Verhandlungen über neues Weltnaturabkommen: Holpriger Weg nach Kunming
Auch ein Verhandlungsmarathon bringt kaum Fortschritte für das neue Weltbiodiversitätsabkommen
Auch in mehr als zweiwöchigen Verhandlungen ist es den Vertretern aus fast 190 Staaten nicht gelungen, den Weg für ein ambitioniertes Abkommen zum Schutz der Natur auf der Erde zu ebnen. Bei den Vorverhandlungen für das neue Weltnaturabkommen konnten die Regierungsdelegationen in Genf in keinem der mehr als 20 in einem Entwurf präsentierten Ziele eine abschließende Einigung erreichen. Im Gegenteil: In der für einen Erfolg des Abkommens als entscheidend angesehenen Frage der Finanzierung des Biodiversitätsschutzes in den Entwicklungsländern eskaliert der Streit. Eine weitere einwöchige Verhandlungsrunde im Juni soll nun entscheidende Fortschritte bringen, um ein Abkommen noch in diesem Jahr möglich zu machen.
„Paris-Moment“ nur mit viel mehr politischem Druck zu erreichen
Zwar erzielten die Verhandlungsdelegationen der fast 200 Mitgliedstaaten der Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) in den ersten persönlichen Verhandlungen seit zwei Jahren in einigen Bereichen Fortschritte und billigten im Grundsatz das Gerüst für ein Weltnaturabkommen.
Keine der zentralen inhaltlichen Streitfragen konnte aber abschließend gelöst werden: Im Entwurf für den Vertragstext bleiben praktisch alle umstrittenen Punkte in Klammern, also ungeeint – viele Regierungen versuchten, durch das Hineinverhandeln zusätzlicher Formulierungen Abschwächungen zu erreichen oder sich Hintertüren zu öffnen. Damit bleibt ungewiss, ob sich die Staatengemeinschaft wie geplant in diesem Jahr auf ein ausreichend ambitioniertes Abkommen verständigen kann, mit dem das Artensterben und der Verlust von Ökosystemen bis zum Jahr 2030 gestoppt werden.
Nach den 15 Verhandlungstagen und -nächten in Genf wird indes immer deutlicher, dass es ein analog zur Klimakrise dringend notwendiges „Paris-Abkommen für die Natur“ nur mit sehr viel neuem politischen Druck geben kann. Und es zeigt sich, dass die von vielen im Naturschutz als nötig angesehenen Verschärfungen bei Zielen und in den Umsetzungsmechanismen gegenüber dem vorliegenden ersten Entwurf kaum noch kommen werden.
„Wahrscheinlich wird es nicht besser als der erste Entwurf“, sagt auch Biodiversitätsforscher Axel Paulsch, der die Verhandlungen als Beobachter vor Ort verfolgt. „Es geht eher darum, Versuche der Abschwächung abzuwehren.“
30-Prozent-Naturschutzziel wieder unter Beschuss
Selbst das eigentlich bereits als konsensfähig erachtete Ziel, künftig 30 Prozent der Land- und Meeresfläche der Erde unter wirksamen Schutz zu stellen, konnte trotz weiterer Fürsprecher am Ende nicht als geeint entklammert werden. Wie für dieses Ziel gelang es auch für andere Ziele nicht, sich auf verbindliche Vorgaben zur Umsetzung und zur Erfolgskontrolle zu verständigen – dazu zählen Indikatoren und die Festlegung auf Berichtspflichten. Diese eher technischen Aspekte werden als entscheidend angesehen, um ein Erreichen der Ziele sicherzustellen. Beim Vorgängerabkommen führte auch der Verzicht auf verbindliche Umsetzungs- und Konrollmodalitäten dazu, dass alle Ziele verfehlt wurden.
Entwicklungsländer legen immense Geldforderungen vor
Einige zentrale Streitpunkte haben sich während der 15 Verhandlungstage sogar weiter zugespitzt oder sind offen zu Tage getreten. Das gilt vor allen für den Streit ums Geld. Die Entwicklungsländer machten zum Abschluss ihre Zustimmung zu einem Abkommen von der Aufstockung der Geldzahlungen durch die reichen Länder um ein Vielfaches abhängig. In einer gemeinsamen Erklärung fordern sie analog zu den Zusagen im Klimaschutz eine Selbstverpflichtung der entwickelten Länder auf Zahlungen von zunächst 100 Milliarden Dollar jährlich. Bis 2030 solle diese Summe sogar auf 700 Milliarden Dollar ansteigen.
Diese Zahlungen dürfen der Forderung zufolge nicht mit den bereits jetzt aufgebrachten Mitteln aus der Entwicklungshilfe und den Geldern aus der Klimafinanzierung verrechnet werden. Zu den Unterzeichnern der Forderung gehören unter anderem die afrikanischen Staaten, Brasilien, Argentinien, Ecuador, Pakistan und Indien. Diese Länder beherbergen den Großteil der Biodiversität auf dem Planeten. Anders als in einem ersten Entwurf gehört China nicht mehr zu den Unterzeichnern. Das Land hat die Präsidentschaft der Verhandlungen über das Weltnaturabkommen. Allerdings unterstützte China den Vorstoß im Plenum.
