Schwund der Naturvielfalt: Immer mehr Baumarten sind vom Aussterben bedroht

Mehr als jede dritte Baumart droht auszusterben, warnt die Internationale Naturschutzunion IUCN bei der UN-Naturkonferenz COP16. Damit droht auch dem wichtigsten Verbündeten der Menschheit beim natürlichen Klimaschutz die Puste auszugehen.

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Ein Regenwald auf La Reunion im Indischen Ozean

Immer mehr Baumarten stehen vor dem Aussterben. Den wichtigsten Verbündeten der Menschheit beim natürlichen Klimaschutz geht die Puste aus: Die Übernutzung durch Abholzung, der Klimawandel und von Menschen eingeschleppte Konkurrenzarten bringen immer mehr Baumarten an den Rand des Aussterbens. Das ist das Ergebnis der ersten umfassenden Bewertung des weltweiten Erhaltungszustandes der Bäume durch die Internationale Naturschutzunion IUCN.

Laut der am Montag auf der UN-Naturkonferenz COP16 im kolumbianischen Cali veröffentlichten Aktualisierung der Roten Liste gefährdeter Arten durch das zwischenstaatliche Wissenschaftlergremium ist mehr als ein Drittel aller Baumarten der Erde inzwischen vom Aussterben bedroht.

Kein Land der Erde ist von der Artenkrise verschont

Von den insgesamt mehr als 47.000 untersuchten Baumarten gelten fast 16.500 und damit 38 Prozent als akut gefährdet. Damit machen Bäume mehr als ein Viertel aller Tier- und Pflanzenarten auf der Roten Liste aus. Die Zahl der vom Aussterben bedrohten Baumarten ist mehr als doppelt so hoch wie die der bedrohten Vögel, Säugetiere, Reptilien und Amphibien zusammen. Keine Erdregion ist von der Aussterbekrise der Bäume verschont: In 192 Ländern weltweit gelten Baumarten als gefährdet.

An der Untersuchung haben weltweit über 1.000 Baumexperten mitgearbeitet. Neben Abholzung und durch menschliche Einflüsse eingeschleppte Krankheiten und gebietsfremde Konkurrenzarten stellt auch der Klimawandel eine wachsende Bedrohung für die Baumartenvielfalt dar. Vor allem in den Tropen, aber nicht alleine dort, machen der steigende Meeresspiegel und häufigere und stärkere Stürme den Bäumen zunehmend zu schaffen. Die Krise der Bäume alarmiert die Experten auch deshalb, weil Bäume in den unterschiedlichen Ökosystemen auch eine zentrale Rolle für zahlreiche weitere Arten spielen, die auf sie als Lebensraum angewiesen sind.

kleine kugelförmige Pilze wachsen an einem umgefallenen Baumstamm
Unspektakulär spektakulär: Pilze sind ein wichtiger Bestandteil jedes Ökosystems. Mit der Bedrohung der Bäume geraten auch sie in Gefahr.

Die Rote Liste der IUCN sieht durch den Verlust der Baumartenvielfalt deshalb eine erhebliche Bedrohung für Tausende anderer Pflanzen, Pilze und Tiere. Besonders stark von der Artenkrise betroffen ist Südamerika, der Kontinent mit der größten Baumvielfalt. Hauptursachen für die Bedrohung sind dort die Rodung von Wäldern für Landwirtschaft und Viehzucht. Oft werden auf gerodeten Flächen Plantagen für die Erzeugung von Tiernahrung angelegt, die wiederum der Fleischerzeugung für den Export etwa nach Europa dient. Der ökologische Notstand in den Wäldern der Erde hat auch unmittelbare Auswirkungen auf Menschen.

Bäume helfen gegen Klimawandel, Hochwasser und produzieren saubere Luft zum Atmen

Bäume tragen wesentlich zu Kohlenstoff-, Wasser- und Nährstoffkreisläufen, der Bodenbildung und der Klimaregulierung bei. Sie sind deshalb sowohl für den Klima- und Hochwasserschutz als auch für die Lebensmittelproduktion unverzichtbar. Über 5.000 der bedrohten Baumarten werden zudem in verschiedenen Industriezweigen genutzt, etwa als Bauholz.

Mehr als 2.000 Arten finden Verwendung in der Herstellung von Arzneien, Nahrungsmitteln und als Brennstoff. Als Konsequenz aus ihrer Analyse fordern die IUCN-Experten, bestehende Wälder besser zu schützen und geschädigte Lebensräume durch Renaturierung wieder herzustellen. Außerdem gelte es, Saatgut in Samenbanken und botanischen Sammlungen zu bewahren, um sie für die spätere Ansiedlung in der Natur zu erhalten.

Abholzung nimmt trotz gegenteiliger Versprechen zu

Der Schutz der Baumvielfalt könnte daher auch einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der gesamten Artenvielfalt leisten, glaubt IUCN-Experte Jean-Christophe Vié. „Es gibt keine Ausrede, nicht zu handeln“, mahnt der Experte. Hoffnungsvolle Ansätze für einen besseren Waldschutz sieht er in Aufforstungsprogrammen, wie sie in vielen afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern stattfinden. Allerdings warnt der Botaniker vor einem Ansatz, der auf Masse statt Klasse setzt. Die Aufforstung finde vielerorts noch mit einer zu geringen Baumartenvielfalt statt. „Umso wichtiger ist es, die Wiederaufforstung zu diversifizieren und bedrohte Arten in diese Programme einzubeziehen“, betont Vié. Erst vor wenigen Tagen hatte eine weltweite Bestandsaufnahme ergeben, dass die Abholzung von Wäldern weltweit trotz gegenteiliger Ziele der Staatengemeinschaft zu- statt abnimmt.

Ungeachtet internationaler Zusagen zum Waldschutz hält der Raubbau an den Wäldern der Erde demnach unvermindert an. Allein im vergangenen Jahr wurden der Analyse zufolge fast 64.000 Quadratkilometer Wald gerodet oder gingen durch Brände verloren. Das entspricht der Größe Lettlands oder von mehr als neun Millionen Fußballfeldern.

Damit sind die Staaten der Erde weiter weit von ihrem Ziel entfernt, dem Raubbau an den Wäldern aus Gründen des Klima- und Naturschutzes bis 2030 ein Ende zu machen. Beim Weltklimagipfel COP26 hatten sich vor drei Jahren in Glasgow 145 Staaten dazu verpflichtet, den Verlust von Wäldern noch in diesem Jahrzehnt zu stoppen, die Renaturierung geschädigter Waldökosysteme zu beschleunigen und die Wälder der Erde wieder auf einen Wachstumspfad zu bringen.

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