Endlosdrama um UN-Gipfel zum Artenschwund: Erneute Verschiebung, neuer Ort

Eigentlich wollten sich die Staaten der Erde schon 2020 gemeinsame Ziele im Naturschutz für das Jahrzehnt setzen. Nun wird der große Umweltgipfel erneut verschoben, China muss nun die Gastgeberrolle wohl aufgeben. Umweltministerin Steffi Lemke bringt Kanada ins Gespräch.

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Brennender Wald in Brasilien.

Erneuter Rückschlag für die globale Umweltpolitik: Der für den Sommer 2022 geplante UN-Weltnaturgipfel wird erneut verschoben. Das bestätigte die Exekutivsekretärin der Konvention, Elizabeth Mrema, auf Anfrage von RiffReporter am Dienstag bei einer Biodiversitätskonferenz des Bundesentwicklungsministeriums in Berlin.

„Der Termin im August ist vom Tisch“, sagte Mrema, die als CBD-Exekutivsekretärin die oberste Beauftragte der Vereinten Nationen für die Konferenz ist. Erstmals nannte Mrema auch die Möglichkeit, dass der bereits viermal verschobene Gipfel außerhalb Chinas stattfinden könnte. Zur Diskussion stehe jetzt ein Termin Anfang Dezember. Eine Entscheidung solle wohl in der kommenden Woche fallen. „Die Welt muss wissen, wo die Konferenz stattfindet“. sagte Mrema.

Umweltministerin Lemke: Kanada als Austragungsort eine gute Möglichkeit

Bundesumweltministerin Lemke (Grüne) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) beharrten im Gespräch mit RiffReporter auf einem Termin noch 2022: „Wir können uns weitere Verzögerungen nicht leisten“, sagte Schulze. Lemke betonte, seit dem ursprünglich vorgesehenen Termin im Herbst 2020 seien bereits weitere Arten ausgestorben. „Der fortschreitende Verlust der globalen Biodiversität macht schnelles Handeln erforderlich“, sagte die Grünen-Politikerin. Sie setze sich deshalb gemeinsam mit den Partnern in der EU und weltweit dafür ein, dass der Vertragsstaatengipfel „unbedingt in diesem Jahr“ stattfinde.

„Die Weltnaturkonferenz kann unserer Auffassung nach unter Chinas Präsidentschaft auch an anderen Orten stattfinden“, sagte Lemke. Der Sekretariatssitz Kanada wäre die erste Alternative, wenn die chinesische Präsidentschaft die Konferenz nicht im eigenen Land ausrichten könne. „Kanada halte ich für eine gute Möglichkeit“, sagte Lemke.

Mit der Verschiebung gerät der Zeitplan für die internationale Umweltpolitik erneut durcheinander. Bereits 2020 und 2021 sind mehrere Anläufe, den großen UN-Biodiversitätsgipfel in China stattfinden zu lassen, gescheitert. Bei der Zusammenkunft sollen globale Ziele für den Naturschutz bis 2030 verhandelt und beschlossen werden. Naturschutzverbände und viele Regierungen sehen bereits jetzt massiven Schaden durch die Verschiebungen: Je später ein Rahmenabkommen verabschiedet wird, desto kürzer wird die Zeit zu seiner effektiven Umsetzung.

Grund für die neuerliche Verschiebung sind Unstimmigkeiten zwischen den Vereinten Nationen und China, das Gastgeberland für den Gipfel sein sollte. Die Regierung in Peking will den Gipfel weiter in der dafür vorgesehenen Stadt Kunming ausrichten, sieht sich nach Angaben aus Verhandlungskreisen aber aufgrund immer neuer Ausbrüche des Coronavirus außerstande, eine Durchführung in diesem Jahr zu garantieren. Viele Staaten verlieren nun die Geduld und wollen einen alternativen Ort durchsetzen.

Neben Montreal als Sitz der Konvention sind als Alternativen zu Kunming auch Nairobi und die UN-Stadt Bonn in der Diskussion.

Bei dem Treffen hochrangiger internationaler Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen, Umweltorganisationen und Vereinten Nationen in Berlin betonten Lemke und Schulze (SPD) auch die Bereitschaft, den deutschen Beitrag zur Finanzierung des internationalen Naturschutzes weiter zu erhöhen. Konkrete Summen wurden nicht genannt. Schon jetzt ist Deutschland einer der weltweit größten Finanziers des internationalen Biodiversitätsschutzes. Auch die G7-Umweltminister hatten sich vor kurzem auf Initiative Lemkes – die derzeit turnusmäßig den Vorsitz führt – auf eine Steigerung ihres Beitrags verständigt.

Mrema, eine schwarze Frau, auf einem Panel des World Economic Forum 2022
Elizabeth Maruma Mrema, Exekutivsekretärin der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen, beim World Economic Forum 2022.

Der Schwund der natürlichen Vielfalt an Arten und Lebensräumen ist neben der Erderwärmung die zweite große Umweltkrise unserer Zeit. Mit der Biodiversität schwindet auch die Fruchtbarkeit von Böden, die Versorgung mit sauberem Wasser, die Natur als Apotheke der Menschheit. Und wie bei der Klimakrise geloben die Staaten der Erde, dieser Umweltkrise entgegenzuwirken. Die Vereinten Nationen wollen die Regierungen auf ambitionierte und weltweit gültige Ziele für das Jahrzehnt bis 2030 einschwören, vergleichbar dem Ziel der Klimapolitik, die Erderwärmung unter 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu halten.

Doch für das Jahrzehnt 2020 bis 2030 ist nun durch die Verschiebungen bereits wertvolle Zeit verlorengegangen. Hauptgrund war die Corona-Pandamie. Das Gastgeberland China war zwar ambitioniert genug, trotz der eigenen NoCovid-Politik die Winter-Olympiade mit einem strengen Schutzkonzept auszurichten. Für den offenkundig weniger prestigeträchtigen UN-Gipfel reichten die Ambitionen bisher nicht.

Je nach Zählweise kam es seit Anfang 2020 zu vier oder fünf Verschiebungen. Am ursprünglich geplanten Konferenzort Kunming fand im Herbst 2021 nur eine Auftaktzeremonie statt, mehr Fassade als Substanz. Ein ähnliches Drama und endlose Verschiebungen wären bei UN-Klimagipfeln undenkbar.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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