Der Jojo-Effekt der Emissionen
Der Ausstoß von CO2 liegt fast wieder auf dem gleichen Niveau wie vor der Pandemie
Der Ausstoß von CO2 ist dieses Jahr fast schon wieder so hoch wie 2019. Die Pandemie hat nur eine kurze, tiefe Delle verursacht. Darum schrumpft das verbleibende Treibhausgas-Budget immer weiter – und die Frage ist, wie es aufgeteilt wird.
Die Covid-19-Pandemie hat inzwischen mehr als fünf Millionen Menschen das Leben gekostet, aber der Effekt auf die Statistik der Treibhausgas-Emissionen gleicht eher dem einer Schnell-Diät, zum Beispiel mit Ananas, Sauerkraut oder Zucchini. Durch blinden Aktionismus und eine komplett einseitige Ernährung sind ein paar Pfunde weg und der Reißverschluss geht gerade so wieder zu. Man fühlt sich besser, gesünder, die Entschlusskraft erlahmt, der Körper lässt sich von der Veränderung nicht mehr beeindrucken – und nach wenigen Tagen ist das Gewicht wieder drauf. Der typische Jojo-Effekt.
Ein ähnliches Ergebnis für den CO2-Ausstoß verkündet heute am Rande der Klimakonferenz COP26 in Glasgow das Global Carbon Project, ein Team internationaler Wissenschaftler:innen. Die Emissionen, die im ersten Pandemiejahr unter anderem durch Lockdown und Reiseeinschränkungen um 5,4 Prozent gesunken waren, sind im zweiten Pandemiejahr praktisch auf den Ausgangswert von 2019 zurückgesprungen.
Der Ausstoß im Jahr 2019 hatte 36,7 Milliarden Tonnen Kohlendioxid betragen. Weil er gegenüber 2018 kaum gestiegen war, hatten manche schon darüber spekuliert, ob ein Plateau erreicht und ein Absinken der Emissionen in Sicht sei. Im ersten Pandemiejahr 2020 sank der Ausstoß tatsächlich auf 34,8 Milliarden Tonnen. Die Hochrechnung des Teams für 2021 liegt nun aber bei 36,4 Milliarden Tonnen. Und weil in der Analyse Daten für zwei Monate fehlen und durch Hochrechnungen ersetzt wurden, geben die Forscher:innen einen Bereich von etwa 36,0 bis 36,8 Milliarden Tonnen CO2-Ausstoß an.
„Diese Zahlen sind nicht gerade fantastisch“, sagt Corinne Le Quéré von der University of East Anglia mit erkennbaren Sarkasmus. „Aber sie sind auch nicht besonders überraschend, weil die Pandemie ja keine strukturelle Veränderung der Emissionen gebracht hat. Es macht eben einen Unterschied, ob man sein Auto für ein Jahr abstellt oder ob man sich ein Elektroauto kauft.“ Ihr Kollege Glen Peters vom Zentrum für Internationale Klimaforschung (Cicero) in Oslo ergänzt: „Wir hatten erwartet, dass sich die wirtschaftliche Erholung, und damit die Zunahme der Emissionen, über mehrere Jahre verteilt. Aber die Hilfspakete der Regierungen zielen eben oft auf die alten Industrien, die CO2 freisetzen. Und wo es Investitionen in grüne Technologien gab, wirken die noch nicht so schnell.“
Letzteres ist besonders interessant in Europa, wo die EU-Kommission ja einen Green Deal als Stimulus für die Pandemie-geplagte Wirtschaft versprochen hatte. Hier folgt den Daten des Forschungsteams zufolge auf den zehnprozentigen Rückgang der Emissionen 2020 vermutlich eine Zunahme von 7,6 Prozent im laufenden Jahr. Die USA weisen ähnliche Zahlen auf, in Indien übertrifft das Wachstum 2021 die Abnahme 2020 deutlich und in China sind die Emissionen selbst im vergangenen Jahr trotz der dort ausgebrochenen Pandemie noch leicht gestiegen. Die beiden asiatischen Großmächte sind damit die einzigen, die mehr Treibhausgase freisetzen als vor der Pandemie: EU, USA und der gesammelte Rest der Welt liegen jeweils unter den Werten von 2019.
