Mit deutscher Unterstützung: Europa ebnet den Weg für die Jagd auf Wölfe

Wie erwartet schwächt der Europarat den Schutz der Raubtiere ab. Die legale Jagd auf die Tiere rückt damit näher. Während Bauern- und Jagdverbände die Entscheidung begrüßen, sehen Naturschützer jahrzehntelange Bemühungen im Artenschutz gefährdet.

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Wolf hinter Birken

Der Europarat hat den Weg für eine Aufweichung des Wolfsschutzes freigemacht. Wie von der EU-Kommission gefordert, stimmte die Organisation am Dienstag in Straßburg einer Herabstufung des Schutzstatus für die Tierart zu. Damit ebnen die Staaten den Weg für einen schnelleren Abschuss von Wölfen in allen rund 50 Mitgliedstaaten des Europarates.

Auch die Bundesregierung unterstützte den Antrag, nachdem Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ihren früheren Widerstand aufgegeben hatte. Um Wölfe künftig in den Mitgliedstaaten der EU legal bejagen zu dürfen, muss nun noch die EU-Naturschutzrichtlinie geändert werden. Dies soll in den kommenden Monaten geschehen.

Wende in der europäischen Artenschutzpolitik

Der zuletzt erwartete Beschluss markiert eine Kehrtwende in der europäischen Artenschutzpolitik, die über Jahrzehnte darauf ausgerichtet war, seltene Tiere umfassend zu schützen, um ihren Beständen eine Erholung zu ermöglichen. Bisher hatten die Mitgliedstaaten des Europarates entsprechend Vorstöße stets abgewehrt, Arten herabzustufen, deren Bestände von Wissenschaftlern als noch nicht gesichert angesehen werden. So hatte die Schweiz im Jahr 2022 einen ähnlichen Antrag gestellt, der aber mehrheitlich abgelehnt wurde, damals auch mit Unterstützung Deutschlands. Auch andere in ihren Beständen nicht gesicherte Tierarten hatten die Staaten trotz Forderungen einzelner Länder bisher weiter geschützt.

So lehnte der Europarat 2019 die Forderung Norwegens ab, den Schutzstatus der Weißwangengans abzuschwächen. Norwegen hatte mit den Schäden für die Landwirtschaft argumentiert, die durch die Gänse entstanden seien.

Der Europarat hat 50 Mitglieder, darunter die EU-Staaten, aber auch Länder wie Georgien, Großbritannien oder die Türkei. Die internationale Organisation überwacht die Wahrung der Menschenrechte, ist aber auch für die Einhaltung der Berner Konvention zuständig, einem 1979 verabschiedeten völkerrechtlichen Vertrag zum Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen.

Wölfe töten 50.000 Schafe in der EU – geschlachtet werden 57 Millionen

Auch bei der politischen Entscheidung über den Wolf spielte die Abwägung zwischen Naturschutz und den Interessen der Landwirtschaft in Form der Weidetierhalter die entscheidende Rolle.

Nach EU-Schätzungen werden in jedem Jahr in den Mitgliedstaaten rund 65.000 Weidetiere, darunter rund 50.000 Schafe, von Wölfen getötet. Demgegenüber werden 57 Millionen Schafe geschlachtet. In Deutschland wurden laut Bundesamt für Naturschutz 2023 knapp 6000 getötete Nutztiere als Wolfsopfer gemeldet. Die Zahl berücksichtigt aber nicht, ob die Tiere durch Elektrozäune geschützt waren. Zum Vergleich: Pro Jahr werden hierzulande rund zwei Millionen Schafe geschlachtet.

Ein junger Wolf steht im Schnee vor einem Heuballen.
Trotz steigender Zahlen: Wölfe sind immer noch ein seltener Anblick in Deutschland.