Riesige Finanzlücke zwischen Forderungen und Zusagen
Diese Forderung übersteigt das bisherige Maß an internationaler Biodiversitätsfinanzierung für die Entwicklungsländer um Dimensionen: Im Vertragsentwurf ist eine Erhöhung der Zahlungen durch die reichen Staaten an die die Entwicklungsländer um mindestens zehn Milliarden vorgesehen. In Verhandlungskreisen wird bisher angedeutet, dass die Staaten ihre direkten Zusagen an die Entwicklungsländer maximal verdoppeln könnten – auf dann rund 12 Milliarden. Naturschutzverbände hatten zuletzt gefordert, dass die Staaten ihre jährlichen Hilfen auf 60 Milliarden Dollar aufstocken sollten.
Die 700-Milliarden-Forderung der Entwicklungsländer entspricht dem im Entwurf geschätzten weltweiten Gesamtbedarf für die Umsetzung des Rahmenabkommens. Dem Entwurf zufolge soll dieser aber durch einen Abbau der naturschädlichen Subventionen (500 Milliarden) und die Erhöhung der Finanzmittel „aus allen Quellen“ – also privat, öffentlich aus allen Ländern und aus der Wirtschaft – um 200 Milliarden Dollar aufgebracht werden.
Die Forderungen sind so enorm, dass sie auch von Unterstützern der Entwicklungsländer eher als politisches Statement denn als reale Erwartungshaltung bewertet werden. „Die Forderungen der Entwicklungsländer nach einer erheblichen Aufstockung der Mittel sind gerechtfertigt“, sagt etwa Georg Schwede von der Campaign for Nature. „Die wohlhabenden Länder sind aufgrund ihres Konsums direkt für mindestens 30 Prozent des Verlustes biologischer Vielfalt verantwortlich und müssen ihrer daraus erwachsenden moralischen und historischen Pflicht gerecht werden.“ Die Forderungen zeigten, dass die Verhandlugsblockaden nun auch durch finanzielle Signale der entwickelten Länder aufgelöst werden müssten.
Von Seiten der Geberländer wurden in Genf aber erwartungsgemäß noch keine Finanzzusagen gemacht.
Umweltverbände fordern mehr Engagement der Regierungen
Umweltverbände machen vor allem ein mangelndes politisches Engagement der Regierungen für den schleppenden Prozess verantwortlich. „Die Zukunft der Erde wird hier auf der Ebene von Referatsleitern verhandelt“, wurde auch Deutschland kritisiert. „Es ist deutlich spürbar, dass das Thema Biodiversität in den Regierungen nicht die Priorität hat, die es bei der Dringlichkeit dieser Krise bräuchte“, sagt auch Florian Titze, Experte für internationale Politik beim WWF Auch Deutschland müsse jetzt die Verantwortung der G7-Präsidentschaft nutzen, um das Thema auf höchster politischer Ebene zu verankern. „Wir fordern die Staatsoberhäupter, Premierminister und Umweltminister auf, diese Führungsrolle zu übernehmen“, sagte auch WWF-Chef Marco Lambertini.
Sanfte Kritik auch von Verhandlungsführern
Die Verhandlungsführer übten zum Abschluss der Konferenz verhaltene Kritik an den Staaten. Als Tiefpunkt bewertete Ko-Verhandlungsführer Francis Ogwal das zähe Beharren der Delegationen auf den eigenen Positionen. Nicht jeder Kompromiss müsse erst um drei Uhr in der Nacht erzielt werden, sagte er.
Ogwal und sein Ko-Vorsitzender Basile van Havre bewerteten die Konferenz gleichwohl insgesamt als positiv. Allein die Tatsache, dass die Staaten sich nicht grundsätzlich gegen die im ersten Entwurf für das Abkommen genannten übergreifenden Ziele gewandt hätten, sei ein Erfolg. „Als wir mit dem Treffen begannen, war der zur Diskussion stehende Text unser vorgeschlagener erster Entwurf“, sagte Ogwal. "Nach den Diskussionen hier in Genf ist dieser Text nun eindeutig der Text der Weltregierungen und wir befinden uns in einem von den Parteien geführten Prozess.“ Van Havre bewertete die ausgebliebenen Einigungen als normal für einen langen und komplexen Verhandlungsprozess.
Trotz viermaliger Verschiebung: Immer noch kein bestätigter Gipfel-Termin
Allerdings räumten beide ein, dass es nicht gelungen sei, ausreichend Fortschritte zu machen, um einen ausreichend „sauberen“ – also geeinten – Textentwurf für die Schlussverhandlungen präsentieren zu können. Das werde nun in einer Extra-Verhandlungsrunde im Juni in Nairobi gelingen, gaben sich beide optimistisch.
Verhaltene Kritik übte auch die CBD-Generalsekretärin Elizabeth Maruma Mrema an Gastgeber China. Die Tatsache, dass die Regierung in Peking offiziell immer noch keinen Termin für die Vertragsstaatenkonferenz vorgelegt habe, besorge sie, sagte Mrema bei der Abschlusspressekonferenz. Die Kalender der Regierungschefs und Minister füllten sich, und Delegierte und Beobachter bräuchten Klarheit für ihre Planungen, monierte sie. Schließlich gehe es für viele auch darum, zu vernünftigen Kosten an der Konferenz teilnehmen zu können. Offenbar lässt China auch Mrema selbst zappeln. Vor zwei Wochen hatte sie erklärt, sie rechne möglicherweise noch am Eröffnungstag der Konferenz mit einer Bekanntgabe des konkreten Datums für die bereits viermal verschobene Konferenz durch Ausrichter China. Als wahrscheinlicher Termin für den Gipfel gilt der 29. August bis 10. September.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.