„Kein Mensch kann sich seine eigene Außentemperatur kaufen“

Eckart von Hirschhausen erklärt, was der Trotz von 3-Jährigen und eine volle Blase mit dem Kampf gegen den Klimawandel zu tun haben und warum er trotz allem noch daran glaubt, dass die Menschheit nicht zu doof ist, das eigene Aussterben zu verhindern.

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
7 Minuten
Mann mit grauem Bart und blauem Anzug, im Hintergrund grüne Natur

Eckart von Hirschhausen, Sie sprechen seit Jahren als Journalist, als Moderator, als Arzt und als Komiker über die Klimakrise. Haben Sie ein Erklärung, warum es so schwer ist vom Reden ins Handeln zu kommen?

Eckart von Hirschhausen: Ich habe eine Metapher, die ich häufiger verwende: Unser Verhalten in der Klimakrise ist ein bisschen so wie nachts Wachwerden mit voller Blase. Du weißt genau, was du jetzt tun musst. Du weißt auch, es wird von allein nicht besser. Aber wir machen die Augen zu, rollen uns hin und her und denken: „Vielleicht geht das Problem doch irgendwie weg.“ Tut es aber nicht. Und ich glaube 2024 ist wirklich das Jahr, wo wir die Augen geöffnet bekommen. Wir hatten Hurrikans, wir hatten unzählige Hochwasser, Hitzewellen, Waldbrände. Wenn man das beschreiben will, kommt man gar nicht mehr hinterher mit den Superlativen. Wir reden ja zum Beispiel ständig vom „Jahrhunderthochwasser“, aber eigentlich müssten wir von einem „Hochwasserjahrhundert“ sprechen. Denn alle diese Einschätzungen – „oh so viel Niederschläge gibt es nur einmal alle 100 Jahre“ – die beruhen ja auf der Vergangenheit und nicht auf der Zukunft. Und auch wenn 2024 das heißeste Jahr ist, das jemals von Menschen gemessen wurde, wird es gleichzeitig eines der kühlsten für den Rest unseres Lebens sein. Und das sind unangenehme Wahrheiten.

Was hält uns denn davon ab, nachts auf Klo zu gehen beziehungsweise die Zukunft unserer Kinder zu retten?

Wir reden hier und da über kleinere Therapie-Maßnahmen: Müssen wir schneller aus dem Verbrenner raus? Müssen wir E-Autos oder Heizungen subventionieren? Darüber kann man sich super streiten und dann entsteht dieses Gefühl, dass keiner so richtig zuständig ist und dass es so ernst schon nicht sein wird, sonst würde ja jemand etwas tun. Das nennt sich in der Psychologie „pluralistische Ignoranz“. Das kennt man. Nach einem Unfall etwa fahren viele Leute daran vorbei, weil sie denken: „Irgendwer wird das besser können als ich. Der wird sich drum kümmern.“ Und wenn keiner hilft, dann ist es nicht so schlimm. Ich glaube, dass wir viel häufiger thematisieren müssten, wie wichtig Psychologie ist und wie sehr wir uns im Weg sind. Wir sind soziale Wesen. Wir gucken uns an: Was macht mein Nachbar, meine Nachbarin? Wir gucken uns an: Wie reagiert die Politik? Was ist denen wichtig, was kommt in den Nachrichten vor? Und gerade wenn sich Baselines, also die Definition von Normalität, so schleichend verschieben, haben wir dafür keine guten Antennen. Und deswegen bin ich sehr daran interessiert, eine Sprache zu finden, die nicht hysterisch Alarm schlägt, aber die den Menschen auch sagt: Es geht um etwas! Wir haben eine Jahrhundertaufgabe und weniger als zehn Jahre Zeit. Und es kommt jetzt wirklich auf jeden von uns an! Und das Wichtigste, was ein Einzelner tun kann, ist nicht allein zu bleiben.