Wissenschaftler hatten gegen Absenkung des Wolfsschutzes plädiert

Für die Schutz-Einstufung nach der Berner Konvention gelten nicht politische, sondern wissenschaftliche Erwägungen. Internationale Experten für das Mensch-Wildtier-Konfliktmanagement hatten sich deshalb einhellig gegen die geplante Abschwächung des Schutzes für Wölfe ausgesprochen. Das Vorhaben sei voreilig und wissenschaftlich nicht ausreichend fundiert, kritisierte die Large Carnivore Initiative for Europe (LCIE) in einer Stellungnahme. Die Gruppe wirft der Politik Einknicken vor populistischer Stimmungsmache vor. „Entscheidungen zum Schutz und Management von Wildtieren sollten auf fundierter Wissenschaft basieren, nicht aus politischen Gründen“, so die LCIE in ihrem Schreiben.

Die gegenwärtige Entwicklung der Wolfspopulationen rechtfertige aber keine Herabstufung des Schutzes, argumentieren die Expertinnen und Experten. Denn nach wie vor sei das Überleben der Art nicht in allen Regionen gesichert, in denen sich Wölfe nach ihrer Ausrottung wieder etabliert hätten. Auch wenn die Zahl der Wölfe in den meisten europäischen Staaten in den vergangenen Jahren teils deutlich zugenommen habe, sei der Erholungsprozess nach ihrer Rückkehr nicht abgeschlossen, argumentieren die Wissenschaftler.

Auch ein Zusammenschluss von europaweit mehr als 300 Naturschutzorganisationen hatte sich gegen die Lockerung des Wolfsschutzes ausgesprochen – ebenso wie die für die Erarbeitung der Roten Listen zuständige Internationale Naturschutzunion IUCN, die sechs der neun grenzüberschreitenden Wolfspopulationen in der EU als weiterhin gefährdet ansieht.

Von der Leyen betrieb Absenkung des Wolfsschutzes vehement

Vor allem von der Leyen hatte sich seit längerem vehement für die Möglichkeit starkgemacht, künftig Wölfe jagen zu dürfen. Vor zwei Jahren verlor die CDU-Politikerin auf ihrem niedersächsischen Familiengut selbst ihr Pony „Dolly“ durch einen Wolfsangriff. Selbst in Treffen auf Spitzenebene mit Staats- und Regierungschef soll sie seitdem das Thema häufig auf die Tagesordnung gesetzt haben. Bisher ist der Abschuss von Wölfen laut Berner Konvention von 1979 nur in Ausnahmefällen möglich – vor allem dann, wenn es zu einer Häufung von Angriffen auf Nutztiere in bestimmten Gebieten kommt. Auch von der Leyen argumentierte, mit der zunehmenden Zahl von Wölfen verschärfe sich der Konflikt mit der Nutztierhaltung.

Zahl der Wölfe nimmt vielerorts zu

Zur Untermauerung ihrer Argumentation veröffentlichte die Kommission vor einigen Monaten eine neue Analyse der Wolfsbestände in Europa. Danach haben sich Wölfe gut 100 Jahre nach ihrer Ausrottung in vielen Ländern Europas in fast allen EU-Mitgliedstaaten wieder fest etabliert. Insgesamt leben in Europa danach derzeit etwa 20.000 Wölfe. Aktuellen Zahlen der in der LCIE zusammengeschlossenen Experten sind es rund 23.000. In Deutschland leben nach aktuellen Zahlen derzeit 209 - oft als Rudel bezeichnete – Wolfs-Großfamilien. Forscher des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin haben ausgerechnet, dass Deutschland gemessen an den Lebensraumansprüchen der Tiere ein Potenzial für insgesamt 700 bis 1400 Wolfsreviere hat.

Plakat mit blutrünstigem Wolf
Umstritten: Gegen die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland wird von einigen Jagdverbänden massiv mobil gemacht.

Lemke verteidigt ihren Kurswechsel

Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die sich der Aufweichung des Wolfsschutzes lange widersetzt und damit Änderungen am hohen Schutzniveau blockiert hatte, verteidigte ihren Kursschwenk. „Der Wolf ist damit mitnichten zum Abschuss freigegeben“, erklärte sie. Die Absenkung des Schutzstatus sei kein Freifahrtschein für ungeregelte Abschüsse. Der Beschluss zur Änderung der Berner Konvention gebe den Staaten aber mehr Handlungsspielraum. Für sie bleibe entscheidend, dass die Änderung nur den Wolf und keine weitere Tierart betreffe.

