Jetzt soll KI den deutschen Wald retten. Wie soll das gehen?
Aus der Allianz von Techies und Ökos entstehen neue Forschungsprojekte, um unsere Wälder klimaresilient zu gestalten. Mit KI treiben Projekte wie „FutureForest“ den Klima- und Umweltschutz im Wald voran.
Dieser Artikel ist Teil unserer Recherche-Serie „Countdown Earth: So lösen wir die Kima- und Artenkrise“.
Wie wäre es, wenn man die Digitalisierung mit den Bemühungen verknüpfen würde, das Artensterben und die Klimakrise zu stoppen? Wenn man die oft beschworene transformative Kraft des Digitalen mit dem Transformationsbedarf zusammenbrächte, den eine Wende hin zu einem nachhaltigen Leben erfordert? Lässt sich die Kraft von „Künstlicher Intelligenz“, die als Speerspitze der Digitalisierung gilt, für diese Generationenaufgabe einspannen?
Es kommt auf einen Versuch an. Das Bundesumweltministerium fördert seit 2019 Projekte, die „die ökologischen Potenziale der KI-Technologien heben“ sollen. Zu den „zukunftsweisenden“ Vorzeigeprojekten gehört das 2022 gestartete „FutureForest“. Das Umweltministerium fördert diese „sehr wichtige innovative Anwendung“ mit 2,3 Millionen Euro. „Wie kann man den Wald am besten umbauen, damit er klimafit für die Zukunft ist?“, das sei die zentrale Frage, sagt Werner Rammer vom Lehrstuhl für Ökosystemdynamik und Waldmanagement in Gebirgslandschaften an der TU München.
Messen, beobachten, warnen
Gemeinsam mit Doktorand:innen und PostDocs baut Rammer das KI-Modell, das Waldbesitzer:innen und Waldbewirtschaftenden ganz praktisch bei der Bewirtschaftung unterstützen soll. Dazu soll es ihnen deutschlandweit vorhersagen, wie sich ihr Waldstück in den nächsten Jahren entwickeln könnte.
„Wir versuchen auch, Warnsignale für Trockenheit vom Satelliten aus frühzeitig zu erkennen“, sagt Rammer. Dazu haben Forschende der FU Berlin auf Testflächen Bäume mit Dendrometern versehen, die auch kleinste Veränderungen am Stammdurchmesser aufzeichnen. Diese Sensordaten werden dann mit den Daten von Erdbeobachtungssatelliten verknüpft, in der Hoffnung, mit KI-gestützter Bildanalyse frühe Anzeichen von bevorstehenden Trockenphasen oder Dürren zu erkennen.
Das so erstellte KI-Modell arbeitet auf einer Skala von 100 mal 100 Metern, und basiert auf Modellen, Fernerkundungs- und Messdaten. Es lernt dabei, das Verhalten eines komplexen Simulationsmodell der Waldentwicklung zu imitieren, womit die landesweite Vorhersage erst möglich wird. Warum die Prognosen nicht gleich mit einem größeren Modell erstellen? „Das KI-Modell ist um den Faktor 100 bis 1000 schneller“, sagt Rammer.
Es geht um die kleinen Krabbler
„Es geht um forstwirtschaftliche Indikatoren wie etwa eine Aussage dazu, wie viel Holz auf der Fläche zur Nutzung verfügbar sein wird“, erklärt Rammer. Aber auch die Erholungsfunktion des Waldes für den Menschen oder verschiedene Biodiversitätsindikatoren können dargestellt werden: Wie viele Baumarten gibt es auf der Fläche? Möglich sind auch abgeleitete Aussagen für verschiedene Tierarten zur Qualität der Habitate.
„Uns geht es nicht um die flauschigen, pelzigen Tiere“, versichert Rammer, „sondern um die kleinen Krabbler: Insekten, insbesondere Käfer, die eine wichtige Rolle für den Holzabbau spielen.“ Stichwort Borkenkäfer – sie sind nicht nur ein Politikum, sondern stehen bei der Modellierung von sogenannten biotischen Störungen im Wald im Mittelpunkt. Der Borkenkäfer sorgt gerne für Überraschungen – aber wie er die Fichtenwälder angreift, ist inzwischen gut erforscht. In den Simulationen werden die Borkenkäfer daher als Störung berücksichtigt. Genauso auch, dass Tiere Baumsamen verbreiten.
Nichts tun – oder umbauen?