Ein Berg von angeschwemmten Autos und Müll hat eine komplette Straße versperrt
Ist 2024 das Jahr, das uns die Augen öffnet? Nach Starkregenfällen kam es im Oktober 2024 im Südosten Spaniens zu verheerenden Überschwemmungen.
Vorn ist ein weißes Haus zu sehen, dahinter ein brennender Wald
September 2024: Nach einer ungewöhnlich trockenen und heißen Periode im Sommer zerstörten Feuer in Portugal über 1300 Quadratkilometer Wald - das ist fast die doppelte Fläche Hamburgs.
Einfamilienhäuser von oben gefilmt, die vom Wasser umgeben sind
Was ist unser Besitz noch wert, wenn die Klimaextreme zunehmen? Überschwemmte Häuser in Florida nach dem Hurrikan Milton.

Was meinen Sie damit?

Im Alltag sind die Klima-Kommunikatoren oft ziemlich allein. Auch in den Redaktionen sind es die Warner in der Wüste. Und die nerven. Medien müssen sich aber auch klar machen, wie leicht es ist, diese Themen zu diskreditieren. Denn Rechtspopulisten und Klimaleugner sind gut finanziert, gut verdrahtet und gut orchestriert. Die fahren einen extremen Desinformation-Kurs und versuchen uns immer wieder in Diskussionen zu verstricken, die am Kern der Sache vorbeigehen. Denn der Kern der Sache ist: Gesundheit ist allen Menschen wichtig. Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. Unsere Erde ist alles andere als gesund, aber wir haben jetzt noch die Chance mitzubestimmen, wie die nächsten Jahrzehnte und auch wie dieses Jahrhundert zu Ende geht.

Bestenfalls geht es nach dem Jahr 2100 ja auch noch weiter…

Ja, ich wundere mich auch immer über die Weltklimarat-Szenarien, die alle im Jahr 2100 enden. Aber ein Kind, das heute geboren wird, das soll auch nach 2100 noch ein gutes Leben haben. Und das wird uns allen Löcher in den Bauch fragen: Was habt ihr eigentlich 2024 gewusst? Was habt ihr getan? Und ja, dann wünsche ich uns, dass wir gute Antworten haben.

Momentan sieht es nicht danach aus…

Wir haben in Deutschland diese idiotische Idee, dass alles, was mit Nachhaltigkeit zu tun hat, irgendwie das Thema der nächsten Generation sein soll. Und auch Parteien polemisieren oft mit dem Thema. Dabei ist die Bewahrung der Schöpfung eigentlich ein urkonservatives Thema und auch ein Teil der christlichen Ethik. Die Mehrheit weiß nur oft nicht, dass sie die Mehrheit ist, weil wir auch in den Medien Menschen mit abweichenden, mit lauten und schrillen Meinungen viel zu viel Raum geben. Stattdessen sollten wir immer wieder betonen: Die Mehrheit der Menschen kennt die Klimakrise, sie weiß, was auf dem Spiel steht, und sie möchte auch etwas tun. Sie möchte aber auch eine Politik erleben, die mutig genug ist zu sagen: Es wird nicht ohne ein Rappeln in diesem Jahrzehnt gehen.

Wir alle spüren: Es wird nicht mehr wie früher. Das sagt aber niemand so ehrlich. Es wird nicht mehr wie früher und erst recht nicht, wenn wir die von vorgestern wählen, die behaupten, mit ihnen werde wieder alles wie früher.

Das ist allerdings ein Punkt, an dem die Mehrheiten schnell verloren gehen und der auch in der Kommunikation schwierig ist: Unser Narrativ war immer „schneller, höher, weiter“. Lässt sich das so einfach umschreiben?

Es gibt ein unterschätztes Gefühl, das man in der Psychologie als Reaktanz bezeichnet: Wir reagieren extrem allergisch, wenn wir das Gefühl haben, dass uns etwas weggenommen wird. Das kann man bei 3-Jährigen im Sandkasten sehen. Das kann man aber auch bei jedem sehen, der sagt: Ich habe einen Anspruch auf ein fettes Auto, auf ein Stück Fleisch jeden Tag und auf dreimal Urlaub im Jahr. Und ein Teil dieser Grundangst erklärt sich daraus, dass wir alle spüren: Es wird nicht mehr wie früher. Das sagt aber niemand so ehrlich. Es wird nicht mehr wie früher und erst recht nicht, wenn wir die von vorgestern wählen, die behaupten, mit ihnen werde wieder alles normal oder wie früher. Das ist eine Illusion.

Was kann man dieser Illusion entgegensetzen?