Vor allem die realen Probleme in einigen Regionen beim Schutz von Weidetieren und die immer schärfer werdende gesellschaftspolitische Polarisierung haben Lemke zu ihrem Kurswechsel bewogen. Das Thema Wolf wird nach ihrer Analyse zunehmend von extremistischen Gruppierungen instrumentalisiert. In Zeiten, in denen die Demokratie nach ihrer Einschätzung in weiten Teilen des Landes ohnehin unter Druck steht, sieht die einstige Bürgerrechtlerin angesichts gesicherter Wolfsbestände keinen ausreichenden Grund, weiter für einen strikten Schutz der Tiere zu kämpfen.

Bis Wölfe in der EU regulär bejagt werden dürfen, sind weitere Schritte nötig, die mit der Entscheidung des Europarates möglich werden. Zunächst muss die europäische Naturschutzverordnung und anschließend das Bundesnaturschutzgesetz geändert werden. In Fachkreisen wird damit gerechnet, dass die Umsetzung etwa ein Jahr dauern wird. Wie ein anschließendes „Wolfsmanagement“ aussehen könnte, muss ebenfalls noch entschieden werden. Denkbar sind Abschussquoten oder Jagdzeiten.

Ein frisch geschossener Wolf liegt im Schnee, auf ihm das Gewehr des Jägers
In einigen Ländern der EU dürfen Wölfe legal geschossen werden, hier in Lettland.

Jagdverbände und Özdemir begrüßen Lockerung

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir begrüßte wie die Jagdverbände die Entscheidung aus Straßburg. Weidetierhaltung und Wolfsschutz könnten so besser in Einklang gebracht werden. „Mit dem angepassten Schutzstatus kann nun beides gelingen: Die Zahl der Wölfe zu regulieren und sie zu schützen“, erklärte der Grünen-Politiker, der im kommenden Jahr Ministerpräsident in Baden-Württemberg werden will. Der Deutsche Jagdverband (DJV) sprach von einem ersten wichtigen Schritt hin zu einem umfassenderen Wolfsmanagement.

„Dieses muss nach Ansicht des DJV auch eine reguläre Bejagung unter Wahrung des günstigen Erhaltungszustandes einschließen.“ Der Deutsche Bauernverband hatte schon zuvor erklärt, Weidetiere seien allein mit Herdenschutzmaßnahmen nicht ausreichend vor Wölfen zu schützen. Deshalb sei neben einer raschen Reaktion bei Wolfsangriffen auf Weidetiere auch ein „vorbeugender Herdenschutz durch eine deutliche Reduzierung des Wolfsbestandes in Deutschland“ nötig.

Naturschützer fürchten „Todesurteil für viele Wölfe“

Scharfe Kritik an der Entscheidung übte das Europäische Umweltbüro, der Zusammenschluss von mehr als 180 Naturschutz- und zivilgesellschaftlichen Organisationen aus über 40 Ländern.

Damit ignorierten die EU-Mitgliedstaaten die Appelle von Naturschutz, Wissenschaft und Hunderttausenden von Bürgern, die auf wissenschaftlich fundierte Maßnahmen zur Förderung der Koexistenz mit Großraubtieren drängten, erklärte die Organisation. „Stattdessen unterstützten sie politisch motivierte Entscheidungen, die offenbar von persönlichen Gründen beeinflusst sind, nachdem das Pony von Kommissionspräsidentin von der Leyen im Jahr 2022 von einem Wolf getötet wurde.“ Marta Klimkiewicz von der Juristenvereinigung ClientEarth sagte, die Entscheidung sei nicht nur ein Todesurteil für viele Wölfe, sondern auch eine Bedrohung für andere geschützte Arten in ganz Europa.

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