Trotz Klimaschutzversprechen: Waldvernichtung nimmt weltweit zu

Beim Klimagipfel COP26 in Glasgow haben sich die Staaten der Erde zum Stopp der Entwaldung bis 2030 verpflichtet. Dieses Schlüsselziel für Klima- und Biodiversitätsschutz drohen sie zu verfehlen.

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Ein tropischer Regenwald

Ungeachtet internationaler Zusagen zum Waldschutz hält der Raubbau an den Wäldern der Erde unvermindert an.

Allein im vergangenen Jahr wurden nach einer am Dienstag veröffentlichten Analyse fast 64.000 Quadratkilometer Wald gerodet oder gingen durch Brände verloren. Das entspricht der Größe Lettlands oder von mehr als neun Millionen Fußballfeldern.

Staatengemeinschaft entfernt sich vom Klimaziel

Damit sind die Staaten der Erde weiter weit von ihrem Ziel entfernt, dem Raubbau an den Wäldern aus Gründen des Klima- und Naturschutzes bis 2030 ein Ende zu machen. Beim Weltklimagipfel COP26 hatten sich vor drei Jahren in Glasgow 145 Staaten dazu verpflichtet, den Verlust von Wäldern noch in diesem Jahrzehnt zu stoppen, die Renaturierung geschädigter Waldökosysteme zu beschleunigen und die Wälder der Erde wieder auf einen Wachstumspfad zu bringen. Statt sich diesem Ziel zu nähern, entfernt sich die Staatengemeinschaft nach der am Dienstag vorgelegten jährlichen Bestandsaufnahme der Allianz Climate Focus weiter davon: Seit Unterzeichnung der Glasgow-Erklärung habe die Entwaldung trotz einiger Erfolge beim Schutz des Amazonas-Regenwaldes sogar zugenommen, erklärte das Bündnis aus Forschungsorganisationen und Verbänden der Zivilgesellschaft.

Ökologischer Zustand der Wälder in Europa besonders schlecht

Dem Bericht zufolge fanden fast 96 Prozent der Entwaldung in tropischen Regionen statt, fast ein Drittel in Brasilien. Fortschritte beim Schutz beispielsweise des Amazonas-Regenwaldes in Brasilien wurden demnach durch starke Steigerungen der Rodungen in Bolivien und Indonesien zunichtegemacht. Auch in der Demokratischen Republik Kongo sei besonders viel Wald zerstört worden. Mit Ausnahme Ozeaniens hätten alle Weltregionen die Ziele Jahr verfehlt. Der ökologische Zustand der Wälder sei in Europa besonders schlecht.

Trotz einiger Fortschritte bleibt Brasilien damit Spitzenreiter beim Holzeinschlag. Erst vor kurzem hatte Präsident Ignacio Lula da Silva zudem angekündigt, den Bau der 900 Kilometer langen Amazonas-Fernstraße BR-319 fortzusetzen. Die Straße führt durch eines der am besten erhaltenen Waldgebiete im Amazonas, das riesige Mengen Kohlenstoff speichert.

Kiefernforst ohne weiteren Bewuchs
Monotonie in Reinform: Uniforme Kiefernwälder ohne Unterwuchs sind für die Biodiversität wertlos.

Ökologisch wertvollste Wälder besonders betroffen

Laut der Analyse fielen dabei ökologisch besonders wertvolle und kohlenstoffreiche tropische Primärwälder besonders stark den Kettensägen zum Opfer. Mit 3,7 Millionen Hektar macht die Abholzung in den bis zu ihrer Zerstörung weitgehend unberührten Primärwäldern mehr als die Hälfte des Waldverlustes im vergangenen Jahr aus.

Unter den abgeholzten Wäldern seien auch 14.000 Quadratkilometer Fläche, die als sogenannte Key Biodiversity Areas (KBAs) als zentral für den globalen Schutz der Biodiversität eingestuft seien. Insgesamt lag die weltweite Waldzerstörung um 45 Prozent über dem Wert, der erforderlich wäre, um die Entwaldung bis 2030 zu beenden. Den mit der Glasgow-Erklärung gemeinsam verabschiedeten Meilensteinen auf dem Weg zum Stopp des Waldverlustes zufolge hätte 2023 maximal knapp 44.000 Quadratkilometer Wald verloren gehen dürfen.

Brände immer bedeutender

Weltweit entwickeln sich Waldbrände zu einem immer größeren Problem. Viele würden absichtlich gelegt, um bewaldetes Land für den Anbau von Früchten zur Fleischproduktion zu gewinnen. Neben dem massiven Ausstoß von Treibhausgasen würden durch die Brände auch biodiversitätsreiche Wälder und Feuchtgebiete in einem dramatischen Ausmaß geschädigt, warnen die Autoren des Reports.

Zwischen 2001 und 2023 gingen demnach weltweit mehr als 138 Millionen Hektar Baumbestand durch Brände verloren - und fast ein Drittel dieser Fläche wurde zwischen 2019 und 2023 verbrannt.

Europa Schlusslicht bei Waldqualität

Nicht nur der Totalverlust von Wäldern durch Brände und Kahlschläge bereitet Wissenschaftlern und Klimaschützern Sorge. Auch die rasant voranschreitende Verschlechterung des ökologischen Zustandes der Wälder führe dazu, dass sie ihre Funktionen im Klima- und Biodiversitätsschutz immer weniger erfüllen können, warnen die Expertinnen und Experten.

„Das schiere Ausmaß der weltweiten Walddegradation ist fast zu groß, um es zu begreifen“, sagt Franziska Haupt, Co-Autorin des Reports. „Mindestens 62,6 Millionen Hektar Wald – entsprechend der doppelten Größe Deutschlands – weltweit fielen 2022 in eine niedrigere Integritätskategorie“. Gemäßigte und boreale Wälder, die sich hauptsächlich in nördlichen und industrialisierten Ländern befinden, sind am stärksten von der Verschlechterung betroffen.

Die gemäßigten Wälder Europas gehören zu den Schlusslichtern: Sie lagen zu 98 Prozent hinter dem Ziel zurück, die Walddegradation bis 2030 zu stoppen.

Nachfrage aus Industrieländern treibt Waldzerstörung

Als Ursachen für den anhaltenden Waldverlust nennt der Report vor allem eine steigende globale Nachfrage nach landwirtschaftlichen Gütern, Mineralien und Holzprodukte. Um den Trend der Waldzerstörung zu stoppen, müsse es eine bessere internationale Finanzierung von Waldschutz, eine Reduzierung der Nachfrage nach Rohstoffen aus den USA, Europa und China sowie mehr Landrechte für indigene Völker geben, fordert der Bericht. „Wir sind nur noch sechs Jahre von einer kritischen globalen Frist zur Beendigung der Entwaldung entfernt, und Wälder werden weiterhin in alarmierendem Tempo abgeholzt, degradiert und in Brand gesetzt“, bilanziert der Hauptautor der Untersuchung, Ivan Palmegiani. Dennoch sei das Erreichen der Ziele noch möglich, wenn alle Länder es zu einer Priorität erklären würden. Besonders Industrieländer müssten dazu ihren übermäßigen Konsum überdenken und waldreiche Länder des Südens bei einer nachhaltigen Entwicklung unterstützen.

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