. „Dem einen Baum geht’s gut, der andere direkt daneben ist tot.“ Warum das so ist, wisse man bis heute nicht. „Wir wollen solchen Prozessen auf den Grund gehen, indem wir Sensoren vom Boden bis in die Kronen verteilen.“
An manchen Baumstämmen haben die Forschenden deshalb eine Art Klappe installiert. Dahinter befindet sich ein Sensor, der den Wasserfluss im Stamm misst. Bei den Kisten am Boden handelt es sich um sogenannte „through-fall boxes“: Sie messen, wie viel Wasser durch die obere Bodenschicht sickert.
Das Besondere ist, dass die Forscherïnnen die dazu nötigen Geräte fast komplett selbst herstellen. „Es handelt sich hierbei um Prototypen, die bei Wind, Regen und Sturm funktionieren müssen“, sagt Julian Müller, der wissenschaftliche Koordinator des Projekts.
„Wir sind stolz, wenn sie funktionieren“, ergänzt er, „aber es ist natürlich schon einiges kaputtgegangen. Zwischen ‚Funktioniert im Labor‘ und ‚Funktioniert im Wald‘ liegt ein himmelweiter Unterschied.“
Ohne Blitzableiter geht’s nicht
Neben 400 Bodensensoren haben die Forschenden drei Messtürme im Wald installiert. Der höchste ist 45 Meter hoch und überragt das Blätterdach der Douglasien und Buchen, die ihn umgeben. Ein Aufstieg ist nur etwas für Schwindelfreie: Die blanken Metallgeländer wackeln; bei Wind schwankt die gesamte Konstruktion.
„Alles geprüft und von einer Fachfirma aufgebaut“, versichert Projektkoordinator Müller, während er mit geübten Schritten hinaufsteigt. „Wir haben sogar einen Blitzableiter.“
Von oben betrachtet erinnern die Konstruktionen an eine Wetterstation – zumindest aus Laien-Sicht. Doch hier wird nicht das Wetter vorhergesagt, sondern einem Baum auf den Zahn gefühlt. Zum Beispiel durch Kameras, die die Ausrichtung eines Blattes zu einer bestimmten Tageszeit messen.
Wenn man vom Turm über Kameras und Blätterdach hinweg schaut, bietet sich ein beeindruckender Ausblick bis in die Vogesen. Dafür aber hat das Ecosense-Team an diesem Tag keine Zeit. Stattdessen checkt Müller die unzähligen „Küvetten“, die hier hängen – winzige Messgeräte, die wie kleine Glocken aussehen und direkt auf den Blättern sitzen.
Sensoren der Marke Eigenbau – inklusive Isolierband
Die Küvetten werden mit Druckluft gefüllt, die über kleine Schläuche vom Boden aus nach oben geführt wird. Anschließend messen Sensoren das Gas, das sich in den kleinen Kapseln sammelt.
„So sehen wir zum Beispiel, ob das Blatt gerade Fotosynthese betreibt oder unter Stress steht“, erklärt Ulrike Wallrabe. Manche Küvetten sind mit Isolierband umwickelt, damit die Elektroteile nicht nass werden. „Schließlich wollen wir, dass die Sensoren ihre Werte bis nach Freiburg funken.“
Noch stehen die Experimente ganz am Anfang. Das Projekt läuft zunächst über vier Jahre und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 10,5 Millionen Euro gefördert.
Weil die Forschungsgruppe bislang nur wenige Daten ermittelt hat, beschränken sich ihre Publikationen zurzeit noch auf Beschreibungen des Projekts – und der Prototypen, die sie dafür gebaut haben.
So präsentieren Mitarbeitende des Fachgebiets Mikrosystemtechnik in der Fachzeitschrift „Technisches Messen“ etwa ihr „autonomes und drahtlos auslesbares Pulsamplituden-moduliertes Chlorophyll-Fluorimeter“. Mit diesem selbst gebauten Messgerät wollen sie die Fotosynthese-Aktivität der jeweiligen Pflanze untersuchen, was wiederum Aufschluss über deren Gesundheitszustand gibt.
Mobile Messgeräte für weltweite Einsätze sind das Ziel
„Der Klimawandel bedroht weltweit Waldökosysteme“, erklärt Co-Projektleiterin Christiane Werner in einer Pressemitteilung der Uni Freiburg. Trotzdem seien die Auswirkungen auf komplexe Waldökosysteme mit ihren vielfältigen Interaktionen zwischen Pflanzen, Boden und Atmosphäre bisher weitestgehend unerforscht. Dementsprechend schwer ließen sich Veränderungen vorhersagen.
Dank der Waldsensoren, so hoffen die Forschenden, könnte sich dies in Zukunft ändern. Das Ziel: leichte, transportable Systeme zu entwickeln, die an verschiedenen Orten der Welt installiert werden können.
Und auch wieder abgebaut: Wenn die Forschung in Ettenheim zu Ende geht, soll die gesamte Technik wieder aus dem Wald verschwinden. „Minimalinvasiv“ nennen sie das im Projektteam.
„Wir arbeiten an einem Computermodell, das die verschiedenen Prozesse abbildet“, sagt Ulrik Wallrabe. Hierbei soll auch künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen.
Durch die gesammelten Messdaten könnten irgendwann Vorhersagen möglich werden, wie sich die Gesundheit eines Waldes entwickelt – vorausgesetzt, alles klappt so, wie es sich das Ecosense-Team vorgestellt hat.
Bis der Wald wirklich „sprechen“ kann, ist noch einiges zu tun.
Dieser Beitrag wurde gefördert durch die Hering-Stiftung Natur und Mensch.