Informationen und klare Aussagen: Wir können den derzeitigen Wohlstand nicht behalten. Denn die größte Gefahr für unseren Wohlstand ist, wenn wir weitermachen wie bisher. Das klingt paradox, aber wenn wir jetzt nichts tun, dann wird es am Ende nur immer teurer. Jeder Euro, den wir jetzt in Klimaschutz und Anpassung investieren, zahlt sich sechsfach aus. Oder andersherum: Es wird sechs Mal teurer, wenn wir nicht jetzt handeln, sondern erst später.

…das zumindest ist das Ergebnis einer Nature-Studie.

Und das ist natürlich nicht leicht für Leute, die heute über Budgets, Investitionen und über politische Maßnahmen entscheiden müssen. Denn die Früchte dieser Investitionen sieht man nicht innerhalb von einem halben Jahr und auch nicht innerhalb von vier Jahren, wenn die Wiederwahl ansteht. Deshalb brauchen wir eine Politik und ein Unternehmertum, die langfristig denken. Und wir brauchen auch philanthropisches Geld. Wir haben 7000 Milliarden Euro Privatvermögen in Deutschland. Wir gucken immer: Was macht die Politik? Das ist auch richtig. Aber wir sollten auch auf uns selbst gucken und uns fragen: Hey, was ist unser Geld eigentlich noch wert, wenn unsere Welt unbewohnbar wird? Und das ist kein ausgedachtes Horrorszenario. Das ist real. Kein Mensch kann sich seine eigene Außentemperatur kaufen, auch kein privat Versicherter. Wir müssen wieder entdecken, was wir zu verlieren haben. Und positiv formuliert: Wir können immer noch so viel gewinnen, wir könnten es schöner und gesünder haben als jetzt.

Angst ist kein irrationales Gefühl in diesem Sinne, sondern es ist total berechtigt, Angst zu haben.

Dafür bräuchte es mehr Klimaschutz, aber auch mehr Anpassung. Wie könnte die denn aussehen?

Wir können Städte so bauen, dass sie nicht zu Hitzefallen werden. Paris etwa hat seit 2003 Hitzeresilienz zum Thema der Stadtentwicklung gemacht. Da gab es eine alte Industriebrache, aus der man so eine Art Dschungel gemacht hat. Da ist Wasser, da sind Pflanzen, da können die Menschen sich erholen, können sich runterkühlen. Die Häuser drumherum sind nicht aus Stahlbeton, sondern sind mit Holz gebaut, mit Dachbegrünung.

Dafür müsste man aber natürlich erstmal in die Infrastruktur der Städte investieren

Klar, kostet ein solcher Neubau etwas mehr. Aber wenn man sich klarmacht, was die Kosten des Nichtstuns sind, lohnt es sich auf alle Fälle in hitzeresiliente Infrastruktur zu investieren. Denn wo soll der Rettungswagen als erstes hinfahren, wenn zeitgleich 100 Menschen kollabieren? Das heißt, wir müssen dringend darüber reden, nicht nur, wie wir Emissionen senken und sozusagen die Grunderkrankung von „Mutter Erde“ kurieren, sondern wir müssen uns auch ehrlich machen: Wir brauchen Anpassungsmaßnahmen, für das, was auf uns zukommt. Wir sind in einer historischen Situation in der Menschheitsgeschichte. Das macht mir auch Angst. Aber Angst ist kein irrationales Gefühl in diesem Sinne, sondern es ist total berechtigt, Angst zu haben.

Was machen Sie, wenn die Angst zu groß wird?

Wir müssen nicht die Erde oder das Klima retten, sondern uns. In der Geschichte sind Arten ausgestorben, wenn sich das Klima änderte, wenn neue Infektionskrankheiten kamen und wenn die Art unfähig war, sich anzupassen. Alle drei Bedingungen sind für uns Menschen erfüllt. Und ich halte jeden Morgen kurz inne und sage mir: Wir sind doch nicht zu doof, unser eigenes Aussterben zu verhindern! Lass uns Menschen finden, die mit an dieser positiven Vision arbeiten. Und ja, es ist schwer, ehrenamtlich die Welt zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören. Aber ich habe schon so viele inspirierende Menschen getroffen. Und deswegen bin ich immer noch Optimist.

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