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Bedmap3: Neue Antarktis-Karte enthüllt bedrohliche Erkenntnisse für den Meeresspiegel
Ein Mont Blanc aus Eis
Bedmap3, die neue Karte der Antarktis, fördert frostige Rekorde zutage – und birgt eine bedrohliche Nachricht in der Klimakrise

4.757 Meter – so hoch erhebt sich der Eisschild über dem Festland der Antarktis an seiner dicksten Stelle. Das ist fast so hoch wie Europas höchster Berg, der Mont Blanc – und nur eine der vielen Erkenntnisse, die Forscher aus der bislang genausten Kartierung der Eismassen des siebten Kontinents gewonnen haben. Vor allem aber soll die Karte ermöglichen, noch besser abzuschätzen, wie sich die Klimaerwärmung auf den Meeresspiegel – und damit auch auf unsere Küsten – auswirken wird. Beteiligt an dieser internationalen Arbeit, die Vermessungen aus sechs Jahrzehnten vereint, war auch ein Team des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven.
Mit welchen Methoden wurde das Eis vermessen?
Angefangen hat alles vor langer Zeit, als britische Forscher noch mit Hundeschlitten unterwegs waren, um die Antarktis zu vermessen. „Das gibt es seit Jahrzehnten nicht mehr, weil das Verbringen von Tieren in das Schutzgebiet Antarktis verboten ist“, sagt Olaf Eisen, Glaziologe am AWI und Professor an der Universität Bremen. „Aber es gibt die Messungen, und sie wurden in die Sammlung mit aufgenommen.“
Der Standard der Antarktis-Kartierung sind seit gut 50 Jahren flugzeuggestützte Messungen mit Radarsystemen. „Radar hat den Vorteil, dass es gut durch Eis dringt“, erläutert Eisen. Eine Antenne am Flugzeug sendet ein Signal aus. Dann kehrt ein Teilsignal von dort zurück, wo es auf die Eisoberfläche trifft, und weiteres Teilsignal von der Eisunterseite, dem Übergang zum festen Untergrund. Aus der unterschiedlichen Laufzeit der Teilsignale lässt sich errechnen, wie dick das Eis ist. Weil diese Messung etwa alle 50 Meter erfolgt, ergibt sich ein sehr genaues Bild entlang der Flugroute.

Für das Schelfeis – den Teil des Eispanzers, der aufs Meer hinausragt – nutzen die Flugzeuge gravimetrische Methoden. Sie messen die Anziehungskraft der Erde unter sich. Weil Eis eine geringere Dichte hat als flüssiges Wasser, erfasst das Gravimeter winzige Unterschiede zum offenen Wasser, aus denen sich neben der Dicke der Eisschicht auch die Tiefe der darunter liegenden Wasserschicht errechnen lässt. Den Rekord hält der Byrd-Gletscher: Er ist so gewaltig, dass sein Eis bis zu 2.973 Meter tief unter den Meeresspiegel ragt.
Welche neuen Erkenntnisse liefert die Karte?
Nach 2001 und 2013 haben Forscher in diesem Jahr mit Bedmap3 die dritte Generation ihrer Karte vorgestellt und damit „die letzten großen Lücken geschlossen“, wie Eisen betont. Sie enthält 82 Millionen Messpunkte. Für fast jede Stelle der Antarktis gibt es nun einen Messpunkt im Umkreis von zehn bis zwanzig Kilometern. „Dort, wo die Fluglinien so weit auseinander sind, haben wir die Bereiche dazwischen errechnet“, erklärt Eisen. Das einfachste Modell bildet schlicht Mittelwerte zwischen den benachbarten Punkten. „Aber von Satellitendaten kennen wir flächendeckend die Oberflächengeschwindigkeiten, mit denen das Eis fließt“, sagt der Forscher. In einem zweiten Modell wurde das berücksichtigt, denn je nach Fließgeschwindigkeit wird das Eis dicker oder dünner.
„Erstaunlich war für uns, dass die größte Eismächtigkeit und der tiefste Punkt der Antarktis woanders liegen, als bislang gedacht“, erzählt Eisen. Das eingangs erwähnte dickste Eis befindet sich sogar über einem zuvor unbekannten Canyon, also einer Schlucht. „Der Canyon könnte relevant werden, wenn sich dort infolge der Erderwärmung das Eis zurückziehen sollte“, warnt der Forscher. „Das hätte große Bedeutung für die Stabilität des Eispanzers.“ Allerdings werde das an dieser Stelle wohl erst in einigen Tausend Jahren geschehen.

Früher relevant wird wohl die Entdeckung, dass der Eisschild mit 27,17 Millionen Kubikkilometern mächtiger und mit durchschnittlich 1.948 Metern dicker ist als angenommen. Das ist dort problematisch, wo das Eis vom Untergrund herunter aufs Meer geflossen ist und dort das Schelfeis bildet. Denn dort ist es von unten in Kontakt mit einem Ozean, der immer wärmer wird und das Eis zum Schmelzen bringt. „Bedmap3 zeigt uns, dass die Antarktis etwas anfälliger ist, als wir bisher dachten“, berichtet Eisen.
Was sagt die Karte über den Meeresspiegelanstieg aus?
Würde der gesamte Eisschild abschmelzen, stiege der Meeresspiegel weltweit im Mittel um 58 Meter an. Das klingt verrückt, aber historische Daten zeigen, dass zum Ende der letzten Eiszeit vor wenigen Millionen Jahren die weltweiten Gletscher so stark abschmolzen, dass der Meeresspiegel gut 20 Meter höher lag als heute.
„Der Effekt der Antarktis ist größer als der von Grönland, aber der Eisschild ist auch träger“, sagt Eisen. Darum modellieren die Forscher, welcher Meeresspiegelanstieg bis zum Jahr 2500 zu erwarten wäre. „Wenn wir uns jetzt ganz stark beim Klimaschutz anstrengen, dann können wir den Anstieg aus der Antarktis auf einige Dezimeter begrenzen“, berichtet der Forscher. „Wenn wir aber auf dem aktuellen Entwicklungspfad fortfahren, könnten wir bis zum Jahr 2300 die Westantarktis verlieren. Das sind 3,5 Meter Anstieg.“ Danach werde es sicher auch in der Ostantarktis Bereiche geben, die unter dem Meeresspiegel liegen und damit weiteren Eisverlust und Meeresspiegelanstieg. Hinzu kommen etwa 2,5 Meter durch die globale Gletscherschmelze.
Das fatale daran: Die CO2-Emissionen in den nächsten Jahrzehnten zementieren das Ausmaß des Meeresspiegelanstiegs für Jahrhunderte – er ist nicht ohne weiteres umkehrbar, selbst wenn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zum Ende des Jahrhunderts wieder zurückgeht. „Wir wollen mit unserer Karte dazu beitragen, die Frage zu beantworten: Wie viel Meeresspiegelanstieg müssen wir wann erwarten“, sagt Eisen. Die Gesellschaft müsse diskutieren, bis zu welchem Anstieg der Nordsee wir uns anpassen können und ab wann es zu teuer oder technisch zu anspruchsvoll wird. Letztlich laufe es unvermeidlich auf eine Frage hinaus: „Wann muss man Küstenregionen wieder freigeben, weil man sie nicht mehr schützen kann?“