Nach einem Sturm oder Waldbrand könnte FutureForest verschiedene Varianten vorschlagen: Eine Waldbesitzerin könnte sich dafür entscheiden, der Natur alles zu überlassen. Sie könnte sich dann ausrechnen lassen, wie sich seine Fläche unter zukünftigen klimatischen Bedingungen wahrscheinlich weiterentwickelt. Am anderen Ende der Skala stünde ein kompletter Waldumbau: „Das wäre der Fall, wenn man von einer Fichten-Monokultur auf einen artenreichen Laubmischwald gehen möchte“, sagt Rammer. „Entscheidend ist letztlich das, wie sich die Leute ihren Wald wünschen.“
Die Wissenschaftler versuchen, das gesamte Handlungsspektrum abzudecken, das in den Standardempfehlungen der Forstwissenschaft zu finden ist. Kontrolliertes Abbrennen etwa gehört als experimentelle Empfehlung für den virtuellen Förster nicht dazu. „Wir sind da nicht völlig frei, aus Gründen der Rechenpower können wir nicht so viele Varianten berechnen“, erklärt Rammer. Fünf bis zehn Varianten pro Standort seien das Ziel. Für diese wird dann die Entwicklung in neun verschiedenen Klimaszenarien prognostiziert: vom wahrscheinlich nicht erreichbaren 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens bis zum Extremszenario des „Weiter so“, das von einer Erderhitzung von mehr als vier Grad bis 2100 ausgeht.
„Bei den meisten Klimaszenarien schneidet der naturnahe Mischwald besonders gut ab“, sagt Rammer, nur bei den extremen Klimaentwicklungen sehe das anders aus. Dann kommt auch der Mischwald an seine Grenzen. Die Forschenden nutzen die besten verfügbaren Informationen aus der Fernerkundung, um die Baumarten zu bestimmen. Hinzu kommen aktuelle lokale Informationen über Böden und Wasserhaushalt. „Die Aussagen für einen bestimmten Standort sind nicht immer perfekt, aber sie geben einen guten Anhaltspunkt“, sagt Rammer. Die Nutzenden können die Daten mit ihrer lokalen Expertise weiter anreichern.
Darf die Fabrik da im Wald stehen?
„Was die Menschen mit ihrem Wald machen, hängt stark von ihren Zielen ab“, sagt Rammer. FutureForest könne sie zum Nachdenken anregen, welche Maßnahmen sinnvoll sein könnten. Beispielsweise könnten auch Naturschützende mit dem Modell errechnen, was passiert, wenn ein bestimmter Standort in einem brandenburgischen Kiefernwald in eine Gewerbefläche mit Autofabrik umgewandelt wird. „Die Datenverfügbarkeit ist für belastbare Prognosen das A und O“, sagt Rammer, aber die werde immer besser.
Mittelfristig soll FutureForest online in der Cloud verfügbar sein und noch mehr Daten umfassen. Rammer arbeitet bereits daran, auch Daten zur Strauchschicht in die Modelle zu integrieren, weil sie für die Biodiversität wichtig ist. „Das wird nicht mehr während der Projektlaufzeit klappen“, räumt Rammers ein, doch FutureForest soll nach seinem Förderende weiterentwickelt werden.
„Die Umwelt braucht keine KI“
„KI hat die große Stärke, dass sie aus der Vielzahl an Daten ein Muster finden kann, anhand dessen man weiterforschen kann“, sagt Stefan Ullrich von der Berliner KI-Ideenwerkstatt für Umweltschutz. Für ihn ist die zentrale Frage: „Tun wir es um des Waldes Willen oder für uns? Ist der Wald nicht letztlich für uns ein Wirtschaftsgut?“ Für den Informatiker ist klar: „Die Umwelt braucht keine KI, aber wir brauchen die Umwelt und nutzen KI, um sie für uns besser nutzbar zu machen.“
Trotz dieser grundsätzlichen Kritik sieht Ullrich auch positive Einsatzbeispiele. FutureForest sei „eines der wenigen Projekte, in denen deutlich wird, wie KI gemeinwohlorientiert und umweltgerecht zum Einsatz kommen kann“. Dennoch bleibe es menschenzentriert. Wichtig seien sie als „ein Vehikel, um Dinge diskutierbar zu machen“. Beispielsweise gebe es IT-Projekte, die Böden hörbar machen: „Man hört plötzlich den Unterschied zwischen einem toten Acker, der keinen Ton von sich gibt, und man hört in einem lebendigen Waldboden das Klopfen und Hämmern von kleinsten Lebewesen, die man gar nicht kennt.“
KI-Projekte könnten daher sinnvoll sein – „ aber nicht im Sinne eines Solutionismus“, stellt Stefan Ullrich klar, der am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft auch zu den Folgen informationstechnischer Systemen auf die Gesellschaft forscht. Vielmehr könnten sie helfen, richtige und wichtige Maßnahmen besser zu begründen.
