Kampf um Lützerath: Fragen und Antworten zum Polizeieinsatz im Kohlerevier
Am 11. Januar hat die Räumung des Weilers Lützerath begonnen. Hunderte Klimaaktivist:innen stehen einem riesigen Polizeieinsatz gegenüber. Dabei sind für den geplanten Tagebau noch lange nicht alle Eigentumsverhältnisse geklärt. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Worum geht es jetzt in Lützerath?
Lützerath ist ein kleines Dorf in Nordrhein-Westfalen. Dort versammeln sich zahlreiche Aktivist:innen um das Dorf gegen die Zerstörung durch den Braunkohleabbau zu verteidigen. Die ursprünglichen Bewohner:innen sind weggezogen. Neben der Siedlung liegt die Kraterlandschaft des Braunkohletagebaus Garzweiler II.
Unter dem Dorf Lützerath befinden sich noch besonders große Braunkohlevorkommen. Nach Auffassung des Unternehmens RWE seien diese nötig, um die Energieversorgung für Deutschland sicherzustellen. Mehrere unabhängige Klima-Expert:innen bestreiten dies (s. FAQ zur Rolle von Lützerath für Deutschlands Energiesicherheit). Der Kampf um Lützerath ist zum Symbolbild einer schwachen deutschen Klimapolitik geworden.
Wie kam es dazu? Im Oktober 2022 verkündeten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, das Bundesland NRW und der Energiekonzern RWE auf einer Pressekonferenz, dass man sich geeinigt habe, bis 2030 aus der Kohleverstromung in NRW auszusteigen – und damit acht Jahre früher als bisher geplant. Zugleich gaben die drei Verhandlungspartner bekannt, dass Lützerath abgebaggert werden müsse. Grundlage dieser politischen Entscheidung bilden mehrere, teils umstrittene Gutachten.
Wie sieht die Rechtslage zur Räumung aus?
Grund und Boden mit den bestehenden Häusern in Lützerath gehören dem Energiekonzern RWE. Alle Klagen gegen einen Abriss sind von deutschen Gerichten abgewiesen worden. Der zuständige Kreis Heinsberg hat den Aufenthalt untersagt. Die Allgemeinverfügung des Landrats zur Räumung der Ortschaft Lützerath hat weiterhin Bestand. Das bestätigte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen noch am 9. Januar 2023. Damit ist der Versuch von Klimaaktivisten, das vom Kreis Heinsberg ausgesprochene Aufenthaltsverbot in Lützerath mit einem Eilverfahren zu Fall zu bringen, gescheitert. Der unberechtigte Aufenthalt von Personen auf den betroffenen Flächen sei ohne Einwilligung von RWE zivilrechtlich rechtswidrig und stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, urteilte das Gericht.
Während die Eigentumsverhältnisse in Lützerath eindeutig sind, gilt dies anscheinend nicht für weitere Flächen, die notwendig für den Tagebau-Betrieb sind. Das berichtet Antje Grothus, Grünen-Mitglied des Landtags Nordrhein-Westfalen am 12. Januar. „Im Bereich des aktuell genehmigten Betriebsplans für den Tagebau Garzweiler befinden sich Flächen, deren Eigentümer nicht an RWE verkaufen wollen. Somit drohen im geplanten Abbaugebiet langwierige und juristisch unsichere Enteignungen auch nach einer Räumung Lützeraths. Der Tagebau könnte bis zu deren Abschluss einige hundert Meter hinter Lützerath zum Stillstand kommen“, heißt es in einer erst am 12. Januar veröffentlichten Pressemitteilung.
Grothus liegen nach eigenen Angaben aus direktem Kontakt Informationen vor, dass sich tatsächlich Flächen östlich der Landstraße L 12 im Bereich um den „Windpark Keyenberg“ und somit innerhalb des aktuell gültigen Hauptbetriebsplans 2023 – 25 befinden, deren Eigentümer:innen ihr Eigentum nicht freiwillig an RWE übertragen wollten. Grothus verweist auch auf ein von RWE erstelltes Gutachten, welches im August 2022 die Problematik allgemein kurz anschneidet (PDF, S. 96): Demnach sei die „weitere Grundstücksbeschaffung ungelöst“ und mit weiteren „Beeinträchtigungen“ zu rechnen.