Besonders der Ausstoß von CO2 aus dem Kohle- und Gassektor hat nach dem Rückgang sehr schnell wieder zugenommen, zeigen die Daten. Dagegen ist der Verbrauch von Erdöl noch nicht auf die Werte vor der Pandemie zurückgekehrt, vor allem weil die Mobilität weiterhin eingeschränkt ist; auch die Emissionen sind noch nicht wieder auf dem Niveau von 2019. „Die Frage bleibt, ob die Politik hier jetzt umsteuert und dauerhaft bremst. Und ob der Zuwachs bei der Kohle vielleicht nur ein kurzer Zucker-Schock für die Wirtschaft war“, sagt Peters. „Vielleicht normalisiert sich das Zuviel hier und das Zuwenig dort und wir sind in zwei Jahren wieder in der Diskussion, ob wir den Höhepunkt der Emissionen erreicht haben.“
In diesem Tweet: eine Abfolge der verpassten Chancen
Wie weit das CO2-Budget reicht
Auf dem bisherigen Niveau kann die Welt den Daten des Global Carbon Project zufolge jedenfalls rechnerisch nur noch etwa acht Jahre weitermachen. Dann ist das Emissions-Budget aufgebraucht, das es der Menschheit mit einer 2/3-Chance erlaubt, die Erderhitzung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Dieses Ziel haben zuletzt auch die G20-Staaten in Rom verkündet, bevor viele der Spitzenpolitiker:innen nach Glasgow weiterreisten. Laut Daten des Weltklimarats in seinem jüngsten Bericht darf die Welt dafür ab Anfang 2020 nur noch 400 Gigatonnen CO2 ausstoßen (Tabelle SPM2, Seite 38). Auf dieser Basis zählt zum Beispiel beim Mercator-Institut für Klimawandel und globale Gemeinschaftsgüter in Berlin eine Uhr die Zeit herunter: Am 22. Juni 2029 wäre demnach Schluss.
Diese Restmenge als globale Größe ist nicht besonders gut handzuhaben. Man könnte sie zum Beispiel auf einzelne Länder aufteilen, die sich dann freiwillig danach richten. Im Bundestagswahlkampf hatten nur die Grünen explizit gefordert, ein solches nationales Budget aufzustellen. Zurzeit sieht es nicht danach aus, als könnten sie sich damit in den Koalitionsverhandlungen einer Ampel-Regierung durchsetzen. Es würde auch entscheidend auf die Höhe ankommen. Die momentane Gesetzgebung sieht vor, dass Deutschland bis 2045 noch etwa 8,7 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen würde.
Die Grünen hatten sich in ihrem Programm dagegen an den für Umweltfragen orientiert. Er hatte ein nationales Budget von 6,6 Milliarden Tonnen CO2 vorgeschlagen. Allerdings bezog sich diese Angabe auf eine Erwärmung von maximal 1,75 Grad und beruhte auf einem Budget, das der IPCC inzwischen aktualisiert hat. Auf dieser neuen Basis dürfte Deutschland noch 3,3 Milliarden Tonnen ausstoßen, um seinen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel zu leisten. Diese Berechnung beruht auf dem Gedanken, dass alle Menschen auf der Welt das gleiche Anrecht auf Emissionen haben. Sie würde aber für Deutschland bedeuten, dass das nationale Budget schon nach fünf Jahren auf dem Niveau von 2020 ausgeschöpft wäre. Die Reduktion müsste radikal sein und dürfte keine Verzögerung dulden.