Gieß den Kiez
Die KI-Ideenwerkstatt versucht daher, die Technik von FutureForest für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Dazu werden zivilgesellschaftliche Initiativen und Projekte vom Fachteam einer interessierten Öffentlichkeit vorgestellt. „Gieß den Kiez“ ist ein solches Projekt der Technologiestiftung Berlin und des CityLab. 800.000 Stadtbäume in Berlin sind im Baumkataster digital erfasst. Ullrich: „Wir nehmen die Sensorsysteme und Spezialanwendungen von einem Forschungsprojekt wie FutureForest und übertragen sie auf Civic-Tech-Projekte in einem lebensnahen Bereich, in diesem Fall auf Stadtbäume.“
Die Sensoren, darunter Dendrometer und Blatttemperatursensoren, messen nanometergenau Stressfaktoren wie Hitze und Trockenheit. Mit Hilfe der KI lassen sich daraus Vorhersagemodelle entwickeln. Das macht sich auch das vom Bundesumweltministerium geförderte Projekt QTrees zunutze: Nicht alle Bäume können und sollen mit Sensortechnik verkabelt werden. Um dennoch Vorhersagen für die Bewässerung treffen zu können, werden die Daten eines ähnlichen Baums auf ähnlichem Boden in einem ähnlichen Gebiet herangezogen. So lässt sich aus den Daten ableiten, wie viel Wasser der Baum vor der Haustür in den nächsten zwei Wochen braucht, wenn zum Beispiel eine Hitzewelle kommt.
Es hängt von der Community ab …
Das ist zumindest der Plan. Im Baumkataster sind die einzelnen Bäume mit ihrem Alter verzeichnet, zusammen mit den erhobenen Daten kann die genaue Wassermenge ermittelt werden, also ob eher 80 oder 120 Liter gebraucht werden, die die Stadtverwaltung auch vor Ort bringt. Wie viel genau ein Baum benötigt, hängt auch davon ab, wie stark angegriffen er ist, ob die Borke intakt oder der Boden verdichtet ist und von vielen weiteren Faktoren. „Ohne Fachwissen ist die umweltbewegte Person aufgeschmissen“, meint Ullrich, „in diesem Fall könnte ich den Bedarf auf der Karte sehen und mich auch als Laie darum kümmern.“
Heinrich Strößenreuther, der gerade den „Volksentscheid Baum“ für Berlin angestoßen hat, begrüßt alle Projekte, die Stadtbäumen helfen zu überleben: „Auch ‚Gieß den Kiez‘ ist wichtig, wesentlich ist, dass unser Stadtgrün in Zeiten der Klimakrise wetterfest gemacht wird.“ In Berlin soll ein „BaumGesetz“ dafür sorgen, die Stadt mit Hilfe von Stadtgrün, der Stärkung der Krisenkräfte und Hitzeplananpassungsmaßnahmen wetterfest zu machen.
Projekte für Techies und Ökos
Die KI-Ideenwerkstatt für Umweltschutz in Berlin versucht zwei Communities miteinander zu verbinden. „Sobald es um Daten und Sensorik geht, hat man die Techies. Sobald es um Bäume und Lebewesen geht, hat man die Ökos“, sagt Ullrich. „Unsere Schwierigkeit ist es, beide ein Stück weit zusammenzubringen.“ Schließlich gehe es nicht nur darum, die Sensoren zu verbessern, sondern auch darum, den Baum zu schützen. „Wir reden zwar miteinander, aber wirklich gemeinsam zu handeln – das ist noch ein dickes Brett.“
Hoffnungsvoll stimmt Ullrich s, dass die Projektleitung von „Gieß den Kiez“ bereits weitere Städte gewinnen konnte: „Leipzig gießt“ heißt es in Sachsen, auch in Magdeburg und Münster starten ähnliche Projekte. Sogar ein Einsatz in Barcelona ist nicht mehr fern, erste Gespräche wurden bereits geführt. Stefan Ullrich gehört auch zum Trägerkreis der Techie-Öko-Konferenz „Bits & Bäume“. Das Netzwerk von 13 Organisationen aus Umweltschutz, Digitalpolitik und Wissenschaft, hat jetzt einen Appell an die Ampel-Koalition gestartet.
Florian Kern, Forschungsfeldleiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), kritisiert, dass sich die Forschungsförderung zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit derzeit stark auf Effizienzpotenziale und digitale Lösungen zur Senkung des Ressourcenverbrauchs konzentriere. Dabei blieben Wechselwirkungen zwischen sozialen, technischen, wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten der Digitalisierung unterbelichtet. Voraussetzung für eine Förderung seien aber auch gute und originelle Ideen und Projektvorschläge, heißt es aus dem Bundesforschungsministerium. Neuen Allianzen von Ökos und Techies steht also nichts im Wege.
Dieser Beitrag wurde gefördert durch die Hering-Stiftung Natur und Mensch.