Wie wurden die Bürger:innen über die Räumung von Lützerath informiert?
Der Weiler Lützerath gehört zur Stadt Erkelenz. Die Bürger:innen von Erkelenz wurden über die polizeiliche Räumung erst am 10. Januar im Rahmen einer kurzfristig anberaumten Bürgerinformationsveranstaltung informiert. Polizeipräsident Dirk Weinspach und Landrat Stephan Pusch informierten in der vierstündigen Veranstaltung die Bürgerschaft erstmals eingehender über die Lage. Aktivist:innen kritisierten die Veranstaltung, da sie keine Bürgerbeteiligung im Sinne der Aarhuser Konvention hergestellt habe.
Welche Kritik gibt es am Vorgehen der Polizei?
Polizisten hätten Demonstrant:innen etwa durch Schmerzgriffe verletzt, teilte eine Sprecherin der Protestaktion der dpa mit; eine Demosanitäterin berichtete am Donnerstag, den 12. Januar, auf Twitter von Kopfverletzungen am 10. Januar. Mehrere Videos, die in den sozialen Netzwerken kursieren, belegen das harte Vorgehen einiger Einsatzkräfte.
Laut mehreren Schilderungen von Augenzeugen wurden Rettungssanitäter an der Ausübung ihrer Arbeit bei den Aktivist:innen behindert. So berichtete etwa der Bundessprecher der Grünen Jugend Timon Dzienus, der ebenfalls vor Ort am Protest in Lützerath teilnimmt, via Twitter, dass die Polizei am Donnerstagmittag verhinderte, dass Sanitäter:innen Zugang Dorf erhielten. Die Demosanitäterin Iza Hofmann berichtet ähnliches.
Verhaftete Klimaaktivist:innen von der Polizei wurden in einem Transporter von RWE aus dem Dorf weggebracht. Ein Video dieser ungewöhnlichen Sicherheitskooperation postete der Bundessprecher der Grünen Jugend Dzienus ebenfalls auf Twitter.
Eine massive Behinderung von Journalist*innen beklagte der Geschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Berlin-Brandenburg Jörg Reichel.
Muss RWE den Polizeieinsatz bezahlen?
Nein. Angaben eines Pressesprechers der Polizei Aachen zufolge muss das Unternehmen RWE den Polizeieinsatz nicht bezahlen. Die Steuerzahler:innen tragen die finanziellen Belastungen. Welche Kosten in Lützerath entstehen, ist derzeit nicht absehbar.
Zum Vergleich: Die Räumung des südlich der Garzweiler Reviere gelegenen Waldstücks Hambacher Forst kostete rund 50 Millionen Euro. Die Übernahme der Kosten durch Steuerzahler*innen ist üblich, etwa auch bei Bundesligaspielen. Die Stadt Bremen hat diese Praxis jedoch erfolgreich angefochten. So kann die Deutsche Fußball Liga (DFL) an den Einsatzkosten für die Polizei beteiligt werden, wenn die Polizei eine besondere Leistung erbringt, die sich von der allgemeinen Gefahrenabwehr abgrenzen lässt. Dies bestätigte das Bundesverwaltungsgericht im Fall der Beteiligung an den Einsatzkosten von Fußballvereinen bei Hochrisikospielen (Beschl. v. 21.12.2021, Az. 9 B6/21).
Statuiert RWE mit der Abbaggerung von Lützerath ein Exempel?
Dass mit der Räumung von Lützerath auch ein politisches Ziel verfolgt wird, legt die Bemerkung in einer gutachterlichen Stellungnahme nahe, die im Auftrag von RWE erstellt wurde. Wenn es mit Lützerath „keine Befriedung“ gebe, „entstünde eine Motivation zu weiteren Blockaden“, heißt es in einer Auflistung von Gründen, die für die Abbaggerung angeführt werden. In Folge entstünden „zusätzliche Unsicherheiten bei der weiteren Tagebauführung.“