Eine andere Berechnung des Budgets für Deutschland kommt darum von der Klimainitiative der Helmholtz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler:innen berücksichtigen auch, dass Deutschlands Wirtschaft viele Emissionen auf absehbare Zeit aufgrund ihrer Infrastruktur gar nicht vermeiden kann. Dieser sogenannte Lock-In-Effekt soll aber bis 2035 abgeschmolzen sein, danach müssten auch die Deutschen der Berechnung zufolge die Regeln globaler Gerechtigkeit befolgen. Heraus kommt so ein nationales CO2-Budget von 7,8 Milliarden Tonnen, das 12 Jahre auf dem Niveau von 2020 erlauben würde. Allerdings müsste Deutschland längst vorher auf einem Pfad sein, der bis 2045 – so die aktuelle Gesetzgebung – die Emissionen in einer Bilanzrechnung von Senken und verbleibenden Quellen auf „Netto-Null“ bringt. Und zwar nicht nur für CO2, sondern für alle Treibhausgase (diese steigern den Effekt des Kohlendioxids ungefähr um ein Siebtel).
Ein Budget für die Industrie
Eine andere mögliche Aufteilung des globalen Budgets ist vor wenigen Tagen in Glasgow vorgestellt worden: Australische Wissenschaftler:innen haben die 400 Gigatonnen den zwölf wichtigen Industriezweigen zugewiesen. Demnach bekommen vor allem die Bau- und Gebäudewirtschaft und der Straßenverkehr große Batzen, weil die Emissionen hier sowieso zurzeit groß sind und alle Menschen Häuser und Mobilität brauchen. Den größten Anteil aber hat die Energiewirtschaft, die zurzeit noch von fossilen Rohstoffen wie Kohle, Öl und Gas dominiert wird. Sie hat aber einen drastischen Wandel vor sich und muss bis 2030 auf weniger als die Hälfte des Ausstoßes vor der Pandemie runter. Bei den Gebäuden sind es fast minus 60 Prozent, beim Zement sogar mehr als 60 Prozent nötiger Reduktion bis 2030.
Die Daten stammen aus einem integrierten Rechenmodell, das die Verflechtungen der Sektoren berücksichtigt. Es unterscheidet zudem die verschiedenen Einflussbereiche, die Firmen haben. Sie werden Scope 1 bis Scope 3 genannt: Scope 1 betrifft die Prozesse der Produktion selbst, Scope 2 die von außen zugelieferte Energie, etwa in Form von Strom, Scope 3 die Emissionen, die bei Gebrauch und Entsorgung der Produkte entstehen – hier stehen in vielen Fällen die größten Zahlen, zugleich haben Unternehmen am wenigsten direkten Einfluss.
„So ein Budget für einzelne Sektoren, das auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, ist sehr wichtig, damit sie ihre Klimaziele erreichen können“, sagt Sven Teske von der University of Technology in Sydney, der die Methode mit seinem Team vorgelegt hat. Solche Zahlen helfen vor allem institutionellen Investoren wie Versicherungen oder Pensionsfonds, die mit ihren Finanzmitteln die Transformation der Wirtschaft fördern wollen. Ein Zusammenschluss solcher Geldgeber namens Net-Zero Asset Owner Alliance hat darum die Entwicklung des Modells gefördert und nutzt die Daten.
Die wichtigsten politischen Ziele
Die wichtigsten drei Ziele, die sich aus der Aufteilung auf die Industriesektoren ergeben: Keine weiteren Investitionen in neue Kohle-, Öl oder Gas-Projekte. Ein Ausstieg aus der Kohlekraft in den reichen Ländern bis 2030, in den anderen bis spätestens 2040. Und ein Produktionsstopp für Autos mit Verbrennungsmotoren bis 2030. Solche Maßnahmen fordern schon viele andere, und sie dürften auch bei den deutschen Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen.
„Wir wissen doch, wie wir die Emissionen reduzieren können. Dafür haben schon etliche Länder die richtigen politischen Entscheidungen getroffen“, sagt Corinne Le Quéré vom Global Carbon Project. „2021 haben uns die wiederangestiegenen Emissionen an die Realität erinnert. Wir müssen aber der Versuchung widerstehen, uns entmutigen zu lassen.“ Die Klimakonferenz COP26 könne darum wichtige Beschlüsse treffen, sagt die Wissenschaftlerin. „Ich erwarte einen gewaltigen Anschub von Glasgow.“ ◀